SPIELSTIL Rezension
Lesezeit: 7 Minuten
Ein Spiel entwickelt von Peter Rustemeyer
erschienen bei Hans im Glück
Häufig ist uns gar nicht so recht bewusst, wie gut wir es haben. Brauchen wir etwas zu essen, ist der nächste Supermarkt nicht weit. Hier können wir gefahrlos unsere Vorräte auffüllen und ärgern uns über Nichtigkeiten. Wie den Deppen, der seinen Wagen mal wieder quer gestellt hat und alles blockiert. Sind wir mal in besonders guter Laune (oder einfach zu faul zum Kochen), gibt es immer noch Dienstleister, die einem fertiges Essen an die Tür bringen.
Und auch sonst haben wir viele Probleme, mit denen unsere Ahnen noch täglich kämpfen mussten, mit unserer Wohlstandsgesellschaft ausgemerzt. Aber lasst uns doch mal weiter zurückreisen. Viel weiter. In einer Zeit, in der eben nicht sicher war, dass es täglich etwas zu essen gab. In der selbst ein Holzsplitter im Fuß eine tödliche Gefahr darstellte. Lasst uns zurückgehen in die Steinzeit. Wobei es DIE Steinzeit gar nicht gab. Diese unterteilte sich nämlich in mehrere Epochen. Nämlich die Alt-, Mittel- und Jungsteinzeit und damit einen Zeitraum, der 2,6 Millionen Jahre bis „nur“ 6.000 Jahre in die Vergangenheit reicht.
Da es bei Paleo das Ziel ist, eine Höhlenmalerei fertigzustellen und die ersten davon etwa 40.000 Jahre vor unserer Zeit entstanden, können wir davon ausgehen, dass wir uns noch in der Altsteinzeit, genauer im Jungpaläolithikum befinden. Gut, ein anderer Hinweis ist der Name des Spiels, aber nur ein ganz kleiner.
Also kommt mit, lass uns einen Blick auf unserer Urahnen werfen und ihnen helfen, diese gefährliche Zeit zu überstehen.
(Michaeil Sergejewitsch Gorbatschow)
Paleo ist ein kooperatives Spiel, in dem wir uns unbekannten Herausforderungen gegenüberstellen, jedoch Stück für Stück mehr Wissen darüber erlangen, was uns erwartet.
Gesteuert wird das ganze durch ein Kartendeck, welches sich aus einem Satz Standardkarten und bis zu drei Modulen – je nach Szenario oder Wahl der Spieler – zusammensetzt. Diese Karten werden nun restlos an die Spieler verteilt und stellen quasi ihre Optionen dar; das, was die Spieler an einem Tag alles tun können. Dabei gibt es keine Vorgaben oder Ausgleichsmechaniken, damit jeder Spieler sich denselben Problemen gegenübersieht.
Am Zug sind immer alle gleichzeitig. Jeder nimmt die obersten drei Karten von seinem Stapel und sieht sich lediglich die Rückseiten an. Auf diesen ist schon einmal grob zu erkennen, was passieren könnte. So bieten Flusskarten vorwiegend Nahrung und Fell, während Waldkarten eher Nahrung und Holz liefern dürften. In unserem Lager heuern wir neue Mitstreiter an oder kümmern uns um die Werkzeugproduktion. Ideen und Träume geben uns neue Einsichten für zum Beispiel neues Werkzeug.
Hat sich jeder Spieler für eine Karte entschieden, wird diese aufgedeckt und abgehandelt. Dabei haben die Spieler auch die Möglichkeit, sich gegenseitig zu unterstützen (wenn es ihre Karte zulässt). Die Aufgaben erfordern immer, dass man bestimmte Voraussetzungen mitbringt (egal, ob über unsere Stammesmitglieder oder Werkzeuge) oder Karten abwirft. Bei Letzterem kommt es dann schon einmal vor, dass man Gefahrenkarten weggibt, was zu Lebenspunkteverlust einzelner Stammesmitglieder des Spielers führt.
Haben wir die Karte erfüllt, erhalten wir die Belohnung. Im Falle von Gefahrenkarten wenden wir allerdings auch mitunter nur eine Strafe ab. Danach wird die Karte abgelegt und wartet somit im nächsten Durchgang, respektive Tag, wieder auf die Spieler. Aber es gibt auch Karten, welche nach Erfüllung permanent aus dem Spiel gehen: Wenn wir ein Reh oder einen Wolf erjagt haben, dann ist dieser natürlich am nächsten Tag nicht mehr da. Wenn wir nicht nur eine Handvoll Beeren von einem Busch sammeln, sondern gleich einen ganzen Korb voll, dann ist auch der Beerenbusch an den folgenden Tagen aus dem Spiel. So müssen wir oftmals abwägen, ob wir eine Karte länger im Spiel behalten wollen oder lieber kurzfristig viele Ressourcen möchten – dann aber eventuell mageren Zeiten entgegensehen.
Sind alle Stapel leer, geht es in die Nachtphase über. Hier müssen wir unser Volk ernähren. Zusätzlich geben die aktuellen Missionskarten vor, was noch zu erfüllen ist. Je nach Modul gibt es hier die unterschiedlichsten Aufgaben – (wir wollen nicht zu sehr ins Detail gehen, denn die Erforschung und Entdeckung der Module ist ein fester Bestandteil des Spielerlebnisses). Danach beginnt ein neuer Tag, was bedeutet: Alle Karten, die wir zuvor abgelegt haben, werden erneut gemischt und wieder an alle Spieler verteilt. Nun wissen wir ein bisschen mehr darüber, was uns erwarten könnte.
Über das Spiel hinweg sammeln wir Teile unserer Höhlenmalerei. Ist diese vollendet, haben wir das aktuelle Spiel gewonnen. Sollten wir jedoch durch tote Stammesmitglieder oder andere negative Ereignisse zu viele Schädel gesammelt haben, verlieren wir.
Die komplette Spielregel zu Paleo findet ihr hier. (externer Link)
(Charles Kingsley)
Machen wir es kurz. Paleo ist ein hammermäßiges Spiel. Ende. War schön, dass ihr hier wart. Vergesst nicht die Tür zu schließen, ich muss Mammuts jagen. Was, das reicht euch noch nicht? Ok, ich hole ja schon weiter aus.
Also, ich habe ja stets davon gesprochen, dass ein gutes Spiel voller Entscheidungen steckt. Eben jener Entscheidungen, bei denen man in etwa weiß, was einen auf kurze Sicht erwartet und man dann durch Geisteskraft die beste Möglichkeit für einen selbst wählt. Aber vergesst mein Geschwätz von gestern. Paleo beschreitet einen anderen Weg. Hier müssen wir eine Wahl treffen, von der wir zwar grob wissen, was kommt, jedoch auch nie wirklich sicher sein können. Eben, wie man sich ein Leben in der Steinzeit so vorstellt, in der man sich entschied, am Fluss nach etwas essbaren zu suchen und dann eben das Problem hatte, dass ein hungriger Wolf dieselbe Idee hatte. Und genau das ist bei Paleo perfekt mit den einzelnen Karten eingefangen.
Gleichfalls ist ein steter Druck da. Schaffen wir es bis zur Nacht die nötigen Ressourcen aufzutreiben? Sind wir schnell genug darin, das Wandgemälde zu vervollständigen? Sollten wir jetzt wirklich Werkzeug basteln oder bereuen wir kurz darauf das fehlende Holz? Es ist gerade dieser Druck, der dafür sorgt, dass das kooperative Spiel Spaß macht. Wir diskutieren und entscheiden gemeinsam, wie es weitergehen soll. Gut, das Alphaspieler Problem schlägt auch hier zu, da stets mit offenen Informationen gespielt wird. Heißt, jeder kann sehen, was die anderen für Möglichkeiten haben. Aber ein freundlicher Hinweis sollte helfen. Ansonsten gibt es immer noch die hilfreichen Knebel.
Dank der teilweise suboptimalen Anleitung waren die ersten Partien etwas holprig. Aber auch für dieses Problem gibt es eine Lösung. Wer partout nicht ins Spiel finden kann, sollte mal einen Blick auf das Erklärvideo auf der Verlagshomepage werfen: Hans im Glück – Paleo
Mit diesem ist das Spiel dann auch für Familien gut geeignet, die eben nicht über das nötige Sitzfleisch verfügen, sich in ein Spiel „einzuackern“, aber dennoch einfach die Lust auf etwas anderes haben.
Sobald man die sieben Szenarien – die eigentlich keine sind – dann mal gewonnen und man alles gesehen hat, ist die Luft dann auch etwas raus. Denn der Hauptkern des Spiels bezieht sich ja auf das Entdecken. Ist man durch, hat man eben alles gesehen. Die Anleitung sieht dann vor, dass die Spieler einfach die Module nehmen sollen, auf die sie Lust haben – aber man kennt eben schon die Aufgabe. Ohne die Spannung der Entdeckung geht hier viel verloren. Ich hoffe, dass sich Peter Rustemeyer meiner erbarmt und dann doch Ideen für eine Erweiterung in der Schublade hat. Gerne auch mit einem anderen Szenario. Denn diese Mechanik wäre doch auch kompatibel für andere Geschichten. Wie wäre es mit einer Mars Mission? Oder doch einer Expedition durch das Amazonas-Gebiet? Ich wäre dabei!
Paleo von Peter Rustemeyer
Tolles gemeinschaftliches Erlebnis, das vielleicht nicht jeden Spieler zufriedenstellt, aber uns emotional packen konnte.
Christian:
Hinweis:
Wir haben das Rezensionsexemplar ohne Auflagen gratis vom Verlag bekommen.
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