SPIELSTIL Rezension
Lesezeit: 8 Minuten
Ein Spiel entwickelt von Maxime Tardif
erschienen bei Skellig Games
Wer findet unseren Planeten Erde nicht auch grandios? Fast könnte man meinen, da hat sich jemand richtig Mühe gegeben. Oder hätte man das vielleicht sogar noch besser machen können? Maxime Tardif gibt uns mit Erde, bei Skellig Games erschienen, genau diese Möglichkeit. Das Spiel lässt uns, ganz gottgleich, ein eigenes Ökosystem mit allem Drum und Dran bauen.
(Carl Sagan)
„Erde“ ist ein strategischer Engine-Builder für 1 bis 5 Personen. Es bietet sowohl einen kompetitiven Mehrspieler-, einen Team- als auch einen Solomodus.
Das Ziel des Spiels ist es, durch geschicktes Platzieren der Karten und Nutzen von Ressourcen das effizienteste und punkteträchtigste Ökosystem zu erschaffen. Es endet, wenn ein Spielender sein 4×4-Raster vervollständigt hat.
Jeder erhält ein Spielertableau und startet mit einer Handvoll Karten. Es gibt private und gemeinsame Zielkarten (Faunakarten) und Umweltkarten, die zusätzliche Punkte bringen.
Die Karten im Spiel stellen Pflanzen und Umweltfaktoren dar, jede ist einzigartig. Jeder baut an seinem eigenen Kartenraster, dabei muss jede Karte an bereits ausliegende Karten angrenzen. Die Ressourcen im Spiel umfassen Erde, Sprossen und Wachstum, die benötigt werden, um Karten zu aktivieren und zu punkten.
In jedem Zug wählt der aktive Spielende eine von vier Hauptaktionen. Die Aktionen erlauben Karten von der Hand auf das Raster zu „pflanzen“, neue Karten zu ziehen, Sprossen oder „Bäume“ wachsen zu lassen, Erde zu erhalten und Karten zu kompostieren. Jede der Hauptaktionen hat eine abgeschwächte Version, die die Mitspielenden parallel ausführen dürfen. Außerdem werden die Fähigkeiten der bereits ausgespielten Karten aktiviert. Welche das sind bestimmt die Farbe der Aktion, passt sie mit der Farbe auf der Karte zusammen, kommt sie ebenfalls zum tragen.
Das Spiel endet, wenn ein Spieler sein 4×4-Raster vollständig gefüllt hat. Die aktuelle Runde wird dann noch beendet, so dass alle die gleiche Anzahl an Zügen hatten. Punkte werden für erfüllte Faunakarten, kompostierte Karten und das Wachstum auf den Karten vergeben. Der Spieler mit den meisten Punkten gewinnt.
Die komplette Spielregel zu Erde findet ihr hier. (externer Link)
(Carl Sagan)
Stellt euch vor, wir wären ein Trupp botanischer Wunderwerker und Genies mit einem überbordenden inneren Öko-Bewusstsein, die aus einem Haufen unscheinbarer Karten ein blühendes Paradies erschaffen wollen – vielleicht. Dann könnte man meinen, Erde wäre genau das richtige für uns. Na ja, nicht ganz. Maxime Tardif, der Entwickler von Erde, lässt uns das oberflächlich machen aber eigentlich bauen wir eine Engine. Und ob diese entwickelte Engine in einem Ökosystem einen Sinn ergibt, ist vollkommen egal. Wichtig ist wir bekommen Punkte dafür, sehr viele davon, oder noch besser, die meisten.
Die Vielfalt der Karten in „Erde“ ist beeindruckend. Jede ist einzigartig. Es gibt leider Momente, da fühlt man sich wie ein Archäologe, der versucht, antike Hieroglyphen zu entschlüsseln. Gerade anfangs stolpert man noch etwas unbeholfen durch das Unterholz der Symbole. Prinzipiell sollte man sich in der ersten Partie darauf konzentrieren die Funktionsweise der Karten und deren Zusammenspiel zu verstehen. Die Anleitung ist an manchen Ecken etwas sparsam und ein paar zusätzliche Klarstellungen wären wünschenswert gewesen. Wer aber noch immer ein paar offene Fragen hat, findet in den FAQ von Skellig vielleicht eine Antwort.
Hat sich der Dschungel nach der ersten Partie etwas gelichtet, kann man mit vollem Schwung ins Engine-Builder Business einsteigen. Hier gibt es unzählige Möglichkeiten, um richtig großartige Kombinationen zu entdecken. Eine Karte pflanzen bedeutet, sie ins eigene Raster zu spielen, dabei muss man sich genau überlegen, welche Karte wohin kommt. Und da sind sie wieder die Zwänge und Zweifel, die man so gerne beim Spielen hat und trotzdem verflucht. Ist das zu diesem Zeitpunkt die richtige Karte? Soll ich so viel dafür ausgeben, kann ich mir das leisten oder ist es doch zu viel? Jede Karte bietet eine einzigartige Kombination aus Platz für Wachstum (die Bäumchen), Sprossen (die grünen Würfel), Eigenschaften und Fähigkeiten. Genau diese Eigenschaften und Fähigkeiten, machen das Platzieren besonders und über die Spielzeit hinweg interessant. Es gibt Karten die Punkte bringen, wenn andere Karten mit definierten Eigenschaften direkt neben, in einer Reihe mit, oder diagonal zu ihnen gepflanzt sind. Das will man alles beachten. Doch sollte man das alles nicht übertreiben. Hat man zu viele solcher Wertungskarten, wird die Pflanzerei unübersichtlich. Oder wartet man zu lange auf die richtigen Karten so kommt man nie zu Potte. Hier merkt man dann auch, dass man gar nicht so viel Macht über das zu bauende Ökosystem hat. Denn wer Erde spielt, braucht manchmal einfach Dusel. Oft entscheiden die Karten, ob es eine gut geölte Maschine wird oder ein rostiges Ding an dem sich wenig bewegen lässt.
Alles wie im eigenen Garten: wässern, wachsen lassen und kompostieren – alles zur richtigen Zeit, versteht sich. Wer zu früh pflanzt, riskiert, die wichtigen Karten nicht zu bekommen, und wer zu lange wartet, könnte wertvolle Züge verlieren.
Weitet man seinen Blick von den Bäumen und Pflanzen auf das große Ganze, in diesem Fall das Gameplay, dann fällt dessen Schlichtheit inklusive eines Kniffs auf. Wer an der Reihe ist hat die Wahl aus nur vier Aktionen. Die Auswahl fällt den meisten leicht. Man hat also nicht viele Möglichkeiten für eine tiefe Grübelstarre. Das heißt man wartet selten, bis der aktive Spieler seinen Zug beginnt. Die Wartezeit wird noch durch ein geniales Detail verkürzt. Jeder ist immer am Zug. Die Hauptaktion führt der Spielende aus, der gerade am Zug ist, jedoch dürfen alle anderen eine abgeschwächte Version der Hauptaktion ausführen. Damit geht die Downtime fast auf null herunter und man ist immer im Spielgeschehen involviert. Schön! Natürlich hilft man dabei seinen Mitspielenden, wenn man für sie genau die richtige Hauptaktion wählt. Aber das hat in unseren Partien nur eine untergeordnete Rolle gespielt.
Nachdem die Aktionen durch sind, werden die Fähigkeiten der Karten aktiviert. Das geschieht über den Farbcode der Aktion. Karten mit der gleichen Farbe (es gibt auch Karten mit drei Farben) wie die Aktion werden aktiviert. Dabei muss man aufpassen und akribisch durch die Karten gehen. Die Regel gibt vor, dass man von links nach rechts und von oben nach unten durch die Auslage geht. Das ist sinnvoll, wer hier nachlässig ist, übersieht und verschenkt wertvolle Fähigkeiten. Hat man eine breite Streuung bei den Farben, so gibt es hier ständig was zu tun. Erde ist hier sehr belohnend.
Am Ende der Partie, bei der Ernte, zeigt sich Erde als sehr großzügig. Man bekommt für fast alles, was man während der Partie gemacht hat Punkte. Natürlich will man als Homo Oeconomicus sein Ökosystem unterwerfen und ausquetschen, um rauszuholen was geht. Hier zeigt sich, welche Kombination funktioniert hat, ob es sinnvoll war diese oder jene Karte zu pflanzen oder auf eine weitere zu warten. Trotzdem, wenn die Partie nicht so lief wie gewünscht, bekommt man noch immer für vieles erreichte einen Batzen Punkte.
Ich muss gestehen, dass das Design von Erde nicht unbedingt danach schreit einen Preis zu bekommen. Es macht, was es soll, das meiste ist sehr nüchtern umgesetzt. Mir ist auch klar, dass gerade die vielen einzigartigen Karten nicht individuell gestaltetet werden konnten. Manches sieht einfach nach Stockphotos aus. Andere sehen fast wie von einer KI generiert aus. Das kann uns in Zukunft wohl öfter passieren, aber das ist ein anderes Thema.
Im positiven Sinne „süß“ ist das seltsam betitelte „Wachstum“. Wir nannten es immer Bäumchen. Auf den Karten kann man diese Bäumchen wachsen lassen. Es gibt Teile für den Stamm und eine Krone, die es in verschiedenen Farben gibt. So zieht man während der Partie einen kleinen Wald heran.
Reden wir endlich über den roten Elefanten im Raum.
In seiner ersten Partie Erde habe ich Christian gefragt, an welches Spiel erinnert dich das? Die erwartete Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: „Terraforming Mars“. Und es stimmt, Erde spielt sich fast wie Terraforming Mars (TfM), nur ohne gemeinsames Spielbrett. „Böse Menschen“ haben immer mal wieder behauptet man soll den anderen am Tisch das Terraforming überlassen und sich nur um die eigenen Projekte kümmern. Erde implementiert diesen Ansatz. TfM ist schon keine Interaktionsbombe, doch Erde ist noch eine Ecke solitärer.
Mir haben die Partien mit Erde immer „ganz gut“ gefallen. Das „ganz“ habe ich absichtlich geschrieben. Erde ist im positiven Sinne nett. Es ist flott gespielt, bietet ein gutes Gameplay, eine schöne und belohnende Aufgabe. Würde ich es selbst nochmals auf den Tisch holen? Wahrscheinlich nicht, ich habe Terraforming Mars im Schrank und mir gefällt dieses Spielerlebnis deutlich besser. Würde ich es woanders mitspielen? Sicher, warum nicht.
Erde von Maxime Tardif
Robert:
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