SPIELSTIL Rezension
Lesezeit: 11 Minuten
Ein Spiel entwickelt von Cole Wehrle
erschienen bei Leder Games
Oh, ARCS, was für ein toller Name für ein Spiel! Er erinnert uns direkt an etwas bestimmtes, nur an was eigentlich? Vielleicht Kurven? Oder doch Bögen? Ich habs gleich – nein doch nicht…. Ich schätze es geht hier eher um Handlungsbögen. ARCS wird schließlich in Kapiteln gespielt. Und Handlungsbögen gibt es viele, nicht umsonst steht im Untertitel “Conflict and Collapse…”.
Der Verlag hinter diesem Abenteuer ist Leder Games, bekannt für seine ebenso bezaubernden wie strategischen Spiele. Entwickelt wurde das Spiel von Cole Wehrle, einer meiner Lieblingsdesigner und dem Architekten genialer Brettspiele, die aber selten etwas mit „einfach zu erlernen“ zu tun haben
ARCS ist ein Spiel für 2 bis 4 Spieler, wähle sie mit Bedacht, denn nur eine eingeschworene Truppe überlebt dieses strategische Feuerwerk. Die Spieldauer? Offiziell 60 bis 120 Minuten, aber realistisch gesehen brauchst du ein Wochenende, um es zu verstehen, zu spielen und dich emotional von der Niederlage zu erholen.
Wenn du also schon immer davon geträumt hast, in eine Galaxie voller politischer Intrigen, militärischer Manöver und schwerer Entscheidungen einzutauchen in der sich von einem Zug zum nächsten alles ändern kann, ist ARCS wahrscheinlich genau dein Ding. But no worries, wenn du kein Fan von strategischen Schwergewichten bist – es gibt genügend Gelegenheit, dich während des Spiels in die Verzweiflung zu stürzen und dich zu fragen, warum du nicht doch auf Frantic bestanden hast.
Wir haben die englische Version von Leder Games getestet, daher kann es sein, dass manche Begriffe in der deutschen Version anders übersetzt werden. Die deutsche Version wird bei Spielworxx erscheinen.
(Sun Tzu)
In ARCS übernehmen die Spieler die Rolle von intergalaktischen Fraktionen, die versuchen, einen sehr entlegenen Teil des Universums, in ARCS Reach genannt, zu beherrschen. Eine Partie ARCS geht entweder über 5 Runden, hier Kapitel genannt, oder bis jemand einen gewissen Punktewert erreicht oder überschritten hat.
Das Spiel ist durch Karten getrieben. Es gibt sie in 4 Farben, die eine Kombination der 7 Basisaktionen vorgeben, aus denen man wählen kann. Sie haben Zahlen von 1 – 7 (Spiel zu viert) oder 2 – 6 (zu zweit / dritt) und Caro Zeichen genannt Pips, je kleiner die Zahl, desto mehr Pips und andersherum. Die Pips geben an wie viele Aktionen später gemacht werden dürfen.
Wer die Initiative hat, ist Startspieler und spielt die Lead-Karte, führt zuerst das Präludium und danach die Aktionen aus, die die Karte erlauben. Im Präludium gibt man Ressourcen aus, um weitere Basisaktionen auszuführen. Alle anderen haben danach die Möglichkeit die Lead-Karte in der gleichen Farbe zu überbieten, zu kopieren oder die Farbe zu wechseln. Die letzten beiden gestatten jeweils nur eine Aktion der Lead-Karte oder der gespielten Farbe.
Die Basisaktionen erlauben:
Siegpunkte gibt es nur für Ziele, die in dieser Runde ausgerufen wurden. Das geht bis zu drei Mal / Kapitel. Ein Ziel kann auch mehrfach ausgerufen werden. Drei der Ziele gehen auf Ressourcen, während die beiden anderen auf Gefangene bzw. Trophäen gehen. Die Ziele werden am Ende der Runde gewertet, wer die Mehrheit / zweitmeisten bei den ausgerufenen Zielen hat bekommt Siegpunkte.
Eine Weltraumschlacht besteht aus einem einzigen Würfelwurf! Die Anzahl der Würfel entspricht dabei der Anzahl der angreifenden Schiffe. Der Aggressor hat die Wahl aus drei verschiedenen Würfeltypen. Die Blauen, 50/50 Chance für nichts passiert oder der Gegner erhält einen Schaden. Die Roten machen mehr Schaden beim Gegner, aber es gibt eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass man selbst auch Schaden nimmt. Zu guter Letzt die Orangen, mit ihnen lässt sich brandschatzen, also vom Gegner stehlen und gegnerische Gebäude zerstören.
Das Ziel des Spiels? Universelle Dominanz, wie üblich, beziehungsweise die meisten Punkte.
(Albert Einstein)
Nun, ARCS ist wirklich eines dieser Spiele, das versucht, viele Dinge gleichzeitig zu sein – und ja Cole Wehrle gelingt es mit diesem Spiel sogar. Bevor wir uns in die Analyse stürzen, lassen wir uns über die Kernfrage sprechen: Warum sollte man ARCS spielen, wenn man auch einfach sein Leben genießen könnte? Die Antwort: Weil ARCS genau das richtige Maß an Freude und Frust kombiniert, dass einem Spieler einen netten Abend und gleichzeitig eine Art mentale Folter bescheren kann. Das klingt überzogen? Ehrlich gesagt, nein. Denn eine Partie kann, je nachdem mit wem man spielt, eine echte Achterbahn der Gefühle sein. Nichts, aber auch gar nichts, ist sicher bei diesem Spiel. Wer sich in einem Kapitel auf der Siegerstraße wähnt und meint heftig zu punkten, kann schon nach wenigen Zügen Haare raufend auf das Spielbrett starren. Auf der anderen Seite erlebt man echte emotionale Höhenflüge, wenn der Plan aufgeht.
Aber schauen wir auf die Einzelheiten und wir fangen selbstredend bei den Karten an. Sie sind Dreh- und Angelpunkt der Aktionswahl, nichts geht, ohne dass man eine Karte spielt. Wer die Initiative hat, kommt mit der ersten Karte raus. Hurra, und schon haben wir das Hirnzwirbler und Mind-bender Areal betreten. Die Wahl der Karte ist eine Wissenschaft für sich. Die Gedanken kreisen dabei um die Fragen: Was will ich machen? Habe ich die richtige Karte? Nein? Verdammt! Und jetzt? Plan B, C, D? Die “richtige” Karte zu haben ist so eine Sache, denn das hängt von sehr vielen Faktoren ab. Wer sich zumindest ungefähr merken kann, welche Karten schon über den Tisch gingen, hat schon einen Vorteil. Ich als bekennender Kartenspielversager habe mir das einigermaßen auf die harte Tour in meinen ARCS-Partien angeeignet. Hat man sich für eine Farbe entschieden und damit für eine bestimmte Auswahl der 7 Basisaktionen, kommt noch die Wahl des Wertes der Karte (soweit möglich). Je kleiner die Zahl, umso mehr Aktionen kann man ausführen und andersherum. Aber, je höher die Zahl, umso grösser ist die Chance, dass niemand am Tisch eine höhere Karte spielt und damit die Initiative an sich reißt. Lead oder Startspieler zu sein hat definitiv Vorteile. Man bestimmt die Farbe und hat meistens mehr Aktionen als die anderen. Natürlich will man oft mehr machen als die Karte erlaubt und ARCS bietet diese Möglichkeit. Nach dem man seine Karte gespielt hat, darf man Ressourcen ausgeben, um weitere Aktionen auszuführen. Jede Ressource bietet dabei andere Möglichkeiten. Nur ist das, wie bei ARCS üblich, alles nicht so einfach. Denn es gibt genug Ziele, bei denen man genau diese Ressourcen braucht um punkten zu können. Und über die Ziele haben wir ja noch gar nicht richtig gesprochen!
Siegpunkte bekommt man ausschließlich, wenn ein Ziel für diese Runde erklärt wurde und das kann nur der Lead. In dem Fall wird der Wert der gespielten Karte auf 0 gezogen, was meistens bedeutet, dass man ziemlich sicher die Initiative verliert. Man überlegt daher schon ziemlich genau ob und wann man das macht. Wir haben aber in ARCS auch schon Kapitel erlebt, in denen nicht ein Punkt gewonnen wurde. Auch hier können die Karten einen Strich durch die Rechnung machen, weil man die richtige Karte braucht, um ein bestimmtes Ziel zu erklären.
Schwirrt euch das edle Haupt? Glaube ich sofort. Mein Ziel ist es auch nicht das Spiel hier zu erklären. Ich möchte darstellen wie großartig die Kernmechanismen von ARCS ineinandergreifen und zu einem genialen System verschmelzen. Aber natürlich haben diese vielen Verknüpfungen ihren Preis, den man in Denk-Minuten bezahlt. Wer eine ausgeprägte Downtime-Allergie hat, wird sich besonders anfangs schwertun. Wie so oft wirds erst schlimmer, bevor es besser wird. Bei ARCS ist das auf jeden Fall so. Eine eingespielte Truppe schafft die Partien, in einer deutlich kürzeren Zeit als zu Beginn.
Aber wie spielt es sich nur mit den Karten? Ja, sie schränken ein aber genau das ist ein Teil der Herausforderung des Spiels. Mach das Beste aus dem, was du auf der Hand hast und ich muss sagen das gelingt meistens sehr gut. Außerdem bietet ARCS Mechanismen an wie man auch mit unpassenden Karten noch richtig was rausholen kann, wie zum Beispiel das Präludium. Auf der anderen Seite fühlen sich manche Spielenden von den Karten im positiven Sinne geführt und sicherer. Sie reduzieren die Auswahl der möglichen Basisaktionen, weil es nur die Möglichkeiten auf der Hand gibt und nichts anderes. ARCS ist aber kein Stichspiel im herkömmlichen Sinne. Es mag sich so anfühlen, aber man macht nie einen, weil es schlicht keinen Stich gibt. Das Einzige was dem nahe kommt, ist sich die Initiative (den Startspieler) zu schnappen. Was man prinzipiell auf 2 Arten machen kann, man spielt eine höhere Karte derselben Farbe als der Lead oder man spielt 2 Karten, die zweite verdeckt. Letzteres sichert auf jeden Fall die Initiative, das kann teuer sein, weil man dann einen Zug weniger hat. Aber zum richtigen Zeitpunkt kann dies genau die richtige Strategie sein. Und auch hier bietet ARCS Möglichkeiten das zu umgehen oder auszugleichen. Und auch wenn die Karten mal nicht so rassig sind, so gibt es einen weiteren Aspekt bei ARCS der extrem wichtig ist: Wann mache ich was? Timing kann gar nicht hoch genug geschätzt werden. ARCS ist ein sehr dynamisches Spiel. Dinge können sich von einem Zug zum nächsten dramatisch ändern. Man muss ein gutes Gefühl dafür entwickeln, wann ein Zug sinnvoll ist. Zum Beispiel, wann erkläre ich ein Ziel? Sobald ein oder mehrere Rundenziele klar sind, kreisen die Geier in Form der anderen am Tisch. Mache ich das zu früh werden mir, die sauer erarbeiteten Ressourcen abgenommen. Mache ich es zu spät, gibt es weniger Punkte oder alle drei Ziele wurden schon erklärt, nur nicht das auf das ich gern gewettet hätte. Wann und wo baue ich Schiffe oder Gebäude und wo platziere ich sie. Und – irgendwann ist es bisher in jeder Partie passiert – wann greife ich an?
Was wäre eine Space Opera ohne Raumschiffschlachten? Natürlich gibt es die auch in ARCS und die sind wunderbar elegant gelöst. Für einen Angriff nimmt der Aggressor einfach Würfel, so viele wie er Schiffe im System hat. Dabei sucht er sich die aus, die am besten zu seiner Mission passen. Will er es locker und sicher angehen, dann nimmt er die blauen. Die machen weniger Schaden aber man selbst bekommt keinen. Die roten haben es dafür schon in sich, dieses Gefecht wird auf beiden Seiten grosse Opfer fordern. Will der Angreifer doch lieber brandschatzen? Dann auf jeden Fall die gelben Würfel, sie beschädigen Gebäude und erlauben wertvolle Ressourcen und Karten zu stehlen. Es macht Spass die Würfel auszusuchen und zu werfen. Der Kampf ist einfach erklärt, schnell abgehandelt und trotzdem spannend.
ARCS wurde von Cole Wehrle ausgezeichnet designed. Man merkt geradezu, wie viel Arbeit in dieses Regelwerk geflossen ist. Die einzelnen Systeme und Mechanismen des Spiels greifen perfekt und sinnvoll ineinander. ARCS ist ein sehr reduziertes Spiel, alles, was zu viel ist wurde entfernt und doch es fehlt überhaupt nichts. Trotzdem ist das Spiel so gestaltet, dass jede Partie in ihren Kapiteln eine Geschichte erzählt. Und jede hat auch einen Spannungsbogen. Anfangs breitet man sich noch recht friedlich aus und es gibt auch noch wenig Siegpunkte für die Ziele zu ergattern. So steigt die Spannung in den folgenden Kapiteln, bis leider und das ist mein wichtigster Kritikpunkt: Im fünften Kapitel die Spannung gegen Ende oft regelrecht absäuft. Die Züge fühlen sich dann nicht mehr relevant an, die Partie ist schon gelaufen. Verglichen mit Spielen wie „Twilight Imperium“ oder „Eclipse“ hat ARCS eine etwas leichtere, weniger kriegerische Note, aber das bedeutet nicht, dass es weniger anstrengend ist. Zurück zu Cold Wehrle: Ist es sein bestes Spiel bisher? Ich finde auf jeden Fall! Nach dem doch überbordenden Oath hat er sich wieder selbst übertroffen und was sehr Eigenes geschaffen, das klar seine Handschrift trägt. Ich kann die Begeisterung für ARCS völlig verstehen und was wäre unser Bubble ohne einen Hype? Aber ARCS kann weder stricken noch Warzen heilen. Es ist für mich auch nicht das beste Spiel des Jahres 2024. Dafür ist es einfach zu speziell, zu nischig und wird trotz aller Genialität, die drinsteckt, meines Erachtens gar nicht so viele Menschen an den Tisch locken.
ARCS von Cole Wehrle
ARCS kombiniert brillante Mechaniken und großartige Interaktion mit einem Höchstmaß an Tiefe – es ist bei weitem nicht für jeden geeignet. Wenn du bereit bist, den galaktischen Wahnsinn zu überstehen und dich auch mal traust anzugreifen, wirst du mit einem epischen Erlebnis belohnt.
Robert:
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