SPIELSTIL Rezension
Lesezeit: 7 Minuten
Ein Spiel entwickelt von Jonathan Algaze
erschienen bei Asmodee
Mit Lizenzprodukten lässt sich richtig gutes Geld machen. Denn man setzt damit auf eine Marke, die den Menschen bereits in derart guter Erinnerung ist, dass sich die damit versehene Ware wie geschnitten Brot verkauft. Dass der Plan nicht immer aufgeht, bewies – in einem der bekanntesten Beispiele – Atari mit ET. Ob das Spiel tatsächlich den Videospielcrash 1983 auslöste, ist umstritten. Aber man kann es zumindest als Beispiel dafür hernehmen, dass die Qualität von Spielen in direktem Zusammenhang mit dem Interesse des Marktes an selbigen steht.
Dabei stand ET eben unter keinem guten Stern und es ist Howard Scott Warshaw kaum vorzuwerfen, was er da fabriziert hat. Dieses kleine, fehlerhafte und fast unlösbare Spiel entstand in gerade einmal 5 Wochen. Mehr Zeit blieb nicht, denn Atari wollte das lukrative Weihnachtsgeschäft einfangen. Doch die Qualität und die mehr als optimistisch produzierten fünf Millionen Cartridges sorgten dafür, dass das Spiel finanziell gesehen ein Flop wurde.
Zu unser aller Glück haben sich die Umstände über die Jahre hinweg verbessert. Markeninhaber haben ein größeres Interesse daran, ihr geistiges Kind vor allem Unbehagen zu schützen. Denn nur, wenn das positive Bild in der Öffentlichkeit gewahrt bleibt, kann man weiterhin Geld verdienen. Wie wir alle wissen, ist Harry Potter eine solche Cash-Cow, die sich über die Jahre hinweg nicht nur gut gehalten hat, sondern als großes Popkultur-Phänomen in allen Ecken der Welt bekannt ist. Auch im Bereich der Brettspiele gibt es diverse Titel, die in der Wizarding World angesiedelt sind. Zuletzt hat uns hier das bei Kosmos erschienene Kampf um Hogwarts so richtig begeistert. Etwas, das Harry Potter: Ein Jahr in Hogwarts leider nicht vergönnt ist.
(François VI. Herzog de La Rochefoucauld)
Lasst uns das Spiel einfach kurz zusammenfassen. Jeder Spieler steuert einen Schüler in Hogwarts. Am Zug bestimmen zwei Würfel, wie weit man gehen muss. Das Feld, auf dem wir landen gibt an, was geschieht. Hier können wir zu Beispiel neue Karten (Zauber, Bücher, Tränke) aufsammeln oder Abenteuer erleben (Ereigniskarten ziehen). Es ist möglich, Unterrichtsstunden zu absolvieren (hier bekommen wir Hauspunkte, wenn wir die richtigen Bücher mitbringen), Gegenstände einzusammeln und Missionen zu bestehen, nur um mal einen Teil zu nennen.
Treffen wir auf einen Mitspieler oder Todesser, müssen wir stehen bleiben und Kämpfen. Hierfür stehen uns Würfel, Zauber und Tränke zur Verfügung. Zu guter Letzt kann man sich mit Flohpulver über die Turmzimmer auf besondere Orte, die man aus Buch und Film kennt, teleportieren. Außerdem können wir eine Partie Quidditch spielen oder dort den Portschlüssel verwenden.
Ziel ist es, Hauspunkte zu sammeln und Missionen zu bewältigen, damit die (je nach Spiellänge variierenden) Siegbedingungen erfüllt werden.
Die komplette Spielregel zu Harry Potter: Ein Jahr in Hogwarts findet ihr hier. (externer Link)
(Germaine Baronin von Staël-Holstein)
Wer hat nicht schon immer davon geträumt, durch die Hallen von Hogwarts zu wandern? Sich in den altehrwürdigen Gängen herumzutreiben, in den magischen Künsten unterwiesen zu werden und Abenteuer zu erleben? Und genau das verspricht Harry Potter: Ein Jahr in Hogwarts und versagt dabei dermaßen auf der ganzen Linie, dass es fast schon schmerzhaft ist.
Im Kern besteht der Titel aus einem einfachen Würfel-Laufmechanismus. Zwei sechsseitige Würfel bestimmen dabei 2 – 12 Felder, die man sich bewegen muss. Egal, was ist, man muss weiterlaufen. Außer natürlich, man landet auf einem der Felder, bei denen es möglich ist, stehen zu bleiben. Und das beschreibt schon im kleinen Rahmen eines der Probleme des Spiels. Die vielen Fitzelregeln, die ein extrem einfaches Erlebnis unnötig kompliziert machen. Warum? Weil man eben alles in der Welt der Zauberer mit diesem vermaledeiten Würfel-Laufmechanismus verbinden wollte und dadurch die Regeln auf 13 Seiten aufbläst ohne einen richtigen Mehrwert zu bieten. Und diese Kompliziertheit setzt sich durch das komplette Spiel fort.
Nun bin ich, sagen wir mal, weit fortgeschritten in meinem Wissen rund um Spiele und ihren Mechanismen. Ich habe mir schon harte Brocken erarbeitet und somit auch weit weniger Probleme mit den Regeln von Harry Potter: Ein Jahr in Hogwarts, als unerfahrene Spieler haben dürften. Und das, obwohl einem alles entgegengeworfen wird, was die Lektüre erschwert. Ein unübersichtlicher Aufbau, versteckte Regeldetails in Nebensätzen und Lücken, in die problemlos ein Elefant passen würde. Beispiel gefällt? Nehmen wir eine Partie Quidditch. Hier hat jeder Spieler seine Sportler mit unterschiedlichen Fähigkeiten. Unter anderem einen Torhüter, der sich auf drei Feldern vor drei Toren befinden darf. Nun gibt es die Standardsituation, in der ein Spieler einen Ball auf eines der Tore werfen darf. In den Regen steht nun, dass dieser und der Torhüter einen Würfel werfen. Hat der Angreifer das höhere Ergebnis, gibt es einen Punkt fürs Team, wenn nicht, wurde der Ball abgewehrt. Aber muss der Torhüter auch zwischen Werfer und Tor sein? Und wenn nicht, warum hat er dann überhaupt drei Felder zur Auswahl? Details, die trotz der vielen aufgezählten Mini-Regeln fehlen. Muss man eigentlich noch erwähnen, dass das Quidditch Minispiel den Fluss derart unterbricht und für alle Zuschauer zur Geduldsprobe wird? Und dass ein Wettlauf um das Quidditch Feld (erneut mit zwei Würfeln und ein paar Karten) nicht das ist, was ich mir unter der Jagd nach dem Schnatz vorstelle?
Und genau das ist das Problem von Harry Potter: Ein Jahr in Hogwarts. Es will zu viel und gibt dem Spieler dabei zu wenig. Ein Problem, das vor Kurzem auch der weiße Hai in etwas abgeschwächter Form hatte. Man hat versucht, zu viel in das Spiel zu packen, anstatt sich auf den Kern zu beschränken und diesen wirklich sauber auszuarbeiten. Was auch für die Laufwege selbst gilt. Der Spielplan ist an die Karte des Herumtreibers und ihrer Darstellung im Film angelehnt. Dabei ist sie jedoch – so schön sie auch anzusehen ist – vollkommen unübersichtlich. Hat man bereits Probleme im Schloss Laufwege nachzuvollziehen, wird das Ganze auf den separaten Spielplänen noch weiter auf die Spitze getrieben.
Dann wären da noch die Kämpfe. Es ist ja ok, dass man noch etwas Würze in das Spiel bringen möchte, indem man die Spieler gegeneinander kämpfen lässt. Aber warum ist dies ein Muss? Bei all der ansonsten angewandten Thematik ist man nun gezwungen, das Harry und Hermine auf Leben und Tod kämpfen, wenn sie sich über den Weg laufen? Und was ist mit den ganzen Lehrern, die bei Streitigkeiten der Schüler dazwischengegangen wären? Vor allem, wenn man dann noch kurzerhand einen unverzeihlichen Fluch (Avada Kedavra) ausspricht? Und warum werden überhaupt Zauber integriert, die einem Gegner nicht einmal die Chance geben, sich zu verteidigen?
Wäre das Spiel also durch Hausregeln zu retten, die sich um diese Probleme kümmert. Nein, meines Erachtens nicht. Der Karren steckt schon viel zu weit im Dreck. Denn auch so würde das Spiel einfach eine langweilige Würfel-Lauforgie bleiben, die selbst den größten Potter Fan nicht zu begeistern weiß. Denn auch ein Lizenzprodukt muss einfach mehr können, als bekannte Passagen, Figuren und Gegenstände zu zitieren. Und wenn ich dann wieder einmal mit 12 Schritten quer durch das Schloss spurte und merke, wie egal mir das Ganze inzwischen geworden ist, weiß ich, dass ich meine Zeit verschwende, die selbst bei drei Spielern weit über der angegeben Spieldauer liegt.Und obwohl ich auch Titel, die mir nicht gefallen, immer wieder spiele, bevor ich eine Meinung abgebe, konnte ich mich bei Harry Potter: Ein Jahr in Hogwarts nicht mehr dazu aufraffen. Denn das Spiel hatte bis auf das Thema überhaupt nichts, was mich nochmals an den Spieltisch gebracht hätte. Das perfekte Beispiel dafür, warum weniger mehr sein kann.
Harry Potter: Ein Jahr in Hogwarts von Jonathan Algaze
Unnötig aufgeblähte Lizenzverwurstelung, die eigentlich der Traum eines jeden Potter-Fans hätte sein sollen. So leider nur langweilig und uninspiriert.
Christian:
Hinweis:
Wir haben das Rezensionsexemplar ohne Auflagen gratis vom Verlag bekommen.
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Oliver Kintzel
Ja, manche Regel ist nicht ganz zu Ende gedacht oder fehlt. Aber es wird schnell klar, wie etwas gedacht ist.
Es ist ein sehr abwechslungsreiches Spiel und macht einfach einen Riesenspaß. Allerdings dauert es bei uns eher 3 Stunden als 45 min. Ich bin für mich daher ganz dankbar, wenn mal zwischendurch 15 min Quidditch gespielt wird, kann man mal kurz abschalten.
Gut also für graue Tage im Kreis der Familie oder mit Freunden.
Donngal
Ich würde der Rezension Recht geben in vielen Punkten, bewerte das ganze aber weniger dramatisch.
Die Regeln sind sicher nicht optimal strukturiert und auch nicht ohne Lücken, durch ein paar Anpassungen und Auslegungen habe ich das Spiel allerdings so spielen können dass es uns als Familie mit 2 Kindern viel Spaß macht.
Die Spielzeiten sind allerdings wirklich optimistisch, wir spielen meist für die kürzeste Variante 1,5-2 Stunden. Und haben noch kein Quidditch Spiel gespielt, das liessen wir bisher außen vor.
Das Material ist wirklich schön und angenehm zu bespielen. Mir fehlen ein paar Charaktere, es wäre schön gewesen bei den Schülern noch ein wenig mehr Auswahl zu haben, wessen Rolle man einnimmt.
Sicherlich kein perfektes Spiel, aber für mich ein angenehm komplexes um mich nicht zu langweilen wie viele, viele andere Spiele die meine Kinder spielen wollen.
Christian Renkel
Die Anpassungen und Auslegungen würden mich tatsächlich interessieren. Was macht ihr anders? Vielleicht lässt sich das Spiel ja durch Hausregeln noch retten. Wäre schön, da ich einen riesigen Harry Potter Fan Zuhause habe, dem ich gerne eine Freude machen würde.
Donngal
Da müsste ich nochmal genau durch die Anleitung blättern, ich habe das während des Spiels gemacht, wenn mir etwas komisch vorkam.
Zum Beispiel habe ich die Regel eingeführt, dass man für die Erfüllung einer Aufgabe nicht mit genauem Würfeln auf den Ort kommen muss, sondern es reicht wenn man mehr Züge hat als man benötigt. Wie bei den Türmen also.
Weil meine Kinder noch nicht alle Bücher kennen spielen wir nur mit 10 Missionen, wenn jemand eine Mission erfüllt hat, muss er die benötigten Gegenstände nach Hausregeln wieder auf den Spielplan legen, sonst kann er die andern zu sehr blockieren.
Bei 4 Spielern haben wir nur 10 Missionen, so dass jeder nur 2 bekommt, was wir dadurch ausgleichen, das nach Erfüllung einer Mission eine neue gezogen werden kann und die alte unter den Stapel kommt. Führt aber auch dazu das Missionen doppelt gespielt werden können.
Ich hatte überlegt den Krankenflügel wie einen Turm zu behandeln, damit das LP aufladen nicht so mühseelig ist, aber das dann verworfen, weil es dann deutlich zu einfach wäre.
Wir spielen ohne die Regel dass die Spezialfähigkeit des Gegners auch noch einmal ausgeführt wird obwohl er in dieser Runde besiegt wurde.
Ausserdem verzichten wir auf Duelle zwischen den Spielern, nur weil man sich über den Weg läuft.
Das sind einige der Regeländerungen die ich eingeführt habe.
Eine Sache für die ich noch keine Lösung hatte: Bei dem Kampf gegen den Klatscher erhält der Spieler ganz am Anfang 3 Schaden, dann nie wieder, das heisst, geht er mit mehr als 3 LP in den Kampf ist der Sieg sicher und man würfelt so lange bis der Klatscher besiegt ist. Etwas sinnfrei dieser Kampf.
Christian Renkel
Danke, das sind doch schon mal interessante Vorschläge.
Ich überlege gerade, ob ich die nächste Runde mit Aktionspunkten angehe. Also anstatt zu würfeln und zu sagen, dass jemand 12 Felder laufen muss und der andere 2 (beides Extremwerte) zu sagen, dass jede Aktion einen Aktionspunkt kostet. Davon hat jeder 10 zur Verfügung. Heißt 1 Schritt, 1 AP. Eine Aktion auslösen, 1 AP. Also zum Beispiel im Unterricht punkten oder Karten aufnehmen. Das macht das ganze etwas planbarer und nicht ganz so willkürlich.
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