bg2gether - August 2023 - Brettspiel in sozialen Medien - Spielstil

SPIELSTIL Artikel

Ein Maulkorb für Brettspiele

Lesezeit: 5 Minuten

Mit #BG2GETHER wollen wir uns, genau wie jeden anderen Monat, gemeinsam mit andern Kolleginnen und Kollegen einer weiteren Frage aus dem Brettspielbereich stellen. Diesmal fragen wir uns:

Frage des Monats März 2024

Es gibt Brettspiele mit unangenehmen Themen und solche, die noch einen großen Schritt weitergehen. Als Beispiel hätten wir ein demnächst startendes Kickstarter Projekt zu Haus der 1000 Leichen, in denen wir Irre spielen, die Menschen quälen und ausweiden. Oder auch ein Brettspiel über den aktuellen Krieg in der Ukraine. Benötigt das Brettspiel eine Beschränkung in der Thematik um für dich als Spiel zu gelten? Wann ist die Grenze überschritten? Oder darf Brettspiel alles?

Braucht es einen Maulkorb für Brettspiele?

Die Diskussion über geschichtliche Spielthemen und deren Umsetzung ist schon älter. Im Kern läuft sie immer auf das Gleiche hinaus. Irgendjemand überlegt laut, ob es eigentlich ok ist, ein Ereignis auf diese Art und Weise umzusetzen. Zumeist auf verharmlosende Art, weil eben wichtige Details weggelassen oder beschönigt wurden.

Dann kommt der Mob, der über einen hereinbricht. Man soll sich nicht so anstellen. Ist doch nur ein Brettspiel. Man selbst würde nie etwas Schlechtes damit assoziieren. Das kennen wir bereits. Anstatt also einfach einen kleinen Schritt zurückzutreten und sich einzufühlen, wird am liebsten gleich die Keule hervorgeholt. Da kann #BG2GETHER heute wieder lustig werden.

Entgegen den vergangenen Überlegungen kommen wir nun zu etwas Greifbarerem. Nämlich auf der einen Seite realen aktuellen Konflikten. Auf der anderen Seite Spiele, die einen bewusst in eine abartige bestialische Rolle zwängen. Aber ich denke, das sollen wir erst einmal getrennt voneinander betrachten. Und hier fange ich bei dem vermeintlich einfachen an. Dem Haus der 1000 Leichen Brettspiel.

House of 1000 Corpses - Brettspiel - CoverDas Spiel basiert auf dem gleichnamigen Film. Ich muss zugeben, dass ich diesen noch nicht gesehen habe. Er steht auf meiner Liste, aber irgendwo weiter hinten. Davor gibt es noch einige andere Machwerke, mit denen ich meine Zeit lieber verbringen möchte. Interessanterweise habe ich den Nachfolger – The Devils Rejects – vor kurzem konsumiert.

Meiner Meinung verpasst man nichts, wenn man diesen Film auslässt. Aber vielleicht bin ich hier auch wieder ein Kunstbanause, ich weiß es nicht und es ist mir auch egal. Warum ich ihn mir dennoch komplett gegönnt habe? Persönliche Gründe. Mein letztes Jahr verstorbener Bruder hat ihn mir mal vor vielen Jahren empfohlen. Es war eine Art Einlösen eines Versprechens.

Aber ich schweife ab. Dieser kurze Exkurs sollte nur aufzeigen, dass ich Filme in dieser Richtung kenne. Ein paar sind unterhaltsam, viel mehr einfach vollkommen unnötig. Und hier kommen wir dann zum Brettspiel von Haus der 1000 Leichen. In diesem spielen wir mal nicht diejenigen, die sich aus einem Haus voller Gefahren befreien muss. Nein, wir sind eine Gruppe Psychopaten, die Jagd auf harmlose Menschen macht, um sie abzuschlachten. Damit hält das Spiel nicht hinterm Berg. Es kostet die Stimmung komplett aus.

Muss man so etwas spielen? Natürlich muss erst einmal niemand etwas spielen. Aber während mein erster Reflex eher in die Richtung geht, dass das Brettspiel thematisch versagt, kommt mir inzwischen noch ein weiterer Gedanke. Ständig wird gesagt, dass Brettspiele Kulturgut werden müssen. Und Kulturgüter müssen Grenzen ausloten. Sie müssen sich auch mit Themen befassen, die außerhalb eines Wohlfühlbereichs sind. Würde ich aber sagen, dass Haus der 1000 Leichen nun eine Art Befreiungsschlag ist?

Nein. Dafür wird man sich erneut wieder zu wenig damit beschäftigen, was die eigenen Taten eigentlich auslösen. Durch die Abstraktion nimmt man diesen den Schrecken und freut sich eher darüber, dass man wieder ein Menschenleben ausgehaucht hat und dafür belohnt wird. Es fehlt an der Konsequenz. Aber dennoch bin ich nicht dafür, dass man derartige Spiele grundsätzlich verbieten sollte.

Lasse ich Revue passieren, was ich in meiner spielerischen Karriere schon alles angestellt habe, muss ich zugeben, dass ich kein unbeschriebenes Blatt bin. Ich bin auch schon als Jack the Ripper in Akte Whitechapel mordend durch London gezogen. Ich habe in Last Friday ein Monster gespielt, das sich die Campbewohner geholt hat. Oder vor gar nicht allzu langer Zeit erst in Abomination ein Monster aus menschlichen Überresten gebastelt.

Dennoch fehlt mir in Haus der 1000 Leichen eines. Ein positiver Gegenpol, der mich auch spielerisch die andere Seite erleben lässt. Vielleicht verpasse ich ein mechanisch gutes Brettspiel, aber ich muss jetzt keinen psychopathischen Killer spielen, der sich mit anderen kranken Geistern misst. Schlimmer empfand ich jedoch die Leopold Trilogie, in der ich – Achtung Spoiler – im Laufe der Geschichte feststellte ein irrer Mörder zu sein. Gezwungen richtig üble Dinge zu tun, um in der kranken Geschichte voranzuschreiten.

Putins War - Brettspiel - CoverBevor ich noch weiter aushole, gehen wir lieber direkt zum zweiten Teil der Frage über. Finde ich ein Brettspiel über den aktuellen Krieg in der Ukraine ok? Ganz ehrlich? Nein. Das mag jetzt nach Doppelmoral klingen. Aber ich finde keinen Grund, um etwas zu spielen, bei dem zum selben Zeitpunkt Menschen leiden müssen.

Jetzt sind wir wieder an dem Punkt, wie weit Geschichte vergangen sein muss, um als rechtfertiges Thema für ein Brettspiel herhalten zu dürfen. Aber das werde ich jetzt weder aufarbeiten noch befriedigend definieren können. Nur so viel, ich empfinde es als geschmacklos. Davon kann jetzt jeder halten, was er oder sie möchte.

Ich weiß, alle Fans dieser Art Spiele sind lediglich geschichtlich interessiert und möchten das Thema erleben. Das könnt ihr gerne machen. Unterhaltet euch doch einfach mit geflohenen Menschen aus der Ukraine und fragt sie, was das für sie bedeutet. Ich glaube, da lernt ihr mehr daraus als aus dem Verlauf eines Spiels.

Aber ein Gutes hat ein Brettspiel über den Krieg in der Ukraine vielleicht doch. Falls es auch nur ein paar wenigen Fehlgeleiteten die Augen öffnet, die glauben, dass Putin im Recht ist, dann hat das Spiel doch noch einen positiven Effekt. Wird es aber wahrscheinlich leider nicht.

Ich werde mich auf jeden Fall erst einmal wieder mit anderen Spielen beschäftigen. Zumindest, sobald mein Umzug abgeschlossen und mein Spielzimmer im Einsatz ist.

Jedoch würde mich dennoch eines interessieren. Wie steht ihr denn zu Brettspielen dieser Art? Geht euch etwas zum Thema durch den Kopf, wenn ihr spielt? Oder blendet ihr das ganze Schreckliche dabei einfach aus?

Die Links der weiteren Teilnehmer:

Ihr seid Content Creator im Brettspielbereich und möchtet an der #BG2GETHER Aktion mitmachen? Schickt uns einfach eine kurze Mail an Christian@Spielstil.net.

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Written by Christian Renkel
Christian liebt Brett- und Videospiele mehr, als ausreichenden Schlaf. Dabei ist ihm am wichtigsten, dass er in der jeweiligen Welt versinken kann. Egal, ob es die geschickte Mechanik oder die überkochende Emotion ist.

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