SPIELSTIL Rezension
Lesezeit: 7 Minuten
Ein Spiel entwickelt von Vital Lacerda
erschienen bei Eagle-Gryphon Games
„Liebling! Wir müssen dringend in die neue Galerie. Die stellen dort „Seven red lines – all perpendicular“ von T.m.I Expert aus. Ich bin mir sicher, das wäre die absolute Krönung unserer Sammlung.“ (Dialog eines Sammlerehepaars aus „The Gallerist“ 🙂 )
(Unbekannt)
In „the gallerist“, spielen wir einen solchen. Ist man an der Reihe, geht man auf einen der vier Orte auf dem Spielplan. Zusätzlich darf ich noch eine „Executive Action“ ausführen, das heisst entweder einen meiner Assistenten für einen Bonus oder Tickets für Besucher einsetzen. In jedem der vier Orte kann ich eine von zwei verschiedenen Aktionen durchführen. In der „artist colony“ Künstlerkolonie, sind neue Künstler zu entdecken und Kunstwerke aus vier unterschiedlichen Kunstrichtungen zu erstehen. Auf dem „sales market“, kann ich Aufträge erwerben und Kunstwerke mit einem meiner Aufträge verkaufen. Auf dem „international market“ kann ich mir schnelle Boni oder Vorteile bei der Endwertung holen. Und im „media center“ holt man sich neue Assistenten oder macht Künstler, die für einen wichtig sind, berühmter.
Steht mir ein anderer Galerist im Weg, also an dem Ort an den ich möchte, werfe ich in raus. In diesem Fall wird mein Zug normal erledigt. Danach hat der Rausgeworfene eine „Kicked-out Action“, das heisst er kann eine Aktion des Ortes nochmals durchführen, falls er genug Einfluss hat, oder er kann noch eine Executive Action (Tickets und Assistenten einsetzen) durchführen. Danach kommt der Galerist dran, der ursprünglich an der Reihe war.
Gleichzeitig muss ich dafür sorgen, dass die richtigen Besucher in meiner Lobby und der Galerie sind. Besucher in meiner Lobby ermöglichen mir erst Aktionen im „international market“. Besucher in meiner Galerie bestimmen wieviel mehr Geld und Einfluss ich bekomme, oder wieviel mehr Ruhm ein Künstler bekommt, wenn ich Kunst von ihm kaufe..
Am Ende gewinnt der Spieler mit dem meisten Geld, dabei ist nicht das aktuelle Bargeld wichtig, sondern wieviel man nach der Endabrechnung hat. Die beinhaltet: Wer hat die Mehrheit auf dem „nternationalen market“? Die gesammelten „reputation tiles“. Der Wert der Kunstwerke in der Galerie. Dann wird noch bestimmt wer bei der Auktion für besonders renommierte Kunst gewinnt. Dabei bekommt man ein Kunstwerk, mit dem man ein Set für die Kurator Karten bzw. Kunsthändler Karten vervollständigen kann. Zum Schluss bekommt man noch Geld für den gesammelten Einfluss.
Die komplette Spielregel zu The Gallerist findet ihr hier. (externer Link)
(Johann Wolfgang von Goethe)
Kunst, „the gallerist“ trifft das Thema genauso, wie es das auch verkörpert. Es sieht toll aus, hat seinen Preis, ist dabei nicht sehr zugänglich und man muss jedes Mal Energie investieren, wenn man damit befasst. Erklärt man es, erreicht man sogar bei Vielspielern irgendwann den Zustand glasiger Augen, der Zwischenspeicher ist vollgelaufen. Dieses Spiel erschließt sich einem erst langsam nach ein paar Partien. Danach kann man es genießen und es eröffnet sich ein toller Raum an Möglichkeiten. Man erkennt immer wieder neue Facetten und Strategien. So kann es sich üblicherweise lohnen, die Sets zu sammeln, die einem die Kurator und Kunsthändler Karten auftragen, aber es ist nicht zwingend. Natürlich ist es gut (oder gar wichtig) einen Sammler in der Galerie zu haben, aber nicht notwendig, um zu gewinnen. Eindeutig führen hier viele Wege zum Geld, manche sind offensichtlicher als andere und manchmal ist auch einfach Zufall dabei.
Besonders am Anfang fällt es schwer, an die nötigen Ressourcen Geld und Einfluss zu kommen. Die Mechanismen sind nicht gleich sichtbar. Doch „the gallerist“ bestraft nicht durch offensichtlichen Ressourcenentzug, es ist schwierig, sich wirklich aus dem Spiel zu katapultieren. Für gewöhnlich gibt es immer einen Weg an Geld zu kommen. Das einzig wirklich Knappe ist die Zeit. Züge zu vergeuden ist teuer. Der Beutel mit den Besuchern ist sehr schnell leer gezogen und damit das Ende eingeläutet. Die Partie ist gefühlt immer zu schnell vorüber. So vieles hätte man noch gerne gemacht. Hätte, hätte, hätte…
Die verschiedenen Orte und deren Aktionen, sind schön ausgedacht und überlegt. Alles, was man macht, ergibt Sinn im Rahmen der Simulation des Themas. Vital Lacerda ist es wieder extrem gut gelungen, Mechanik und Thema genial zu vereinen.
Wer gewinnt, ist während des Spiels nicht direkt sichtbar, es gibt keine Siegpunktleiste. Die meisten Punkte (Geld) werden erst am Schluss vergeben. Hier zeigt sich, ob man die richtige Kunst gekauft hat, um die Sets der Karten zu komplettieren, die passenden Reputation-Tiles geholt und seine Strategie entsprechend angepasst hat. Vieles von dem, was man in der Partie gemacht hat kann zählen, wenn man das passende Reputation Tile dazu hat.
Zeitlich ist die Angabe von 30 Minuten je Spieler sehr angemessen, vorausgesetzt die Regeln sind allen klar.
Glück spielt in „the gallerist“ eine untergeordnete Rolle, aber sie ist nicht zu verleugnen. Welches Kunstwerk liegt gerade zum Kauf auf dem Stapel? Welche Aufträge gibt es? Welches Reputation-Tile kann ich holen. Werde ich rausgekickt und kann die Location Action gleich nochmals durchführen?
Dabei sind besonders die Kicked-out Actions zentral im Spiel und das wichtigste Interaktionselement. Je mehr Spieler es sind, umso öfter gibt es Kicked-out Actions und umso unübersichtlicher kann es werden. Gerade bei vier Spielern, kam öfter die Frage „Wer ist denn jetzt eigentlich dran?“ Es gibt dann schon Situationen, in denen man sich über Runden hinweg gegenseitig kickt, weil man Ähnliches macht. Der Zug eines Spieler, der sich antizyklisch zu den anderen verhält, kann sich dabei regelmäßig nach hinten schieben. Dabei nehmen die einen das gelassen zur Kenntnis, während andere schon mal genervt die Augen rollen. Daher kann es von Vorteil sein zu schauen, was die anderen machen, um vielleicht auch rausgeworfen zu werden. Es ist glaube ich, das erste Spiel, in dem rausgeworfen zu werden, etwas Positives ist.
Das Spielmaterial ist fast durchweg erste Klasse. Die Schachtel ist exklusiv, besonders dicker Karton und so groß, dass sie zu keinem Standardformat passt. Es gibt ein Inlay, das gut funktioniert. Sogar die Kunstwerke sind echte Stücke, die für das Spiel lizenziert wurden. Eine Referenz dazu ist in der Anleitung. Das einzige Downlight sind die etwas fummeligen Staffeleien, die umkippen, wenn man sie schief ansieht. Ein nettes Gimmick, hätte man anders lösen können.
„the gallerist“ bedient perfekt eine Nische in unserer Brettspielbubble. Es ist absolut kein Spiel für jeden. Es hat seinen durchaus hohen Preis. Das Thema fällt aus dem Rahmen. Man muss die Muße haben sich der Regeln, Möglichkeiten und Strategien anzunehmen und Leute finden, die das ebenfalls wollen. Ich persönlich finde es gut, aber in meinen Runden wurde es durchaus gemischt aufgenommen.
Randnotiz: Wem die „seven red lines“ nicht bekannt sind und wer hin und wieder Kontakt mit Kunden und deren Wünschen zu tun hat, hat vielleicht Freude an dem Youtube-Video.
The Gallerist von Vital Lacerda
Nicht für jeden und nicht für jeden Tag. Ein sehr schön gestaltetes Expertenspiel, mit tollem Thema, in das man sich einarbeiten wollen muss.
Robert:
Hinweis:
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