SPIELSTIL Rezension
Lesezeit: 18 Minuten
Ein Spiel entwickelt von Adam Sadler, Andrew Fischer, Andrew Navaro, Brady Sadler, Brooks Fluguar-Leavitt, Cory DeVore, Evan Simonet, Joe Banner, Michael Curran-Dorsano, Sam Gregor-Stewart
erschienen bei Earthborne Games, Frosted Games
Ich bin ja ein ziemliches LCG-Bunny, sehen wir der Wahrheit mal ins Gesicht. Herr der Ringe: Das Kartenspiel, Arkham Horror: Das Kartenspiel, Marvel Champions – ich habe sie alle gespielt und spiele sie teilweise immer noch sehr aktiv. Entsprechend hellhörig wurde ich natürlich, als es hieß, dass die nächste Evolution der LCG-Reihe jetzt käme. Allerdings nicht von Fantasy Flight Games, sondern tatsächlich als Kickstarter – im eigenen Verlag, Earthborne Games!
Und was hat das dann mit den anderen LCGs zu tun, wenn es doch gar nicht von FFG kommt? Nun, die Autoren hatten an diesen Spielen mitgearbeitet – offiziell war es kein LCG (den Begriff hat sich FFG schützen lassen), aber inoffiziell waren viele Menschen beteiligt, die auch die anderen LCGs (mit) entworfen haben. Das würde also ziemlich spannend sein! Allerdings habe ich dann den Kickstarter aus den Augen verloren und das Spiel geriet bei mir in Vergessenheit…
…bis ich las, dass Frosted Games eine komplette Übersetzung – Nein; Lokalisierung! – machen würde! Da ich weiß, dass es Ben von Frosted Games in der Regel nicht ausreicht, ein Spiel nur zu lokalisieren, sondern es auch redaktionell komplett über- und bearbeitet, war mein Interesse wieder geweckt. Rosa (von Frosted Games) zeigte mir auf dem Tabletop Simulator ein wenig zur Mechanik des Spiels, und was ich da sah hat mir schon ziemlich gut gefallen. So habe ich mich doch ziemlich gefreut, als ich das doch ziemlich umfangreiche Spiel dann schließlich in Händen halten konnte!
(Ernest Hemingway)
Bei Earthborne Rangers übernehmen wir die Rolle von einem oder mehreren namensgebenden Rangern, die in einer fernen Zukunft auf der Erde leben. Gut 2000 Jahre nach unserer Zeit hat die Menschheit es mit vereinten Kräften geschafft, die Kurve zu kriegen. In einem gigantischen Akt der Solidarität hat sich die Menschheit zusammengetan und den Planeten gerade noch so gerettet. Das Ergebnis sehen wir in diesem Spiel: Eine grüne, gesunde, kräftige Welt, in der wir aber immer noch und immer wieder auf die Relikte der Vergangenheit stoßen – und uns auch nutzbar machen können.
Earthborne Rangers ist ein Kampagnenspiel, und anders als andere Living Card Games lässt es sich auch ausschließlich so spielen. Daher müssen wir zu Beginn der Kampagne erst einmal unsere Ranger entwerfen, was bedeutet, dass wir unsere Startdecks bauen. Dies geschieht ziemlich thematisch: zuerst wählt man die Attribute des Rangers aus. Es gibt vier verschiedene, wobei wir immer eines auf 3, eines auf 1 und die anderen beiden auf 2 haben – man hat also eine Stärke und eine Schwäche. Dann wählt für den eigenen Ranger eine Expertise und eine Vorgeschichte. Jeweils vier stehen zur Auswahl und stellen damit einen Kartenpool bereit, aus dem man dann das eigene Rangerdeck zusammenstellen muss. Außerdem gibt es noch 8 Charakteristik-Karten, die man als Bonus zu Proben beisteuern kann, und zu jeder Expertise zwei Berufungen – das sind quasi die Sonderfähigkeiten des Rangers. So erhält man dann ein Deck aus 30 Karten, welches diesen Ranger repräsentiert.
So ziehen wir also los und erleben als frisch gebackene Ranger (mit frisch gebackenen Wachholder-Brötchen) unsere ersten Abenteuer im Tal, noch nicht ahnend, dass sich eine dramatische und schicksalhafte Geschichte in den 30 Tagen, die wir bespielen, ereignen wird. Dabei sind wir vollkommen frei, wohin wir reisen wollen: Wir stellen aus den Karten eines Ortes und den Karten der Landschaft – des Bioms – über die wir den Ort betreten haben, ein Deck zusammen, dass wir nach und nach erkunden. Wenn wir alles erkundet haben oder auch einfach keine Lust mehr auf diesen Ort haben, ziehen wir weiter zum nächsten Ort.
Und dabei begegnen wir allem möglichen, was die Flora und Fauna der Zukunft so zu bieten hat: Gestrüpp, Sümpfe, Bäche blockieren unseren Weg; wilde Tiere tauchen aus dem Unterholz auf und zwingen uns zu Umwegen; oder greifen uns gar an, wenn sie denn hungrig sind. Außerdem treffen wir andere Menschen, Bewohner des Tals, die uns helfen können oder die Aufgaben für uns haben. Diese Aufgaben sind höchst abwechslungsreich; vom Jagen besonderer Kreaturen über Begleitung in gefährliche Gebiete bis hin zum Erkunden schwer zugänglicher Orte – alles ist dabei. Und wieso wollen wir das tun? Weil wir fast immer Belohnungen bekommen dafür, und diese werden als besondere Karten dargestellt, die wir dann in unser Rangerdeck aufnehmen können!
Wie läuft das alles im Detail ab?
In jeder Spielrunde haben wir nun die Möglichkeit, mit der Energie (Aktionspunkten) von unseren Attributen Proben abzulegen. Diese können zum Einen Standard-Tests sein, die mit dem Attribut zusammenhängen (so kann man beispielsweise mit Fitness den Ort durchwandern, also Fortschrittsmarken dort platzieren, um ab einem gewissen Grenzwert dann weiter durch das Tal zu reisen); zum anderen bekommen wir durch die ausliegenden Pfadkarten (siehe oben; die Karten des Ortes und des Bioms) oftmals besondere Proben ablegen – beispielsweise um ein Reh zu verscheuchen, oder Beeren zu pflücken. Und natürlich hat unsere Ausrüstung auch oftmals neue Aktionsmöglichkeiten. So kann man mit einer Gürteltasche und einer Probe auf Wahrnehmung Ausrüstung aus dem Deck suchen; oder mit einer Hydrolinsen-Brille (also einer cyberspacigem Zukunfts-Sehhilfe) die kommenden Karten und Begegnungen voraussehen.
Mit jeder Probe wird auch eine Karte aufgedeckt, die das Ergebnis modifiziert (damit es auch ein wenig spannend ist) – aber viel spannender: Es wird auch immer ein sogenannter „Welteffekt“ ausgelöst. Und durch diesen erwacht nun das gesamte Tal zum Leben: Der Himmel öffnet seine Pforten, Rehe springen davon, Raubkatzen jagen die Rehe, eine wacklige Brücke beginnt zu zerfallen – und so weiter, und so fort. Das gesamte Spiel beginnt, mit sich selbst und natürlich auch uns zu interagieren.
Da wir jede Runde eine Karte von unserem Rangerdeck ziehen, ist dieses irgendwann einmal leer. Passiert dies, wird nicht etwa der Ablagestapel neu gemischt, sondern der Tag ist zu Ende – was bedeutet, dass diese Partie beendet ist und wir auf dem Kampagnenblatt diesen Tag abstreichen. Wir können nun das Spiel einpacken, oder den nächsten Tag spielen, für den wir das Spiel quasi neu aufbauen (die Tiere sind über Nacht weiter gezogen, Begleiter haben sich verabschiedet und das Wetter ändert sich auch gerne mal über Nacht). Vorgesehen sind 30 Tage, in denen sich das Spiel entfalten soll. So viel sei gesagt: Es lässt sich deutlich schneller beenden, also hat man nicht Zeitdruck, fertig zu werden, sondern kann mit dem Spiel und der Geschichte „fließen“…
Wie eingangs schon erwähnt, gibt es kein ausgesprochenes Ziel. Es gilt nicht, einen finsteren Zauberer zu stürzen, eine Horde Banditen zu stoppen oder rechtzeitig die Rakete zu erreichen, ehe sie ohne uns abhebt. Vielmehr ist es so, das auch die Geschichte im Tal sich von alleine weiter schreibt. Wir können daran teilhaben (und auch das eine oder andere Abenteuer erleben) – oder auch einfach nicht und uns lieber einen Staudamm oder alte Ruinen ansehen – das liegt ganz bei uns…
Die komplette Spielregel zu Earthborne Rangers findet ihr hier. (externer Link)
(Nelson Mandela)
Also, ich habe diesen Text bestimmt drei- oder viermal begonnen, und immer wieder abgebrochen und gelöscht. Normalerweise schreibe ich meine Meinung ja als einen Block, als einen Fließtext, herunter – aber Earthborne Rangers ist so facettenreich, dass ich die einzelnen Aspekte getrennt behandeln werde, nein; muss!
Prinzipiell sind alle Ranger-Decks 30 Karten groß. Die meisten der Karten sind entweder Momente – also quasi Einmal-Ereignisse, die man für ihre Wirkung ausspielt und dann ablegt – oder Ausstattungen – also permanente Ausrüstung, die man einmal ausspielt und dann mehrfach verwenden kann. Es gibt noch ein paar andere Karten, aber zum grundlegenden Verständnis sollte dies jetzt genügen. Um diese Karten auszuspielen, muss man mit der Energie seines Rangers bezahlen; und bei der Energie kommen wir wieder zu den oben schon erwähnten Attributen zurück. In jeder Runde erhält jeder Ranger so viel Energie eines entsprechenden Typs, wie sein Attributwert ist. Also in der Regel zwischen 1 und 3.
Die Crux: Diese Energie wird auch benötigt, um Proben auszuführen. Jede Probe ist einem der Attribute und mindestens eine Energie dieser Art muss beigesteuert werden. Zum Glück kann man immer noch zusätzlich einfach Karten von der Hand abwerfen, um einen Bonus auf die Probe zu bekommen. Denn jede Karte hat Symbole, die den Proben entsprechen, und durch Abwerfen von der Hand einen Bonus auf die Probe geben. Falls ihr Arkham Horror: Das Kartenspiel kennt, wird euch diese Mechanik sehr bekannt vorkommen.
Was aber vollkommen anders als bei Arkham Horror ist: Ranger sind keine eher machtlosen Ermittler – sondern äußerst fähige Spezialisten. (Fast) alle Karten erlauben unglaublich starke Aktionen, die einem das Gefühl geben, etwas zu leisten – und nicht nur Schadensbegrenzung zu betreiben. Ich mag das. Das Spiel möchte einen nicht bestrafen und straucheln lassen, sondern gibt einem die Mittel und Werkzeuge an die Hand, um fähig und talentiert zu sein. Das finde ich sehr schön.
So nutzen wir also die Karten unseres Rangerdecks, um uns zuerst auszurüsten, und dann mit starken Ereigniskarten loszuziehen und die Schwierigkeiten zu meistern. Und damit kommen wir zu der…
Unsere Umgebung besteht aus dem sogenannten Pfaddeck. Dieses Deck wird im Laufe des Spiels, ja, sogar innerhalb einer Partie, immer wieder neu zusammengestellt: Aus den Eigenheiten der Umgebung (Biom), in der man sich aktuell bewegt, und den Menschen (oder Kreaturen, Orten, Besonderheiten) des Ortes, an den man gereist ist. So trifft man beim Durchreisen des Tals immer wieder auf alte Freunde oder neue Bekannte und erfüllt mit der Zeit Aufgaben und Wünsche derselben.
Gleichzeitig gibt es natürlich in den Wäldern, Flüssen, Gebirgen und Sümpfen des Tals harmlose und weniger harmlose Kreaturen, die unseren Weg kreuzen; nützliche Pflanzen und hinderliche Sträucher; Geröllhalden, Flußläufe, Treibsand, und, und, und – kurz: Hindernisse! Und diese wirken sich derart aus, dass wenn wir mit einer Karte im Spiel interagieren wollen, und uns liegen Hindernisse im Weg, uns diese Ermüden. Das bedeutet, wir legen Karten unseres Decks auf den Müdigkeits-Stapel. Da unser Deck quasi die vergehende Zeit dieses Tages (also dieser Partie) darstellt, sollten wir uns immer überlegen, ob es nicht sinnvoller ist, erst die Hindernisse zu umgehen, die Tiere zu verscheuchen, usw., ehe wir uns mit dem Untersuchen von Ruinen beschäftigen. Ein schönes Dilemma, zudem es eine spannende Besonderheit gibt: Jede Probe löst einen von drei Welteffekten aus – was bedeutet: Die Welt um uns herum erwacht zum Leben: Raubtiere greifen Rehe an; Rehe erschrecken sich und springen davon; Brücken stürzen ein; die Sonne ermüdet uns mit ihrer Mittagshitze. Das fühlt sich unglaublich lebendig an, zumal wir zwar wissen, WAS passieren wird, aber nicht WANN!
Hier mal ein kleiner Ausflug zu einem vollkommen anderen Spiel: Street Masters von den Sadler Brothers. Wer die Liste der Autoren aufmerksam gelesen hat, wird ihre Namen auch hier entdeckt haben. Sie haben 2018 ein an Street Fighter oder Mortal Kombat angelehntes Spiel veröffentlicht, das als Kernmechanik das sogenannte MDS – Multiple Deck System – hatte. Die Idee: Die Spielenden, die Gegner und die Umgebung haben einfach jeder ein separates Deck. Diese interagieren aber auf sehr clevere Art und Weise miteinander. Mit einer handvoll einfacher Grundregeln entspinnt sich hier ein komplexes Netz aus Interaktionen und einer gefühlt lebenden Umgebung.
Und genau dieses Gefühl haben sie bei Earthborne Rangers wieder geschaffen! Dazu muss man sagen, dass es noch eine Reihe anderer Spiele mit dem MDS gibt – aber keines hat die Eleganz und Genialität von Street Masters erreicht. Allerdings mit dem hier vorliegenden Spiel ist es ihnen gelungen, dieses System wieder in dieser atemberaubenden Eleganz einzusetzen. Es ist schon sehr, sehr beeindruckend, wenn plötzlich das gesamte Spielfeld in Bewegung gerät und Dinge tut. Ja, mit der Zeit nutzt sich dieser Moment der Begeisterung ab, und man betrachtet diese Effekte nur noch sehr mechanisch – das ändert aber nichts daran, dass es unglaublich viel Spaß macht und bei einem kooperativen Spiel den Effekt hat, dass man schon das Gefühl hat, einer intelligenten Welt gegenüber zu stehen!
Nun habe ich ja eingangs erwähnt, dass wir hier nicht kleine One-Shots wie bei Marvel Champions spielen, sondern eine Kampagne aus bestimmt 15 oder mehr Partien spielen. Ich selbst hatte später eine Spieldauer von ca. einer Stunde pro Partie (Tag). Ich weiß aber von anderen Spielenden, die auch 2, 3 oder deutlich mehr Stunden gespielt haben. Vor Allem mit mehr Spielenden in der Runde steigert sich die Spielzeit fast linear. Zu zweit, auch zu dritt, würde ich das Spiel noch spielen. Zu viert wäre es mir einfach deutlich zu langwierig.
Da ich euch nicht verraten möchte, was passiert, muss ich mich bei der Kampagne jetzt sehr bedeckt halten. Ich kann nur so viel sagen: Wenn das Spiel auch damit beginnt, dass man leckere Wacholderbrötchen an Bewohner des Tals verteilen soll (was einem meiner Mitspieler schallendes Gelächter entlockte – war er doch gewohnt, sich mit den Großen Alten zu messen!) – es dauert nicht lange, und die Geschichte nimmt eine deutlich ernstere, wenn nicht sogar epische Wendung!
Aber so haben wir neben all der Aufregung beim Entdecken des Tals und erfüllen kleiner Questen auch immer die große Hauptstory im Nacken sitzen, welche – egal ob wir uns bemühen oder nicht – weiter voran schreitet! Auch die Geschichte des Tals geht weiter – ob man daran teil haben möchte oder nicht! Hier muss ich dann auch einen meiner größten Kritikpunkte loswerden: Während es viele tolle Questen gibt, die einem auch verschiedene Herangehensweisen erlauben, ist es ausgerechnet bei einigen der Hauptquesten so, dass man (je nach Rangerdeck) keinen Einfluss auf die Queste selbst nehmen kann, sondern einfach nur abwarten kann. Schlimmer noch: Teilweise skalieren sie nicht, und es ist schwieriger, je weniger Ranger am Spiel teilnehmen. Das finde ich sehr unglücklich gelöst, ich selbst mag es nicht – aber ich kenne diese Kniffe nun und würde entsprechend darauf achten, dass ich in meinem Rangerdeck entsprechende Karten habe, um damit besser umgehen zu können.
An dieser Stelle muss ich auch noch mal sagen: Insbesondere der erste Durchlauf durch die Kampagne ist ein blindes Stolpern – man weiß überhaupt nicht, was auf einen zukommen wird und händelt das so gut es geht. Beim 2. Run ist man quasi schon immer zur Stelle, wenn es losgeht. Und zwar mit der Ausrüstung, die man dafür braucht! Ich sehe das nicht als Schwäche – das ist ja im Grunde bei jedem Kampagnenspiel so. Auch bei Arkham Horror hat man beim ersten Mal einen sog. Blind Run – danach ist das Deck so gebaut, dass man hier sauber durchspielen kann.
Übrigens ist die Kampagne – und auch was man sonst im Tal erleben kann, unabhängig von der Kampagne – so umfangreich, dass es nicht mehr auf die Karten passt. Keine Chance! Darum gibt es einen Kampagnen-Leitfaden; ein Heft mit vielen, vielen, VIELEN Textpassagen, die oftmals auch darauf Bezug nehmen, was man bereits in der Welt erreicht oder erlebt hat. Das ist natürlich auf der einen Seite ein wenig mühsam, weil man das reine Spiel immer wieder durch Nachlesen unterbricht – auf der anderen Seite kann nur so eine reichhaltige, umfangreiche Geschichte erzählt werden (und glaubt mir – die Geschichte ist toll!)
Apropos Geschichte. Habe ich schon über die Welt gesprochen? Ich meine, klar, es ist unsere Welt, die gute alte Erde – aber sagen wir mal so: Nachdem wir (jaja, Gegenwart und so) es geschafft haben, den Karren in den Dreck, an die Wand, über die Klippe und eigentlich auch noch in die Sackgasse zu lenken – haben einige deutlich weisere Menschen in einigen Jahrzehnten oder Jahrhunderten hart das Steuer rum gerissen: Alle haben mit angepackt und mit (nicht ohne Grund so genannten) Generationen-Projekten die Grundlage geschaffen, mit High-Tech, Gentechnik und jeder Menge Selbstaufopferung die Welt zu heilen. Wir befinden uns im Spiel in einer Welt gut 2000 Jahre in der Zukunft, irgendwo in den Rocky Mountains – im Grunde in einer kleinen Enklave, in der die Menschheit überlebt, während um sie herum die Umwälzung im Gange ist. Nausicaä, Water World, Horizon Zero Dawn – all diese Geschichten passen hier sehr gut! Ich liebe diese Story! Sie ist purer Solarpunk!
Falls euch Solarpunk nichts sagt – zitiere ich hier mal Wikipedia:
Solarpunk stammt von Steampunk und Cyberpunk ab und hat den Begriff mit dem gleichen Muster gebildet. Steampunk stellt sich eine neue Geschichte und Welt vor, in der Dampf als Hauptenergiequelle statt der traditionellen Elektrizität von heute gilt, während Solarpunk sich erneuerbare Energiequellen wie Solaranlagen als Hauptenergiequelle vorstellt. Cyberpunk stellt sich eine Zukunft mit fortschrittlichen Technologien vor, die oft einen Mangel an Wertschätzung für die Menschheit aufweisen. Sowohl Cyberpunk als auch Solarpunk stellen sich mögliche Zukünfte aus der Perspektive der Sorge um die Gegenwart vor, aber während Cyberpunk betont, wie die Dinge schiefgehen können, stellt sich Solarpunk vor, wie die Dinge besser werden können. Hier kann die Sonne auch als Licht für das Positive interpretiert werden.
Das „Punk“ in Solarpunk steht dem Manifesto zufolge dabei für Rebellion, Gegenkultur, Postkapitalismus, Dekolonialismus und Enthusiasmus. Der Sozialwissenschaftlerin Jennifer Hamilton zufolge fordert das Wort „Punk“ dazu auf das Establishment zu umgehen, um den zur Schau gestellten Optimismus erst möglich zu machen.
Wieso ist das denn Solarpunk? Tja, weil es in diesem Spiel eigentlich in der Regel nicht darum geht, Hindernisse durch Gewalt oder Kampf zu überwinden. Es geht vielmehr darum, friedliche Lösungen zu finden, und zu verhindern, dass Lebewesen Schaden nehmen. Wir sind keine Eartborne Warriors – wir sind Earthborne Rangers; also im Sinne von Wildhütern!
Falls euch all das ein wenig abschreckt, weil ihr den Einstieg in so ein gefühltes Regelmonster zu heftig findet: Zum Einen hat Frosted Games eine hervorragende Anleitung geschrieben und zudem auch noch eine redaktionelle Bearbeitung vorgenommen, die einige Hürden der englischen (Original)ausgabe umschifft; zum Anderen führt euch ein Tutorial sanft in das Spiel ein. Es ist fast wie in einem Computerspiel: ihr spielt ein Tutorial, in dem ihr nicht nur lernt, wie das Spiel funktioniert, sondern auch gleichzeitig noch euer Deck baut! Ehrlich gesagt habe ich so etwas noch bei keinem Spiel gesehen und finde es schon ziemlich cool. Am ehesten ist es vielleicht noch mit der Einführungsmission von Legenden von Andor vergleichbar…
Bleibt noch die Frage: Muss ich jetzt (bis zu) 30 Partien mit immer wieder demselben Deck spielen? Das wird doch langweilig! – Stimmt! Wird es! Deshalb gibt es zum Einen für die meisten erfolgreich beendeten Questen eine Belohnung in Form von neuen Karten – und die haben es in sich kann ich euch sagen! Ohne zu viel zu verraten würde ich es mal so erklären: Während die meisten Karten, aus denen man sein Deck baut, ein Symbol zum Beisteuern zu Proben haben; einige wenige auch zwei – haben viele Belohnungen drei Symbole! Die Karten sind also definitiv besser! Zum Anderen gibt es tatsächlich innerhalb des Spiels Möglichkeiten, das eigene Deck zu justieren. Im Grunde gibt es Lehrer oder Händler, die einem Möglichkeiten eröffnen, das Deck dahin zu bringen, wo man es gerne haben möchte. Das einzige Problem (natürlich!) – es kostet Zeit. Und das ist natürlich so eine Sache, wenn man gleichzeitig die Welt retten will…
Ok, ok – ich fasse mal zusammen: Wir haben hier ein Kampagnenspiel mit einer langen, epischen Geschichte, die durch eine geniale Multiple-Deck-Mechanik und Symbol-Trigger in einer interaktiven Welt spielt. Unsere Rangerdecks basieren auf einer eleganten und sehr angenehm spielbaren Mechanik, die einem eher das Gefühl gibt, fähig statt unfähig zu sein. Es gibt ein dickes Kampagnenbuch, das es ermöglicht, Ereignisse, die man bespielt hat, nachhaltig festzuhalten und darauf einzugehen. Als würde all das nicht reichen, wurde das Spiel auch noch unter Verzicht auf Plastik und unnötiger Transportkosten produziert und versucht die eigene Philosophie in der Spielwelt auch ausserhalb umzusetzen.
Ich bin begeistert und freue mich auf die Fortsetzung!
Earthborne Rangers von Adam Sadler, Andrew Fischer, Andrew Navaro, Brady Sadler, Brooks Fluguar-Leavitt, Cory DeVore, Evan Simonet, Joe Banner, Michael Curran-Dorsano, Sam Gregor-Stewart
Zusammengefasst handelt es sich bei Earthborne Rangers um ein beeindruckendes Kampagnenspiel mit einer tiefgreifenden, interaktiven Welt, einer raffinierten Multiple-Deck-Mechanik und symbolgesteuerten Aktionen, die den Spielern ein Gefühl der Fähigkeit vermitteln. Das Spiel zeichnet sich durch ein umfangreiches Kampagnenbuch aus, das Spielerentscheidungen dauerhaft beeinflusst, und setzt zudem auf umweltfreundliche Produktion und Nachhaltigkeit in der Spielwelt.
Thomas:
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