SPIELSTIL Rezension
Lesezeit: 8 Minuten
Ein Spiel entwickelt von Thomas Spitzer
erschienen bei Spielefaible
Witzig. Ich habe in letzter Zeit häufiger den Kommentar gehört: „Ja wie? Du spielst Bier Pioniere? Du trinkst doch keinen Alkohol!“ Seltsam, ich betreibe auch keine Farm und bin Pazifist, aber bei Spielen, die das darstellen, hat sich noch niemand an mir gestört. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass Alkohol immer noch einen ganz besonderen Stellenwert in der Gesellschaft hat und damit anderen Suchtmitteln als überlegen angesehen wird.
Schließlich sind alkoholische Getränke etwas lebensverbesserndes. Etwas, mit dem man sich belohnt. Das den Lifestyle so richtig ausdrückt. Immer für gute Stimmung sorgt. Sei es bei einer Feier, weil man einen harten Tag bewältigt hat oder weil man einen ganz besonderen Abend haben möchte. Da ist es natürlich unverständlich, wenn jemand sagt, dass er das eben nicht braucht. Gerade an diesem Wochenende spielte sich bei mir wieder das normale „Ich trinke nicht Roulette ab.“, bei dem man am Ende nur auf Unverständnis treffen konnte.
Aber mir persönlich ist das ja egal. Es sei allen gegönnt Alkohol zu trinken. Zumindest bis zu dem Punkt, an dem sie andere belästigen oder Schaden zufügen. Hört aber auf eure den Geist beeinflussende Substanz als etwas Besseres darzustellen. Das ist es nicht. Es ist genau dasselbe wie alles andere. Schädlich, aber dennoch irgendwie berauschend und deswegen faszinierend.
So, da dies nun geklärt ist, kommen wir zurück zum Spiel. Ja, ich habe Bier Pioniere gespielt. Ich gehe sogar noch weiter, denn ich habe das Spiel gezielt gewählt. Schließlich klang es mechanisch interessant und wirkte auf mich so, als ob es mir gefallen könnte. Aber hat es dann auch geschafft, mich bei der Stange zu halten? Und hat es verdient in die Empfehlungsliste zum Kennerspiel des Jahres 2024 aufgenommen zu werden.
(William Shakespeare)
Im Brettspiel erleben wir den ausgelösten Wandel durch die industrielle Revolution. Kleine Hausbrauereien begannen damit sich und ihre Angebot zu vergrößern. In diesem Ausbau zur Großbrauerei sind wir direkt dabei. Wir steuern die Geschicke unserer Brauerei, um am Ende als der große Sieger dieser neuen Bewegung dazustehen.
Noch lässt sich mit unserer Brauerei nicht viel schaffen.
Jeder Spieler beginnt erst einmal ziemlich identisch mit einem Brauereitableau, in dem die Produktion von Altbier freigeschalten ist, und einer Karte, die die Stärke bestimmter Aktionen darstellt. Bei Bier Pioniere handelt es sich im Kern um ein Spiel, in dem wir Arbeiter einsetzen. Aber dabei gibt es bestimmte Besonderheiten. Denn wir haben unterschiedliche Arbeiter zur Verfügung.
Die Startspielermeeple. Welchen Bonus möchte ich und wie wichtig ist mir der frühe Start in der nächsten Runde?
Mit diesen machen wir alles, was man von einer Brauerei so erwartet. Bier brauen, die Fabrikanlage erweitern, Fässer einlagern, Bier liefern und Mitarbeiter schulen. Doch wie immer sind die Plätze rar und wir sind stets am Abwägen, welche Aktionen wir diese Runde unbedingt durchführen müssen, welchen Bonus wir dabei benötigen und was irgendwie verzichtbar ist.
Um Bier zu produzieren, benötigen wir als einzige Ressource Zeit. Wir müssen sonst nichts besorgen und veredeln. Doch Bier benötigt – im Jargon von Bier Pioniere – Umdrehungen. Also Aktionspunkte, die wir darauf verteilen, dass unser Gebräu vollendet ist. Hier und bei der Beschaffung von Fässern und der Lagerung im Bierkeller werden die Karten wichtig.
Ein paar Drehungen brauchen unsere Biere noch. Erst, wenn sie bei 0 angelangt sind, sind sie fertig.
Denn die Karten sind in drei Bereiche unterteilt. Lila sind die Aufträge, die es zu erfüllen gibt. Also das Bier, das wir liefern müssen. Weiß sind Sonderaktionen oder Verbesserungen, die uns das Leben erleichtern. Doch der braune Bereich ist durchaus der wichtigste. Die so gespielten Karten werden gesammelt und die darauf befindlichen Punkte bestimmen die Wertigkeit der zugehörigen Aktionen. Haben wir hier zum Beispiel viele Umdrehungen gesammelt, ist unser Bier ruck zuck fertig abgefüllt und bereit zum Versand.
Zusätzlich dürfen wir noch mit mehreren Leisten jonglieren. Da wäre die Braustufe, die bestimmt, auf welche Karten im Markt wir Zugriff haben, wie viele Biere die zugehörige Aktion gleichzeitig zu brauen beginnt und ob wir am Ende noch weitere Siegpunkte erhalten. Dann noch die Brauereileiste, die den Zeitaufwand zum Bierbrauen (also die Umdrehungen) reduziert. Zuletzt zwar keine Leiste, aber eine interessante Aktionswahl. Die Verwaltungsleiste, auf der wir mit unserem zuständigen Arbeiter tätig sein können. Je mehr Aktionen wir hier freischalten, umso freier werden wir in unserer Wahl.
Unsere Brauerei ist schon moderner geworden.
Das Spiel verläuft über Runden, in denen wir nacheinander alle Arbeiter einsetzen. Sind alle fertig, geht es in die Verwaltung über. Unser Bier reift, Arbeiter werden geschult und Einnahmen generiert. Danach geht alles wieder von vorn los. Zumindest so lange, bis irgendwer 20 Siegpunkte erreicht hat. Denn dann endet das Spiel in der Verwaltungsphase. Die letzten Siegpunkte werden noch zusammengekratzt und wer dann die meisten hat, gewinnt.
Die komplette Spielregel zu Bier Pioniere findet ihr hier. (externer Link)
(Euripideas)
Bier Pioniere hatte es bei uns nicht leicht. Meine Frau ist sehr auf optisch ansprechende Spiele bedacht und man muss ehrlich zugeben, dass Bier Pioniere mich in dem Punkt nicht allzu gut unterstützt hat. Alles wirkt sehr nüchtern (hihi – Wortspiel) und funktional. Eher bedeckt und sich nicht aufzwingend. Aber wisst ihr was? Das ist mir vollkommen egal!
Alles eher zweckmäßig nüchtern.
Denn dahinter verbirgt sich ein richtig tolles Spiel, das mich mit jeder Runde zu begeistern wusste. Immer wieder freute ich mich darauf, meine Brauerei auszubauen, etwas Neues auszuprobieren und belohnt zu werden. Interessant war, dass es unterschiedliche Möglichkeiten gibt, ans Ziel zu kommen.
Ich kann mich noch an eine Partie erinnern, in der ein Mitspieler zuerst einmal nichts weiteres gemacht hat, als die Brauerei auszubauen. Wir haben schon fröhlich Punkte gesammelt, während er noch mit der Technik beschäftigt war. Wie es gute Mitspieler dann so machen, haben wir ihn gehörig damit aufgezogen, dass seine High-Tech-Brauerei noch kein einziges Bier gebraut hat. Zumindest bis zu dem Punkt, an dem seine Maschinerie startete und er uns einen Auftrag nach dem nächsten um die Ohren geworfen hat.
Und das mag ich an Spielen. Wenn ich in jeder Partie eine andere Stellschraube bewegen kann. Nach Lust und Laune probiere und dafür belohnt werde. Wo wir schon bei Belohnungen sind. Bier Pioniere sorgt für ein durchweg gutes Gefühl. Schließlich schafft man nicht nur etwas. Nein, man wird im Laufe einer Partie immer deutlich effektiver, bringt mehr Zustande und fühlt dann, dass sich die Mühen dorthin gelohnt haben. Gleichzeitig kochen die Emotionen, wenn ein Plan dann doch nicht so aufgeht, wie er sollte.
Zusätzlich werde ich dennoch gefordert. Schließlich muss ich mich nicht nur um die Voraussetzungen für alles kümmern, sondern auch immer wieder abwägen. Kann ich die Ausführung einer Aktion noch herauszögern und sie für mich verbessern oder gehe ich dann die Runde leer aus? Wie komme ich an einen besonders lukrativen Bonus heran? Oder kann ich über einen Bonus sogar eine Abkürzung gehen und dadurch gerade noch ein Ziel erfüllen?
Das sorgt für eine stete Abwägung und die Notwendigkeit, auf Änderungen zu reagieren. Häufig hatte ich das Problem, dass ich zwar einen perfekten Plan hatte, welcher mir von meinen Mitspielern jedoch blockiert wurde. Nicht absichtlich, aber dennoch störend. Und hier sind wir an einem wichtigen Punkt. Ja, wir spielen irgendwie gemeinsam am Tisch und veranstalten einen Wettlauf um Siegpunkte. Aber dennoch ist Bier Pioniere doch eher eine solitäre Angelegenheit. Denn außer sich gegenseitig die Einsetzplätze streitig zu machen, interessieren mich meine Mitspieler selten.
Mitspieler sind manchmal schon ein Übel. Vor allem, wenn es nur begrenzte Einsetzplätze gibt.
Als zweiten Negativpunkt möchte ich noch die Karten aufzählen. Ich möchte mich jetzt nicht zu weit aus dem Fenster lehnen und behaupten, dass sie nicht ausbalanciert wären. Aber manche fühlen sich im Spiel weit mächtiger an als andere. Das mag am Timing liegen oder eben doch einer gewissen Ungleichheit. Gleichzeitig ist es (vor allem zu Beginn) sehr zufällig, was man an neuen Karten bekommen kann. Das betrifft nicht nur die Sonderaktionen und Fabrikausbauten, sondern auch die Aufträge. Ziehe ich nur Bier, das ich nicht brauen kann, habe ich eben Pech (Spoiler: die Erweiterung Bier Boom hat hier einen kleinen Trick auf Lager, zu dem ich bald mehr erzähle).
Aber die negativen Punkte fallen für mich nicht allzu stark ins Gewicht. Denn Bier Pioniere ist ein Spiel nach meinem Gusto und ich freu mich nicht nur auf die vielen weiteren Runden damit, sondern auch darauf, was die Erweiterung mit sich bringen wird. Habt ihr ein Faible für Eurogames, dann lohnt sich ein näherer Blick auf Bier Pioniere definitiv.
Wobei eine Frage noch offen ist. Wie ich oben schon geschrieben habe, hat meine Frau die Optik des Spiels bemängelt. Wie sieht es aber jetzt aus? Gut, die Optik stört sie immer noch, aber sie weiß die Vorzüge von Bier Pioniere zu schätzen und liebt das Spiel inzwischen. Nimm das du mega illustrierter Blender ohne Seele!
Bier Pioniere von Thomas Spitzer
Ein vielleicht nicht schönes, aber wundervolles Spiel. Man freut sich auf jede weitere Partie. Lediglich die Karten können manchmal etwas zu zufällig wirken. Außerdem sollte man nichts gegen ein stark solitäres Spielerlebnis haben.
Christian:
Hinweis:
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