Wonder Book Cover

SPIELSTIL Rezension

Wonder Book

Lesezeit: 9 Minuten

Ein Spiel entwickelt von Martino Chiacchiera, Michele Piccolini
erschienen bei ABACUSSPIELE

- 13.Jun.2022

Ich kann mich bei weitem nicht an alle Kinderbücher erinnern, die ich früher gelesen habe – aber ein Buch ist mir prägend in Erinnerung geblieben. Das Buch gehörte meiner Mutter, aber ich habe es damals wieder und wieder fasziniert (und mich gruselnd) gelesen. Als meine Eltern allerdings vor Jahren ihren Keller ausgemistet haben, landete eben jenes Buch auch auf dem Stapel meiner Kinderbücher, der mir präsentiert wurde mit der Frage: „Möchtest Du davon etwas haben? Sonst werfen wir es weg.“ (Ok, eigentlich bedeutet es: Sonst stelle ich es bei eBay ein – DEM großen Hobby meiner Mutter in ihrer Rente…)

Wonder Book Buch der Geister

Da werden bei mir Kindheitserinnerungen wach…

Ich rede von „Das kleine Buch der Geister“ – einem wunderschönen Aufklapp-Bilder- und -Märchen-Buch! Auf jeder Seite gab es etwas zu entdecken, zu bewegen oder zu verschieben. Türen klappen auf und zeigen Monster, Schlösser erheben sich aus Hügeln, Zwerge und Gnome hacken in Bergwerkstollen die Felsen auf, und, und, und… Solltet ihr einmal über dieses Buch auf einem Flohmarkt stolpern – kauft es euch unbedingt!

Wonder Book Buch der Geister Offen

Jede Seite verbirgt Überraschungen! Wenn es das nur als Brettspiel gäbe…

Aber diese kleine Geschichte erklärt, weshalb ich bei der Ankündigung – und den ersten Bildern – des Aufklapp-Buch-Brettspiels Wonder Book von Abacusspiele so aus dem Häuschen war!

Von allen Welten, die der Mensch erschaffen hat, ist die der Bücher die Gewaltigste.

(Heinrich Heine)

Das Erste, was einem ins Auge fällt, wenn man die Schachtel von Wonder Book öffnet, ist das große Buch, welches fast so groß wie die Schachtel selbst oben auf dem Tiefziehteil liegt. Es ist nicht nur Namensgeber und Spielplan – es ist auch thematisch in die Geschichte eingebunden und steckt im wahrsten Sinne des Wortes voller Überraschungen. Doch die will ich gar nicht vorweg nehmen – ihr könnt sie selbst erkunden und dann ist die Freude um so größer.

Darunter kommt ein funktionales Inlay mit dem Spielmaterial zum Vorschein: Miniaturen für die Helden der Geschichte – und eine Menge böser Wyrms (der Gegner in dem Spiel). Außerdem verschiedene Fächer für die unterschiedlichen Karten, Fächer für die Pappcounter und Würfel und schließlich noch GeekMod-Schachteln für die Edelsteine und Schadensmarker („Herzen“). Kurz gesagt: Die Schachtel ist voll bis oben hin!

Aber nun zu dem Spiel an sich. Worum geht es bei Wonder Book überhaupt?

Wir spielen vier Kinder, die durch ein verzaubertes Buch in eine magische Fantasie-Welt „gezogen“ werden. Dort kämpfen wir über 6 Kapitel hinweg gegen einen bösen Drachen und seine Schergen, um diese Welt (und den guten Drachen) zu retten. Man hört es aus dieser Beschreibung schon heraus: Es ist ein kooperatives Spiel mit Kämpfen – richtig: Ein Dungeon Crawler! Auch wenn es (meist) keinen Dungeon im klassischen Sinne gibt, sind jedoch alle Aspekte da: Bewegung durch Räume auf Feldern, Kämpfe mit Würfeln gegen Feinde, Sammeln von „Loot“.

Dabei richtet sich das Spiel ganz klar an Kinder ab 10 Jahren laut Verlag – und das zeigt sich natürlich auch im Bewegungs- und Kampfsystem. Es ist im Kern sehr simpel, wird aber mit zunehmendem Spielverlauf deutlich komplexer, wenn die Helden der Geschichte neue Fähigkeiten bekommen. Die Figuren werden mit Aktionspunkten über den Spielplan bewegt und im Grunde kostet alles einen Aktionspunkt. Ein Feld bewegen, Angreifen, eine Fertigkeit einsetzen, Aufstehen – das ist eine sehr klare Regelung und so kommt es auch nicht zu Irritationen oder Verwirrung, wie weit sich jetzt eine Figur bewegen darf, oder ob eine Aktion keinen Aktionspunkt kostet.

Wonder Book Spielsituation

Unsere Helden müssen sich den bösen Wyrms stellen!

Das jeweilige Kapitel wird über einen Stapel Karten gesteuert. Es wird immer die oberste Karte gelesen und abgehandelt. Es gibt dann oft die Anweisung, wie mit dieser (und teilweise auch folgenden Karten) zu verfahren ist. Meist endet eine Reihe von Anweisungen dann mit einer Karte, die eine Bedingung – ein Spielziel – angibt, welche es zu erfüllen gilt, um weiter in dem Kapitel voran zu schreiten. So kann man in das Spiel (fast) ohne vorherige Regellektüre starten, und auch die Vorbereitung für das jeweilige Kapitel fällt angenehm kurz aus.

Eine Besonderheit gibt es bei Entscheidungen: Damit sich das Spiel „merken“ kann, ob die Heldinnen und Helden beispielsweise lieber einen Kampf wagen, oder ihr Heil in der Flucht suchen wollen, wird man häufig aufgefordert, ein Schlüsselwort zu notieren. In unserem Beispiel könnte das zum Beispiel ATTACKE oder FLUCHT sein – je nach Entscheidung. Auf diese Schlüsselwörter wird in dem Spiel dann später (auch in folgenden Kapiteln!) Bezug genommen – was sehr clever ist!

Kein gutes Buch oder irgend etwas Gutes zeigt seine gute Seite zuerst.

(Thomas Carlyle)



Thomas meint:

Und wie finde ich Wonder Book nun? Eine schwierige Frage. Vorneweg muss ich gleich sagen, dass ich das Spiel alleine durchgespielt habe, also nicht in einer Gruppe und damit auch nicht mit Kindern. Ich halte mich aber für kindlich begeistert genug, um so ein Spiel zu spielen. Sonst hätte ich mich auch nicht so darauf gefreut.

Wonder Book Der Baum

Der Baum im „Wonder Book“ ist wirklich gigantisch!

Fangen wir mit dem Auffälligsten an: Dem Spielmaterial, allem voran das Pop-up Buch. Das ist natürlich DER Hingucker und hat einen gewaltigen Aufforderungscharakter. Im Grunde ist das Buch wie das 3D-Gelände von Descent – Legenden der Finsternis – nur dass es sich von alleine aufbaut UND interaktiv ist. Ich möchte nichts vorweg nehmen, aber ja: Das Gelände ist beweglich und es bewegt sich im Spiel auch. So sehr, dass ich auch durchaus überrascht davon war! Darüber hinaus gibt es auch sonst noch die eine oder andere Überraschung aus Pappe; da muss man schon sagen, dass sich die Autoren ordentlich was haben einfallen lassen!

Außerdem kommt das Spiel mit einer Reihe von Miniaturen daher – die 4 Heldinnen und Helden und eine ganze Armee von „Wyrms“, den Dienern des Antagonisten in der Geschichte. Hier finde ich die Qualität extrem gut: Es ist ein eher harter Kunststoff gewählt worden, so dass die Figuren nicht verbogen waren (wie man es von vielen anderen Spielen mit Miniaturen aus weichem Plastik schon kennt) und sie haben eine angenehme Menge an Details, so dass sie gut zum Zeichen/Comic-Stil des Spiels passen.

Abgerundet wird das Material von gut produzierten, stabilen Spielkarten, einer Reihe Papptokens und Edelsteinen aus Kunststoff – all das findet dabei seinen Platz in einem durchdachten Inlay. Insgesamt also ein Augenschmaus.

Nun zum Spiel selbst. Was ich super finde: Die Regeln sind sehr klar und grundsätzlich einfach. Alles, was ein Held macht, kostet eine Aktion. Ein Feld bewegen, einen Kristall aufheben, einen Gegner angreifen – jeweils 1 Aktion. Man muss nicht permanent nachlesen oder auf die Referenzkarte schauen, um herauszufinden, wie teuer eine Aktion ist. Die Komplexität des Spiels kommt dann durch die Sonderfertigkeiten der Heldinnen (welche auch wieder je eine Aktion kosten). Diese sammeln sie im Laufe der Geschichte an und so steigern sich Komplexität und Möglichkeiten – und damit auch die Strategie im Spiel! – langsam.

Dennoch sind später im Spiel sehr tolle Kombinationen von Fähigkeiten möglich – der Kniff: Man muss sich immer für eine von zwei Fähigkeiten entscheiden. So hat man also beim erneuten Spielen die Möglichkeit, andere Entscheidungen bei der Wahl der Fähigkeiten zu treffen und so ganz anders zu spielen. Apropos Entscheidungen:

Ein Kernelement des Spiels ist es, dass die Spielenden im Laufe eines Kapitels immer wieder Entscheidungen treffen müssen (ich erwähnte dies oben bereits). Diesen Mechanismus finde ich grandios; führt er doch dazu, dass in späteren Kapiteln der Verlauf des Geschichte nachhaltig verändert werden kann – und selbst das Ende des Abenteuers verzweigt sich durch die bis dahin aufgeschriebenen Schlüsselwörter extrem stark! Wiederspielreiz ist damit also auf jeden Fall gegeben!

Wonder Book Die Helden

Die Figuren sind toll in ihren Details und abwechslungsreich

Wer sich jetzt fragt, ob die sechs Kapitel des Spiels in einem dicken Kampagnen-Buch untergebracht sind, der kann erleichtert aufatmen: Man „arbeitet“ in jedem Kapitel einen Stapel Karten von oben nach unten ab. Damit wird man Schritt für Schritt durch das Kapitel geführt, sieht immer die aktuelle Aufgabe und welche Sonderregeln eventuell gelten. Außerdem werden immer wieder neue Karten in den Stapel der Monsteraktionen gemischt, so dass auch diese mit der Zeit stärker werden, weil sie mehr Angriffe bekommen oder besondere Fähigkeiten. Auch hier gilt wieder: Sehr elegant gelöst; so elegant, dass ich mir dieses System tatsächlich auch für die erwachseneren Spiele wünsche!

Denn man merkt Wonder Book natürlich schon die Zielgruppe (ab 10 Jahre) an. Blutige Details oder grausame Taten sucht man eher vergeblich (wer diese denn auch immer suchen mag). Allerdings habe ich mich an manchen Stellen gefragt, ob das Spiel ursprünglich nicht eine jüngere Zielgruppe hatte, denn es gibt auch immer wieder Ausreißer mit extrem kindischen Aufgaben oder Themen. Spätestens wenn Witze vorgelesen werden sollen, schüttle ich nur den Kopf. Aber gut, ich bin auch nicht unbedingt die Zielgruppe. Dennoch ist ein Maus und Mystik deutlich erwachsener in der Geschichte, auch wenn es schon ab 8 Jahren vom Verlag empfohlen wird – und deutlich kompliziertere Regeln hat, meiner Meinung nach.

Das eigentlich sehr strukturierte Dungeon-Crawler-Spiel wird in unregelmäßigen Abständen auch immer wieder von Geschicklichkeitseinlagen oder Fingerfertigkeitsübungen unterbrochen. Je nach Aufgabe ist hier allerdings auch ein „perfektes“ Buch, sprich Spielmaterial, notwendig. Die Biegungen der Seiten  machen manche der Spiele unmöglich oder verändern die Wahrscheinlichkeiten zumindest stark. Auf meine Nachfrage hin haben der ABACUSSPIELE und der italienische Urspungsverlag dV Games allerdings unterschiedlich reagiert:
Während ich von ABACUS eine Hilfestellung bekommen habe, das Spielmaterial zu glätten, hat mir dV Games erklärt, dass die Unebenheiten gewollt sind.
Jetzt könnte man sich darüber beschweren, dass es unterschiedliche Antworten gab, aber ich bin der Meinung: Beide Verlage haben geantwortet und hatten eine Lösung parat. Super!

Alles in Allem ein wirklich gelungener Dungeon Crawler für eine jüngere Zielgruppe, an der aber auch Erwachsene Spaß haben können. Die kleinen Ausreißer bei den Aufgaben kann man leicht verschmerzen und trotzdem Spaß haben. Tatsächlich entwickelt die Geschichte zum Ende hin auch einen gewissen Ernst und man darf sich auf die eine oder andere Überraschung gefasst machen, welche sehr geschickt in der Geschichte gelöst worden ist.

HINWEIS: Es kann vorkommen, dass sich der Baum im Popup-Buch nicht richtig entfaltet. Erste Hilfe zu diesem Problem gibt es von Abacus-Spiele auf Youtube:

WONDER BOOK Wenn der Pop-up Baum sich nicht aufstellt
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Wonder Book Cover

Ein bildschöner Dungeon Crawler für die jüngere Zielgruppe, mit dem allerdings auch Erwachsene Spaß haben können. Das Spielmaterial ist ein echter Hingucker!

  • Erscheint bei ABACUSSPIELE
  • Für 1-4 Spielende und dauert 60-90
  • Am besten geeignet für Familie

Spielstil – Wertung

Thomas:

9/10
Das gefiel uns
  • Tolles Pop-up Buch als Spielplan
  • Sehr schöne Miniaturen
  • Klare, strukturierte Regeln
  • Kartenstapel führen durch die Geschichte
Das nicht so
  • Kindische Aufgaben
  • Erschwerte Geschicklichkeitsaufgaben durch unebenes Spielmaterial
Hier bekommt ihr „Wonder Book“

Amazon

Hinweis:
Wir haben das Rezensionsexemplar ohne Auflagen gratis vom Verlag bekommen.

Mehr Informationen zu Affiliate Links und Rezensionsexemplaren findet ihr in unserer Übersicht zur Transparenz und in den Bestimmungen zum Datenschutz.

Thomas Büttner

Tom schätzt neben komplexen Euros auch thematisch satte Solitär-Meisterwerke - und natürlich feine App-Umsetzungen. Dabei wird er schon mal ungehalten, wenn die Steuerung umständlich ist oder das User Interface unintuitiv.

So erreicht ihr Thomas:

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