SPIELSTIL Rezension
Lesezeit: 10 Minuten
Ein Spiel entwickelt von Kara Centell-Dunk, Nathan I. Hajek
erschienen bei Asmodee, Fantasy Flight Games
Gerade erst kam die Ankündigung einer Neuauflage von HeroQuest herein, die uns alle am Retroherz gepackt und durch den vielleicht getrübten Blick begeistert hat. Aber sind wir mal ehrlich. Wir erwarten von diesem Spiel genau eines. Dass wir zurück in eine Zeit tauchen, in der noch alles einfacher war. Doch die Welt hat sich weitergedreht und so toll wir eine Reise in die Vergangenheit auch finden mögen, dürstet es uns nicht nur nach Neuem, sondern wir genießen auch die Annehmlichkeiten und die Weiterentwicklungen, die diese mit sich gebracht haben. Und da ist Descent ein perfektes Beispiel. Es befindet sich inzwischen in seiner dritten Iteration, die das bekannte Konzept erneut durch hoffentlich sinnvolle Ergänzungen verbessert.
Aber lasst uns einfach einen Blick in den IKEA Pax Würfel werfen, der die Schachtel von Descent – Legenden der Finsternis zu sein scheint. Heben wir die Schätze, die sich darin befinden und schauen, ob sich die erzählten Geschichten überhaupt lohnen oder ob das Ganze ein überteuertes Projekt für zu gut verdienende Nerds ist.
(Karl Simrock)
Herzstück von Descent – Legenden der Finsternis ist neben den fantastischen Figuren und Geländeteilen vor allem eines. Die zugehörige App. Durch diese wird nicht nur die Geschichte erzählt, sondern sie dient auch als der bösartige Gegenspieler, der uns in Schach halten soll. Und so fertigen wir auch ziemlich alle Aktionen über die App ab. Egal ob Angriffe, Untersuchungen oder was uns sonst erwartet, alles ist nur einen Fingertipp entfernt.
Am Zug dürfen wir insgesamt drei Aktionen ausführen, die wir frei kombinieren. Neben den Standard-Geschichten wie Bewegen, Erkunden und Kämpfen gibt es noch Bereitschaft und Spezial. Gut, Bewegen, Erkunden und Kämpfen tun genau dies, was ihr dahinter vermutet. Wir laufen entweder entsprechend unserer Geschwindigkeit über den Plan, schauen uns eines der Details genauer an oder hauen einem Gegner auf die Rübe. Bereitschaft ist da schon etwas Spezielleres. Dies erlaubt uns eine unserer Waffen oder Fähigkeiten umzudrehen, um die Rückseite der Karte zu verwenden. Also die Art und Weise zu ändern, wie wir damit agieren. Gleichzeitig werden jedoch auch alle Marker, die sich auf der Karte befinden, abgeworfen, was eben gleichzeitig dafür sorgen kann, negative Effekte loszuwerden.
Doch egal, was wir tun möchten, an vielen Stellen müssen wir dafür die App zu Rate ziehen. Ihr wollt einen Baum untersuchen? Tippt auf den Bildschirm. Einen Gegner angreifen? Tippt auf den Bildschirm. Eine Tür öffnen? Ihr erratet es bestimmt. Doch nimmt uns die App dann eben auch viel Verwaltungsaufwand ab. Und während wir früher, wenn wir etwas untersuchten, im schlimmsten Fall eine zufällige Karte ziehen mussten, sind nun die Auswirkungen auch direkt vom Abenteuer vorgegeben. Nehmen wir den Baum als Beispiel. So könnte man vor die Wahl gestellt werden, ob man die Früchte, die daran hängen isst, hochklettert, um einen besseren Überblick zu bekommen oder ihn einfach so stehen lässt, wie er ist. Das sorgt immer wieder für coole Momente und das gewisse Etwas bei der Immersion.
Während die App im Spiel den Overlord übernimmt und uns eben anzeigt, wie sich Gegner verhalten, was sich hinter Gegenständen verbirgt und wie sich die dreidimensionale Karte weiter aufbaut, ist sie auch zusätzlich Datensammler für Fundsachen und zwischen den Abenteuern dazu da, alles zu verwalten. Hier kann man dann zum Beispiel neue Ausrüstung kaufen oder herstellen, Reisen, auf Ereignisse reagieren und noch mehr. Interessant ist auch, dass die Charaktere alle über zwei Tugenden verfügen, die durch unser Spiel ausgeprägt werden. Denn wir werden immer wieder vor Entscheidungen gestellt, die bestimmen, wie sich die Tugenden entwickeln.
Stück für Stück arbeiten wir uns so in der Kampagne voran, wobei wir erfreulicherweise (fast) jederzeit speichern und das Spiel später fortsetzen können.
Die komplette Spielregel zu Descent – Legenden der Finsternis – Der Test findet ihr hier. (externer Link)
(Sharon Stone)
Die App ist Fluch und Segen gleichermaßen. Denn während wir eigentlich eine epische gemeinsame Geschichte erleben und das wirklich phänomenale Gelände genießen sollten, werden wir die meiste Zeit auf den Bildschirm starren, das sich dort neben vielen relevanten Informationen eben auch die Aktionen befinden, die wir auslösen. Da stellt sich mehr als einmal die Frage, warum wir überhaupt ein Brettspiel und nicht gleich am Computer zur Freizeitgestaltung verwenden. Wen das abschreckt, der kann eigentlich sofort zu lesen aufhören, denn die vielen tollen Aspekte des Spiels werden bei euch wahrscheinlich nicht ankommen, da ihr euch stets über den digitalen Content ärgert.
Denn auf der anderen Seite erlaubt die App, dass wir mit Leichtigkeit sehr komplexe Mechanismen abbilden können. So kann in einem Szenario ein Baum eben mehr Optionen bieten als in anderen Szenarien – meist können wir nur drei „Standardaktionen“ mit dem Baum ausführen. Plötzlich kann er aber auch dazu dienen, ein Rätsel zu lösen, einen Weg zu öffnen, oder was auch immer den Entwicklern eingefallen ist. Der Spielplan erweitert sich mit der App Stück für Stück, wenn wir Türen öffnen und ist somit nicht von Anfang an einsehbar. Ohne App ist so etwas nur mit deutlichem Aufwand möglich.
Aber wirklich glänzen kann die App in den Kämpfen: So haben wir für unsere Waffen die verschiedensten Verbesserungen, welche mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten ausgelöst werden. Dies passiert vollkommen unabhängig von dem Würfelwurf, den wir im Kampf ausführen. So werden unsere Feinde von Schwächen gebeutelt (aber nur mit 15 % Wahrscheinlichkeit), wir machen doppelten Schaden (aber nur in 5 % der Fälle) oder einer unserer Verbündeten heilt einen Trefferpunkt (aber nur mit 45 % Chance). Um dieses Feature abzubilden, würde ein konventionelles Spielsystem, also ohne App, völlig überfordern. Braucht es das? Ja. Nein. Vielleicht? Es ist jedenfalls eine neue Art und Weise, wie man Kämpfe aufpeppen und stark kombolastige Helden zusammenstellen kann, was sich nicht nur wie Balsam für die eigenen Heldenfähgikeiten anfühlt, sondern einen auch direkt im Spiel fesselt.
Denn so kann man einem Fortunis Wurfdolche geben, welche auf viele Arten und Weisen „Zustände“ auf die Feinde legen – während Vaerix zusätzlichen Schaden verursacht für jeden Zustand auf dem Gegner. Das macht schon Laune und ist eine saucoole Angelegenheit! Denn das Spiel strotzt vor guten Ideen und spannenden Abenteuern. Und so feuern wir uns gegenseitig an, wenn wir auf Monster eindreschen, uns beraten, welche neuen Bereiche wir als Nächstes erkunden sollten und welche Aktion nun die richtige wäre. Zwischendurch gibt es dann auch immer wieder Entscheidungen, die zu treffen sind, die das ganze würzen. Leider auch gepaart mit peinlichen Momenten.
Denn natürlich bringt Descent – Legenden der Finsternis auch manches mit, was uns in anderen Spielen schon sauer aufgestoßen ist. Da wären Überraschungen, die man meilenweit voraussieht und extrem peinliche Gespräche unter den Charakteren. Vor allem Letztere ließen mich regelmäßig die Augen verdrehen. Denn nicht nur die Gestaltung ähnelt einem japanischen Rollenspiel. Auch manch Dialogzeile hätte man besser ersatzlos gestrichen. Nicht nur, weil diese zu lange sind, sondern auch Perlen wie „Hurra, jetzt habe ich neue Freunde.“ – „Wir sind keine Freunde!“ (frei aus dem Kopf zitiert) heraufbeschwören. Und mal ehrlich, wer hat schon Lust in einer Gruppe minutenlang nur Dialoge vorzulesen? Ja, ich weiß, das soll eine Art Charakterbildung sein, aber meine Augen rotieren sich schon schwindelig vom Verdrehen.
Und dennoch geht es bei Descent immer weiter voran. Es belohnt uns immer wieder. Hier neue Ausrüstung, da weitere interessante Charaktere. Das füttert unser Belohnungszentrum, auch wenn das Craftingmaterial manchmal etwas zu viel des Guten ist. Längst hat man den Überblick über die verschiedenen Komponenten verloren – weil es während des Abenteuers auch nicht wichtig ist: Wir haben keine große Entscheidung bei dem, was wir finden. Man registriert nur Kräuter hier Pilze dort und noch ein paar Metallsplitter nebenbei. Aber dennoch erhält man immer wieder etwas und weckt den Jäger und Sammler in sich selbst.
Wirklich interessant werden die Materialien dann erst nach dem Abenteuer. Denn dann geht es zurück in die Stadt und wir können aus den Materialien die vielen, vielen Verbesserungen und neue Waffen für unsere Helden konstruieren. Diese Phase befindet sich – wieder – komplett in der App. Aber hier ist das sogar toll! Denn wenn ich ein Szenario zu Ende gespielt habe, speichert die App, und ich kann mich erst mal ans Aufräumen des Spiels machen. Später, wenn alles verstaut ist, setzt man sich gemeinsam vor das Tablet oder den PC und begutachtet, was man alles gefunden hat, was für Rezepte man hat, und was nun gebaut werden kann. Danach, mindestens ebenso spannend, rüstet man seine Abenteurer für das nächste Szenario. Diese Entschleunigung gefällt mir sehr gut. Ich muss nicht mehr im Durcheinander der gerade gespielten Partie überflutet mit neuen Karten, noch eine Abschlussphase mit Erfahrungspunkten, Loot und Einkauf durchführen. Das kann ich dank der App auf später verschieben.
Wer jetzt Sorge hat, dass all diese Optionen, um den Kampf zu verfeinern und zu perfektionieren, auch dafür sorgen, dass das Spiel sehr schwer ist, der sei beruhigt. Das ist es nicht. Auf dem normalen Schwierigkeitsgrad kann man gemütlich spielen und es bei Bedarf sogar noch einfacher einstellen, wenn man es so richtig gemütlich angehen möchte. Sozusagen nur der Story folgen will. Und wer sich nun Sorgen macht, es sei zu leicht? Kein Problem, auch das lässt sich beheben: Es gibt zwei Stufen über dem normalen Grad. Auf der höchsten Schwierigkeitsstufe beißt man sich ganz schön die Zähne aus, weil spätestens da die Zeit ein echtes Problem wird. Denn alle vier Runden werden die Gegner stärker, also sollte man sich tunlichst beeilen und nicht länger jeden Baum dreimal untersuchen!
Lohnt sich also Descent – Legenden der Finsternis. Ja und Nein. Seid ihr Fans von Dungeon Crawlern, steht auf phänomenale Optik und habt die Zeit, euch auf die Geschichte einzulassen? Dann ist das Brettspiel wahrscheinlich genau in eurem Beuteschema. Mögt ihr es jedoch nicht in eurer Freizeit gemeinsam auf eine App zu starren und findet Charakterdialoge eher lächerlich? Dann solltet ihr es euch genau überlegen. Was aber auf jeden Fall gilt: Ob große taktische Herausforderung in den Kämpfen oder gemütlicher Spaziergang durch die Geschichte – beides ist in Descent – Legenden der Finsternis möglich und bringt Freude mit sich.
Auf jeden Fall ist es ein Ausnahmespiel, welches die App-Integration auf neue Höhen hebt. Meine bescheidene Prognose? Die Zukunft der Dungeon Crawler. Es ist perfekte Popcornunterhaltung ohne lästige Buchhaltung. Und wäre es im Kino, würde man es am ehesten mit Marvel Filmen gleichsetzen. Schön und leicht verdaulich und dadurch eigentlich von jedem konsumierbar, ohne zu sehr anzustrengen, aber doch voller epischer Momente.
Descent – Legenden der Finsternis – Der Test von Kara Centell-Dunk, Nathan I. Hajek
Phänomenales Abenteuer, das einen stets belohnt. Dabei helfen die tolle Optik und die vielfältigen Möglichkeiten über die wenigen Schwachpunkte hinweg. Dabei schafft es sogar die App das Spielgefühl positiv zu beeinflussen.
Christian:
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