SPIELSTIL Rezension
Lesezeit: 6 Minuten
Ein Spiel entwickelt von Hjalmar Hach, Maurizio Vergendo, Roberto Pestrin
erschienen bei Cool Mini Or Not
Wir alle kennen wahrscheinlich Filme oder Comics über Superhelden. Und vielleicht hat sich einer von uns auch schon einmal die folgende Frage gestellt: „Warum hat noch niemand versucht, ein Superheld zu sein?“
Diese Frage stellt sich auch Dave Lizewski, als er mit seinen Freunden im Comic-Laden sitzt, und sie über Comics diskutieren. Kurzerhand entschließt er sich, mit einem Neoprenanzug bekleidet, und zwei Schlagstöcken bewaffnet, nun selbst ein Superheld zu werden. Unnötig zu erwähnen, dass dieses Vorhaben eher unglücklich endet. Doch ein paar Knochenbrüche später hat er mit Metallplatten verstärkte Knochen und Nervenschäden, die ihn Schmerz nicht mehr fühlen lassen – das ist doch schon die halbe Miete! So zieht er also weiter als „Kick Ass“ gegen die Verbrecher auf die Straßen und begegnet schon bald weiteren Vigilanten, allen voran Big Daddy mit seiner Tochter Hit Girl.
Die Comics sind recht blutig, und ebenso wurde auch die filmische Umsetzung aus dem Jahre 2010. Und nun gibt es zu diesen Comics auch ein Brettspiel! Unnötig zu erwähnen, dass es als kooperatives Spiel auch Solo zu spielen ist und damit auf meinen Tisch kommen MUSSTE!
(Kick-Ass)
Die Spieler übernehmen die verschiedenen… äh… „Helden“ der Comicserie „Kick-Ass“, das Spielfeld ist eine grobe Karte von New York City, mit acht verschiedenen Orten. Unsere Helden wollen sich einen Namen machen und trainieren, während in New York die Gangster mehr und mehr werden. Dadurch werden unsere Handlungsfähigkeit eingeschränkt und wir verlieren schließlich das Spiel – sofern wir das nicht verhindern.
Gleichzeitig wird jeden Tag ein neues Ereignis aufgedeckt, welches einen Teil des Plans von unserem eigentlichen Gegner darstellt – denn wir haben es mit einem von fünf Verbrecherkönigen zu tun – seien es nun Red Mist, Don Genovese, oder sogar der üble Mother Fucker! Haben wir genug Pläne vereitelt, kommt es zum großen Showdown mit dem Oberschurken, welcher bei jedem Gegenspieler komplett mit eigenen Sonderregeln daher kommt, was erfrischend abwechslungsreich ist!
Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg von einem unbedeutenden Schüler oder Büroangestellten zu einem Helden, der es mit Gangsterbossen aufnehmen kann. Dazu trainieren wir fleißig, kaufen uns Ausrüstung und – fast am wichtigsten – steigern unser Ansehen und unsere Präsenz in den sozialen Medien. Wer die Comics oder den Film kennt, weiß, wie präsent dieses Thema dort behandelt wir – analog dazu schalten wir besondere Fähigkeiten und am Ende sogar unseren „Spezial-Move“ über das Ansehen frei. Durchaus relevant, möchte man meinen. Überhaupt kommt bei diesem Spiel sehr stark das Gefühl des „Wachsens“ und „Stärker Werdens“ auf – wir beginnen nämlich mit einer Auswahl von 5 Aktionskarten, aus denen wir jede Runde 3 auswählen, um sie auszuführen. Die Startkarten sind eher unspektakulär; meist kann man sich zwei Stadtviertel weit bewegen und dann die dortige Aktion ausführen.
Jedoch bekommen wir am Ende jeder Runde eine neue Karte dazu, für die wir eine der bisherigen 5 Karten entfernen. Und wirklich alle diese Karten sind deutlich stärker als die Starthand, mit der wir beginnen. So werden unsere Aktionen Runde um Runde stärker und spezialisierter – ganz ohne besonderes Zutun. Am Ende hat man dann eine Auswahl von wirklich starken Aktionen, die teilweise als Combo funktionieren. Natürlich gibt es auch Kämpfe, diese sind aber nicht so zentral, wie man bei dem Thema meinen möchte: Je nach Training und Ausrüstung haben wir eine Anzahl offensiver (roter) und defensiver (blauer) Würfel. 50/50 sind die Seiten leer oder zeigen einen Treffer/eine Abwehr. Die Schurken schlagen automatisch mit ihrer vollen Stärke zu – wehren allerdings nicht ab. Trifft man sie, sind sie aus dem Spiel.
(Kick-Ass)
Wieso? Wieso ist dieses Spiel so vollkommen unbekannt und unerkannt? Für mich ist es eines der rundesten Spiele überhaupt: Angefangen bei dem durchgängig stimmigen Artwork im Stile der Kick-Ass-Comics, über eine klare Symbologie bis hin zu einem schönen, flüssigen Spielablauf. Einzig der Buchhaltungs-Schritt am Ende eines „Tages“ (Runde), also das Abräumen der nicht genommenen Karten und das Auslegen des neuen Talons, ist ein wenig störend, aber das ist Jammern auf hohem Niveau.
Dafür bekommt man nämlich ein hervorragendes Helden-Spiel, bei dem es durchaus unterschiedliche Wege und Vorgehensweisen gibt. Mal setze ich auf Sonderaktionen und spezielle Aktionskarten. Mal rüste ich meinen Helden bis an die Zähne aus. Überhaupt hat man permanent das Gefühl, dass der Held heldenhafter wird. Er verbessert sich jede Runde nämlich automatisch durch die Auswahl einer neuen Aktionskarte. Da diese in der Regel deutlich besser als die Start-Aktionen sind, „wächst“ man in den ersten 4-5 Runden erst einmal ordentlich. Und dann steht auch schon der Showdown mit dem Oberschurken an, und man tauscht die Aktionskarten, die man zum Trainieren brauchte, gegen solche, die beim Endkampf helfen.
Der Nebeneffekt ist, dass die Spieler eine ständig wechselnde Aktionsauswahl haben, was es einem dominierenden „Alpha-Spieler“ eher schwer macht, den Überblick zu behalten und den anderen Spielern vorzuschreiben, was zu tun ist. Ich habe einige Kritiken zu dem Spiel gelesen, in denen ein extrem hoher Schwierigkeitsgrad das Spiel als nahezu unschaffbar beschreibt. Nach einigen Partien kann ich sagen: „Spielprinzip nicht verstanden.“
Es ist der „Andor-Effekt“: Die Spieler haben versucht, möglichst oft und häufig zu kämpfen (gegen die Minions, die die Stadt „fluten“). Das mag auf den ersten Blick richtig sein, aber dann erkennt man: Die Minions sind nur die Ablenkung. Sie hindern mich daran, Gutes zu tun (die Ereignisse zu lösen/zu bestehen) und blockieren die Aktionsfelder. Ein Held muss jedoch unbeirrt das große Ganze im Auge behalten, und sich nur wenn nötig mit den kleinen Fischen beschäftigen; wichtig ist doch, dass der Schurke, der hinter all dem steckt, zur Strecke gebracht wird!
Kick-Ass: The Board Game von Hjalmar Hach, Maurizio Vergendo, Roberto Pestrin
Tolles, thematisches Spiel, in dem man die Krise einer vom Verbrechen überrollten Stadt durch beherztes Eingreifen der Helden meistert!
Thomas:
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Wir haben das Rezensionsexemplar selbst gekauft.
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