Manchmal kommt man recht unverhofft an Dinge, von denen man nie dachte, dass sie existieren. So erging es mir mit Spyderling. Ein Buch von Sascha Macht, welches mir der Dumont-Verlag mit einer kleinen Notiz zugesandt hatte. Man war sich sicher, dass mich der Roman interessieren könnte.
Worum geht es in Spyderling
Bereits als ich den Klappentext las, breiteten sich erste Zweifel aus. Aber lest selbst:
Daytona Sepulveda ist Entwicklerin von Brettspielen und einigermaßen erfolgreich in ihrem Metier. In Fachkreisen wird sie ehrfürchtig »Die Verschwundene« genannt; ein Beiname, der auf tatsächlichen Ereignissen basiert: Daytona war wirklich eine Zeit lang verschollen und hat Schlimmes erlebt. Nun ist sie, genau wie sieben weitere Brettspielentwickler aus aller Welt, auf ein Weingut in der Republik Moldau eingeladen – von Spyderling, dem Guru der Spieleautoren, den allerdings noch nie jemand zu Gesicht bekommen hat. Die Tage vergehen, und die kreativen Geister sind derweil auf sich allein gestellt, denn Spyderling lässt sich einfach nicht blicken – man schmaust, säuft, liegt am Pool herum, fällt übereinander her. Doch als ein furchterregendes Brettspiel namens Maunstein auftaucht, beginnt die Wirklichkeit auf dem Weingut durchlässig zu werden: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschieben sich ineinander, wundersame Grausamkeiten geschehen, eine extremistische Rockband macht sich auf dem Anwesen breit – und plötzlich geht es für Daytona um alles.
Was genau reizt Menschen daran, sich um ein Brett zu versammeln, nach besonderen Regeln zu interagieren und miteinander im Spiel neue Welten zu erschaffen? Auf einzigartige Weise entfesselt Sascha Macht diese Frage in seinem neuen Roman und er-zeugt eine faszinierende Verbindung zwischen den Kunstformen der Literatur und des Spiels. Voller Fantasie und klug komponiert jagt ›Spyderling‹ seine Heldinnen und Helden auf eine Tour de Force der Selbst- und Welterkenntnis durch den wildesten Teil Osteuropas. Ein sensationell erhellendes Buch – und ein grandios witziger Abgesang auf die Egozentrik der westlichen Zivilisation, die alles weiß und alles nimmt, unnachgiebig, rücksichtslos.
Nichtsdestotrotz war ich neugierig. Was erwartete mich tatsächlich in Spyderling? Und wie kann ein Brettspiel furchterregend sein? Ich habe ja schon ein paar Tausend Spiele konsumiert, doch etwas Derartiges kam mir nie auf den Tisch (also bis auf diejenigen, die einen ärgerten, weil sie so schlecht waren). Also begann ich damit Spyderling zu lesen und eines kann ich sagen. Spyderling hat geschafft, mich emotional zu packen! Aber nicht im positiven Sinne. Ich war eher wütend. Zum einen über die Darstellung von Brettspielen und Autoren, zum anderen, weil es so unglaublich langweilig geschrieben war.
Brettspiele und Autoren – Realität vs. Spyderling
Beginnen wir bei Brettspielautoren und -autorinnen. Im Buch wird teilweise ziemlich über sie hergezogen. Sie wären asoziale Wesen, die sich nur für sich selbst interessieren. Die vom Neid auf andere zerfressen werden und sich niemals dazu herablassen würden, etwas positives über andere Werke zu sagen. Ok, ich mag befangen sein. Aber ich durfte schon einige Autoren persönlich kennenlernen und in freier Wildbahn beobachten. Und stellt euch vor, die haben ganz friedlich miteinander gespielt. Das geht sogar so weit, dass sie sich gegenseitig ihre Prototypen vorstellen und man gemeinsam diskutiert, was man eventuell besser machen könnte. Gut, Ausnahmen gibt es immer wieder. Aber diese Elfenbeinturmmentalität ist im Allgemeinen nicht zu beobachten.
Kommen wir zu den Spielen. Diese sind zwar recht fantasievoll umschrieben, aber sie würden in der Realität einfach nicht funktionieren. Und wenn, dann bräuchten sie Regelordner (Bücher würden nicht mehr ausreichen) im Umfang eines Advanced Squad Leaders, um die ganzen Sondermomente, die sie anscheinend mitbringen, überhaupt nur ansatzweise abbilden könnten. Es hat einen Grund, warum Brettspiele reale Ereignisse und Möglichkeiten nur abstrahiert darstellen. Daraus könnte man auch eine Geschichte ableiten. Aber nicht in der Tiefe, wie sie in Spyderling regelmäßig dargestellt wird. Aber vielleicht bin ich auch nur einer der Idioten, der hinter Brettspielen ein mathematisches Problem mit Glücksfaktor (ein freies Zitat aus dem Buch) sieht.
Dann werden noch Brettspiele erwähnt, die es schaffen, einen Skandal heraufzubeschwören, weil die Meute an Spielenden in ihnen eine schreckliche Thematik
(…) das Betreiben von Bordellen, Sklavenhandel und die mörderischen Aktionen rechtsgerichteter Paramilitärs während des Bürgerkrieges in Kolumbien
erkennt. Und der Spiele-Autor sie dann entkräftet, weil er ja ein ganz anderes Thema im Sinn hatte
Das vermeintliche Bordell entpuppte sich als historisch verbürgte Darstellung eines mittelalterlichen Heiratsmarktes, bei der angeblichen Versklavung handelt es sich um harmlose Importunternehmungen der Schwedischen Westindien-Kompanie, und die mutmaßlichen Bürgerwehren fochten lediglich einen Freiheitskampf gegen die sozialistischen, Recht und Ordnung mit Füßen tretenden und sich in Kokablätter kleidenden Guerillabewegungen im Urwald Amazoniens.
Ich habe ja viele Spiele im Regal stehen. Und manch eines davon hat sich auch in die Nesseln gesetzt (Mombasa anyone?). ABER keines der Spiele hält mit seinem Thema hinter dem Berg. Warum auch? Menschen kaufen Spiele unter anderem wegen der Thematik! Und es werden Spielewelten und Themen verkauft.
Alles in allem haben mir die Darstellungen unserer Szene in Spyderling nicht gefallen. Dabei lasse ich mal die ganzen kunstvollen Spieletitel außen vor. Nur zwei der genannten Spieleverlage muss ich hier unbedingt unterbringen. Denn wir bekommen es mehrfach mit dem Flughafen Spieleverlag und dem Polizeispieleverlag zu tun. So kunstvoll die restlichen Namen, die im Buch vorkommen sind, so langweilig sind die beiden hier auf alle Fälle. Gleichzeitig versucht Sascha Macht zu provozieren. Teilweise, indem er eine recht unsympathische Protagonistin erschuf, die eben alles schlechtredet. Das könnte man ja noch akzeptieren. Auch Personen in Büchern dürfen ihre Meinung haben. Aber diese ist so weit fernab der Realität, dass es schon schmerzt. Auf der anderen Seite schmückt er gerne alles Mögliche mit Themen und Aktionen, bei denen man vom Kopfschütteln schon fast ein Schleudertrauma bekommt.
Amerkung von uns: Zu den Aktionen aus einer der Lieblingsspielen der Protagonistin – Der Fleischplanet:
War es meine Schuld, dass der Schauspieler Jonathan Brandis auf Nimmerwiedersehen in den bodenlosen Vaginalkanal des atmenden Planeten stürzte?
Aber der Inhalt von Spyderling ist doch gut, oder?
Ich bin ehrlich. Ich bin ein Kunstbanause. Ich erkenne Bilder, die mir gefallen, komme jedoch nicht auf die Idee zu hinterfragen, was sich der/die Künstler/in beim Malen dachte. Auch empfinde ich die meisten Arthouse Filme als recht anstrengend. Und genau das ist Spyderling auch. Ich habe gekämpft, weil ich einfach wissen wollte, wohin das Ganze führt. Aber auf Seite 92 habe ich aufgegeben. Denn der Inhalt ist neben einer immens falschen Darstellung der Szene noch extrem langweilig und langatmig geschrieben?
Das Buch besteht (bis zu Seite 92) aus gefühlt 40 % belangloser Geschichte und 60 % Aufzählungen (ist das ein Stilmittel oder Seitenschinderei?). Beispiele gefällig? Gerne.
Ronny Neugebauer hatte eine Einladung erhalten. Johanna van Tavantar hatte eine Einladung erhalten. Arno Picardo hatte eine Einladung erhalten. Der vierzehn Jahre alte Campbell Campbell hatte eine Einladung erhalten. Elke von Manteuffel hatte eine Einladung erhalten. Selbst Clark Nygard hatte eine Einladung erhalten, der Idiot. King Trakto Sherpa hatte eine Einladung erhalten. Daytona Sepulveda hatte eine Einladung erhalten.
Das sind Wiederholungen und Auflistungen, die mich persönlich nerven. Genauso wenig brauch ich eine 1,5 Seiten lange Auflistung von Brettspielgenres (bei denen erstaunlich viele seltsame erfundene dabei sind, wie wichtige, reale fehlen) oder einen einzelnen Satz, der über 2 Seiten jeden Schachtelsatz mit „Ich dachte an“ beginnt.
Außerdem verstehe ich viele der Aktionen im Buch nicht. Warum zum Beispiel die Protagonistin am Weingut ankommt, in den dunklen Garten geht und erst einmal an sich selbst herumfummeln möchte. Oder auch der andere teilweise übersexualisierte Umgang untereinander. Aber wahrscheinlich sind das alles Kunstgriffe, hinter deren Fassade ich nicht sehen kann, weswegen sie mich irritiert zurücklassen, anstatt mir ein großes, ganzes Bild präsentieren, welches auf Metaebene etwas gänzlich anderes erzählt und dadurch interessant wird.
Ich habe es oben schon erwähnt, ich bin ein Banause und erkenne nichts, außer langweilige Aufzählungen und noch langweiligere Begegnungen zwischen unsympathischen und/oder blassen Gestalten, die in Geschichten erzählt werden, die mich einfach nicht interessieren. Gleichzeitig verdrehe ich dann immer wieder die Augen, wenn wieder auf Teufel komm raus provoziert werden möchte. Was für mich hängen bleibt, dass ich als Brettspieler fast schon über die Darstellung beleidigt sein müsste. Letztendlich ist es mir dann doch egal, weil ich mir sicher sein kann, dass die breite Masse nicht in den Roman hineinfindet (oder eher ganz schnell wieder hinaus). Eines weiß ich, ich wünsche Sascha Macht noch viel Erfolg in seinem Werdegang als Autor, aber ich werde ihn dabei nicht begleiten. Wahrscheinlich sagt diese Meinung mehr über mich selbst als über Spyderling aus. Aber wie ich schon mehrfach sagte, ich bin ein Banause und habe nicht vor, das in diesen Bereichen zu ändern. Lieber konzentriere ich mich auf komplexe Brettspiel-Kompositionen und die Menschen, die diese erschaffen und habe eine richtig gute Zeit damit.