SPIELSTIL Rezension
Lesezeit: 6 Minuten
Ein Spiel entwickelt von Richard Denning
erschienen bei Medusa Games
Thematisch gesehen geht Oranges & Lemons ziemlich ungewöhnliche Wege. Zumindest ist mir kein anderes Brettspiel für Erwachsene bekannt, welches sich auf einen Kinderreim bezieht. Dass daraus dann ein Spiel entsteht, in dem wir geschickt Handel betreiben müssen, steht dabei auf einem anderen Blatt.
Der Kinderreim selbst dürfte in Deutschland so gut wie nicht bekannt sein. Wikipedia sagt dazu, dass dieser aus London stammt und wahrscheinlich von der Vergabe von Früchten von der Kirche St Clement Danes handelt. Dabei gibt der Reim ein Gespräch zwischen einem Gläubiger und Schuldner wieder und endet damit, dass Letzterer hingerichtet wird. Die Kinderreime früher waren halt anders.
Damit ich die gute Laune nun nicht komplett vernichte, schwenke ich nun lieber wieder um auf das Brettspiel. Ich war auf der Presseschau der Spiel in Essen, als mir Oranges & Lemons das erste Mal ins Auge fiel. Die Optik schien mich direkt anzusprechen. Zwar etwas überladen, aber dennoch hob es sich wohlwollend ab. Eine kurze Erklärung später wusste ich dann eines. Das muss ich unbedingt spielen.
Nun sind einige Wochen vergangen, in denen wir uns intensiv mit Oranges & Lemons beschäftigen konnten. Unter anderem habe ich mir die Melodie des Kinderreims zu Gemüte geführt, die mir erstaunlicherweise recht bekannt vorkam. Jedoch kann ich sie nicht richtig zuordnen. Was jedoch klarer ist, ist meine Meinung zum Spiel nach den ganzen Partien. Und diese bekommt ihr hier.
(Kinderreim)
Vorher klären wir jedoch noch, was in Oranges & Lemons genau passiert. Es herrscht reges Treiben am Londoner Hafen und dem Marktviertel. Viele Menschen sind wieder ausgeschwärmt, um ihr Glück zu suchen. Wir sind einer davon. Optionen hierfür gibt es viele.
Sollen wir mit einer der vier Waren Handel betreiben? Also uns an den einzelnen Orten mit diesen eindecken, um sie gewinnbringend an Handelsschiffe oder den Markt zu verkaufen? Oder sollen wir doch unser Geld für uns arbeiten lassen, indem wir dieses verzinst verleihen, mit Aktien handeln oder damit eine Expedition der East India Company finanzieren?
Vielleicht sollten wir uns jedoch lieber mit uns selbst und der Gemeinde beschäftigen? Also unsere Lagermöglichkeiten ausbauen, Glocken spenden oder uns im Rathaus sehen lassen.
Möglichkeiten gibt es einige, doch die Plätze sind begrenzt. Doch eine Besonderheit wartet hier noch auf euch. Denn sind alle Arbeiter platziert, werden die Orte in fester Reihenfolge abgehandelt. Das sorgt, dass wir stets ein Auge auf das Timing legen müssen. Haben wir zum richtigen Zeitpunkt genügend Geld oder Waren? Was passiert denn danach? Wo hat uns ein Mitspieler erfolgreich blockiert und wie können wir das lösen?
Außerdem hat Oranges & Lemons hier noch einen Kniff parat. Es gibt keinen Startspieler im klassischen Sinn. Denn haben unsere Arbeiter ihren Job erledigt, werden sie sich nach und nach brav an der Kirche anstellen. Und die Schlange bestimmt, in welcher Reihenfolge sie die nächste Runde eingesetzt werden. So kann es dann schon einmal vorkommen, dass geschickte Spieler all ihre Pläne verwirklichen können, da alle Arbeiter schön nacheinander in der Schlange stehen.
Ist das letzte Handelsschiff angekommen, wird das Spielende eingeleitet. Dann wird aller Besitz in Siegpunkte umgewandelt. Zusätzlich erhalten wir weitere Punkte, indem wir in gewissen Meilensteinen die Mehrheit haben. So zum Beispiel die meisten Darlehen vergaben. Wer nach der Abrechnung führt, gewinnt.
Die komplette Spielregel zu Oranges & Lemons findet ihr hier. (externer Link)
(Kinderreim)
Ich weiß, dass es durchaus eine Mehrheit an Menschen geben wird, die bereits vom überladen wirkenden Spielplan abgeschreckt sein könnten. Und ich kann es ihnen nicht unbedingt verdenken. Das Design mag nicht unbedingt modern und clean wirken, jedoch hat mich das noch nie von einem Spiel abgehalten. Zumal die verwendete Sprache der Symbole einfach nachvollziehbar ist. Jedoch gebe ich auch zu, dass manche Bereiche ein wenig wie Platzhalter wirken, die noch auf eine Grafik gewartet hätten.
Zuerst mag Oranges & Lemons in seinen Möglichkeiten überfordernd wirken. Ich kann euch jedoch beruhigen. Im Kern ist alles nicht so schlimm, wie es wirken mag. Viele Felder wiederholen sich in ihrer Funktionalität, andere sind logisch genug, um sie direkt zu erklären. Während wir von Euro-Spielen durchaus einen Mangel gewohnt sind, ist es nicht schwer, in Oranges & Lemons voranzukommen. Es gibt immer Möglichkeiten, schnell an Geld und somit an Waren zu gelangen. Man könnte sogar von einem sehr belohnenden Spielgefühl sprechen. Nur das Fehlen von Orangen wirkt beim Titel etwas seltsam.
Dennoch hätte es ruhig ein klein wenig mehr Herausforderung sein dürfen. Ja, man muss das Timing und den Ablauf beachten, aber der Rest geht häufig viel zu einfach von der Hand. Auch hätte ich eine Entwicklung schön gefunden. Denn so läuft eine Partie Oranges & Lemons immer wieder im Kreis und man wird später im Spiel genau dasselbe machen wie zu Beginn. Auch so ist Oranges & Lemons ein Standard Worker-Plamecement Spiel mit wenig Überraschungen. Setze Arbeiter ein, hol dir Waren, tausche sie gegen Siegpunkte. Zusätzlich braucht man wie immer weitere Arbeiter, um mehr Aktionen pro Runde freizuschalten.
Besonders ist jedoch die Reihenfolgenwahl, die sich direkt aus meinem Einsatzort ergibt. Das finde ich spannend. Dazu kommen noch viele Möglichkeiten, denen ich nachgehen kann und auch muss. Zumindest dann, wenn ich am Spielende keine Siegpunkte verschenken möchte. Etwas zwiegespalten lässt mich die East India Company zurück. Nicht, weil ich ein Problem mit dem geschichtlichen Konsens habe. Entgegen dem gleichnamigen Spiel wird hier nichts verherrlicht – dennoch wäre in der Anleitung bestimmt Platz gewesen für eine ganz kurze geschichtliche Einordnung.
Nein, dieser Part bringt ein so starkes Zufallselement mit sich, dass ich nicht weiß, was ich davon halten soll. Hier ist es gleichfalls möglich, mit einem Schnäppchen eine dauerhafte Rohstoffquelle freizuschalten oder passende Waren zu erhalten, wie auch einfach nur Geld zu verlieren. Was man bekommt, weiß man nie. Thematisch stimmig, aber es hat uns häufig davon abgehalten, uns als zweiter auf dieses Feld zu stellen. Auch empfinde ich die Glocken zwar als präsent, aber nicht stark genug, um sie wirklich wichtig zu machen. Viele Belohnungen sind einfach nett, mehr aber auch nicht.
Am besten hat mir Oranges & Lemons zu dritt gefallen. Hier vereint sich ein schnelles Spiel mit genügend Einsetzfeldern, um eine Taktik zu verfolgen. Zu fünft war mir persönlich die Downtime etwas zu groß für das, was geboten war. Aber das ist Geschmackssache. Kann ich Oranges & Lemons also empfehlen? Diejenigen, die gerne Worker-Placement Spiele spielen, werden hier gut bedient. Es mag nicht das hübscheste und rundeste Spiel sein, aber dennoch unterhaltsam, jedoch auch mit Luft nach oben.
Oranges & Lemons von Richard Denning
Ein schönes Worker-Placement Spiel mit einem coolen Twist. Sehr belohnend, dafür aber mit Zufallselementen, die auch nicht jedem schmecken.
Christian:
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