SPIELSTIL Rezension
Lesezeit: 5 Minuten
Ein Spiel entwickelt von Gerhard Hecht
erschienen bei Kosmos
Meine erste Begegnung mit den Legenden von Andor war vielleicht etwas unglücklich. Ich hatte es gespielt, wie ich jedes andere Fantasy-Spiel auch angegangen wäre. Nämlich erst einmal alle Monster umhauen. Wer Andor kennt, weiß, was dann passiert. Der Zeitmarker rast nur so voran und man hat das Szenario Ruck-Zuck verloren. Das fühlt sich natürlich im ersten Moment recht unbefriedigend an, zeigt einem aber auch recht offensichtlich, was Andor für ein Spiel ist und, was man genau falsch gemacht hat.
Das sollte einem bewusst sein, wenn man seine ersten Partien von Die Befreiung der Rietburg absolviert. Denn auch hier haben wir es mehr mit einem Rätsel zu tun, als mit einem klassischen Fantasy-Szenario. Wir sind keine schwertschwingenden Halbgötter, die unaufhaltsam alles umwälzen, sondern mit Bedacht agierende Abenteurer, die sich einer gewaltigen Übermacht gegenübersehen. Ob diese Rechnung ein weiteres Mal aufging oder Chadas Bogen überspannt wurde, haben wir für euch getestet.
(Sabine Hübner)
Es gibt in Die Befreiung der Rietburg keine festen Szenarien. Wir bauen das Spiel immer gleich auf, skalieren jedoch die auf dem Feld befindlichen Monster mit der Spieleranzahl. Ziel ist es die einzelnen Begegnungen aus dem Weg zu räumen, um die darunter liegenden Aufgaben freizuschalten. Denn vier dieser Aufgaben müssen erfüllt werden, um zu gewinnen. Ist unsere Zeit abgelaufen, wird die Rietburg überrannt.
Die Aktionen der einzelnen Charaktere werden durch kleine Kartendecks gesteuert, die zu Beginn gerade mal 3 – 4 Karten groß sind. Im Zug spielen wir eine dieser Karten aus und wählen eine der darauf abgebildeten Aktionen. Mit ihnen lassen sich Begegnungskarten aufdecken, Kämpfe austragen, Bewegungen ausführen oder sonstige kleinere Manipulationen am Spielbrett durchführen. Das Deck lässt sich lediglich dadurch erweitern, indem wir Freunde finden, die uns nun zur Seite stehen oder Gegenstände aufsammeln, die einmalig benutzt werden können.
Wollen wir unsere Karten wieder auf die Hand bekommen, müssen wir einmal passen. Dadurch rückt jedoch das Ende immer näher. Wir müssen nämlich die oberste Zeitkarte aufdecken und durch diese Monster ins Spiel bringen. Da jedoch nur zehn Zeitkarten auf dem Stapel liegen, müssen unsere Aktionen wohl überlegt sein.
Kämpfe trägt man entweder allein oder gemeinsam aus. Zumindest dann, wenn man am selben Ort steht. Ziel ist es genügend Angriffspunkte zu haben, um das Monster zu besiegen. Dieses wandert dann in unsere Trophäensammlung, wo sie teilweise Gold – welches für manche Aktionen benötigt wird – zur Verfügung stellen oder einfach zur Erfüllung von Aufgaben dienen.
(Theodore Simon Jouffroy)
Wie ich zu Beginn bereits sagte, ist Die Befreiung der Rietburg kein klassisches Ameritrash Spiel. Wer mit dieser Erwartung an das Spiel geht, wird nicht nur gnadenlos untergehen, sondern auch frustriert den Tisch verlassen. Stellt euch also bereits vor dem Spiel darauf ein, dass ihr es im Kern mit einem zu lösenden Rätsel zu tun habt, welches durch eine schöne Optik überdeckt wurde. Durch den immensen Zeitdruck muss jede Aktion wohl überlegt sein, damit man eine Chance hat die Rietburg zu verteidigen.
Toll ist, dass die Charaktere alle ihre kleinen Eigenheiten mitbringen und sich so geringfügig anders spielen. Nicht komplett asynchron, aber mit netten Twists, die dafür sorgen, dass wir unser Handeln leicht anpassen müssen. Nicht so toll ist, dass der Zufall gefühlt einen sehr großen Anteil daran hat, ob wir ein Abenteuer bestehen können oder nicht. Nicht durch Würfel, sondern durch Karten und ihre Verteilung. So erging es uns auch mehrfach so, dass Orte, die wir gerade erst freigeräumt hatten, durch unglücklich aufeinanderfolgende Zeitkarten wieder zugepflastert wurden. Da wir eh schon ein recht straffes Zeitlimit haben, sind verlorene Aktionen in diesem Fall natürlich umso schmerzhafter. Hier hätte man ein wenig besser skalieren müssen.
Dafür ist eine Partie recht flott gespielt. Inklusive Aufbau und kurzem Auffrischen der Regeln und den Diskussionen, während der Partie, vergeht keine Stunde. Dabei entsteht kaum Downtime, da die einzelnen Züge sehr kurz sind und man sich währenddessen immer einbringen kann. Natürlich hat das zur Folge, dass wir hier dem Alpha-Spieler Tür und Tor öffnen. Aber ich denke, jeder weiß, wie sehr er selbst davon betroffen ist.
Ein wenig verwirrt war ich bezüglich der geringen Anzahl an Handkarten. Was sich in den ersten Partien als recht frustrierend abzeichnete, ist einer der großen Momente des Spiels. Denn Zeitmanagement macht einen großen Teil des Reizes aus. Wie können wir unsere Aktionen perfekt aufeinander abstimmen, um eine Aufgabe zu lösen? Kann ich eine Runde schinden, damit keine neue Erzählkarte aufgedeckt werden muss und meine Mitspieler noch etwas ausrichten können? So fühlt sich jede Karte, die ich ausspiele, gleich viel wichtiger an.
Die Befreiung der Rietburg ist ein guter Titel, bei dem das Können der Spieler ziemlich Hand in Hand mit dem Zufall geht. Obwohl die Grafiken und Texte eigentlich dazu verleiten müssten in die Welt zu versinken, verschwinden die immer weiter im Hintergrund. So sieht man irgendwann nur noch, welche Anweisung nun als Nächstes auszuführen ist. Ich selbst mag das Spiel, bei meiner Familie stieß es jedoch eher auf Widerwillen, obwohl sie eigentlich die Zielgruppe darstellen sollten. Und auch, wenn es positiv zu sehen ist, dass es bei dem Spiel nicht die eine Strategie gibt, mit der man es immer knackt, ist dies einfach durch die zufällige Kartenauswahl erkauft. Wer damit klarkommt, dass er mal viel zu einfach durch das Abenteuer rauscht oder es beim nächsten Mal unmöglich lösen kann, der kann bedenkenlos zugreifen.
Die Befreiung der Rietburg von Gerhard Hecht
Ein stimmungsvolles Fantasy-Rätsel, bei dem die Erzähltexte ziemlich schnell im Hintergrund verschwinden. Leider entscheidet die Kartenverteilung gerne auch mal, ob man das Spiel überhaupt gewinnen kann.
Christian:
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