SPIELSTIL Rezension
Lesezeit: 5 Minuten
Ein Spiel entwickelt von Johannes Krenner, Sabine Harrer
erschienen bei Deep Print Games, Pegasus Spiele
Aktuell ist eine schlechte Zeit für Spiele, die erst in großer Runde so richtig spaßig werden. Durch die erneute Verschärfung der Besuchsregeln ist es nun umso schwerer geworden, derartige Spiele adäquat zu testen. Und so basiert diese Besprechung zu Kyoto auf ein paar 4er Partien. Mehr ist aktuell leider nicht drin. Aber dennoch möchte ich mir nicht nehmen lassen, diese ersten Erfahrungen zu Papier – oder besser gesagt, ins Digitale – zu bringen. Denn auf absehbare Zeit lässt sich nicht sagen, ob ich das Spiel noch in Vollbesetzung genießen werde. Aber eines ist sicher. Sobald dies möglich ist, werde ich es nachholen und diese Rezension entsprechend ergänzen. Es tut mir leid, aber besondere Zeiten erfordern ungewöhnliche Mittel.
(Egon Erwin Kisch)
In Kyoto übernimmt jeder Spieler die Rolle eines Landes (ja, die EU ist einfacherhalber auch als Land vertreten). Zusätzlich gibt es für jeden zwei Agendakarten, die festlegen, wie wir Siegpunkte erhalten können und für welche Lobbys wir uns einsetzen. Denn es geht um nichts geringeres, als die Zufriedenheit der Auto-, Atom- oder Bauernverbände! Und ein klein wenig um die Rettung unseres Planeten.
In jeder Runde übernimmt ein Spieler den Vorsitz. Nur er erhält den kompletten Einblick in die neueste Studie, die festlegt, was getan werden muss, um den Planeten zu retten. Dabei ist für alle ersichtlich, was eingespart werden muss. Das können CO² oder bestimmte Giftstoffe sein. Außerdem legt die Studie fest, wie viele Millionen in den Umweltfond eingezahlt werden müssen. Von den negativen Effekten ist der Gruppe nur ein Teil bekannt. Den Rest kennt nur der Vorsitzende.
Dann geht es in die heiße Phase. In 90 Sekunden muss ein Konsens gefunden werden. Wer will das Vorhaben überhaupt unterstützen? Und mit welchen Mitteln? Auf welchen Wohlstand (dargestellt über Handkarten) kann man verzichten. Wie viel Geld ist man bereit zu zahlen. Letzteres nicht nur für den Umweltfond, sondern auch als Bestechung für die anderen, damit die ihre Karte wieder zurücknehmen. Schließlich kann man mit der Auto-Lobby im Rücken nicht zulassen, dass jemand SUVs abschafft.
Ist man sich einig und das Ziel erreicht, nimmt der Vorsitzende die Angebote nach seinem Gusto an, bis alles erfüllt ist. Haben wir keine Einigung erzielt wird nun offen gelegt, was die Auswirkungen auf die Umwelt sind. So sterben Tiere aus, die Temperatur steigt oder das Klima verändert sich nachhaltig.
Ist einer der Posten, den wir schützen wollten, komplett im negativen Bereich endet das Spiel sofort. Nun gewinnt der Spieler mit den zweitmeisten Punkten. Denn der mit den meisten hat nachweislich Schuld daran, dass die Welt vor die Hunde gegangen ist.
Ansonsten wird Runde um Runde weiter gespielt, bis alle Studien abgeschlossen sind und die Erde trotzdem noch lebensfähig ist. Dann klopfen wir uns alle auf die Schulter und lassen den Spieler mit den meisten Punkten gewinnen.
Die komplette Spielregel zu Kyoto findet ihr hier. (externer Link)
(Vicco von Bülow)
Kyoto schlägt in dieselbe Kerbe, wie es damals Junta schon tat. Das Erlebnis wird über ausgeglichene Mechaniken gestellt. Es gibt keine Methoden des Spiels um irgendetwas auszugleichen, keine Möglichkeiten Fehler auszugleichen. Nur die harte Verhandlung und den Versuch sich nicht in die Karten sehen zu lassen.
Ersteres ist ein riesengroßer Spaß. Wenn wild durcheinander diskutiert wird und man Lobpreisungen auf moderne Errungenschaften, wie das Nachtskifahren aus dem Ärmel schüttelt. Das sind die Momente, die das Spiel auf eine besondere Ebene heben. Hier dient natürlich der Zeitdruck der Sache. Man hat nicht viel Zeit und muss diese möglichst gut nutzen.
Was mir jedoch nicht so gut gefallen hat, es ist relativ schnell klar, in welchen Lobbys die einzelnen Spieler Aktien haben. Denn hier geht es so schnell um Punkte, dass sich niemand so recht leisten kann untätig zu sein. Heißt, man besticht die anderen, sofern man nicht das Glück hat einen Großteil der Errungenschaften selbst auf der Hand zu haben. Ist das erst einmal raus, weiß jeder, wie er den anderen unter Druck setzen kann. Und das wird praktiziert, bis man eben nachgeben muss. Das ist mir dann etwas zu wenig Einfluss darauf, was meine eigenen Siegpunkte angeht.
Aber andererseits muss man Kyoto auch etwas anders einordnen. Es ist eines der Spiele, bei denen der Weg das Ziel ist. Es ist eher irrelevant, wer das Spiel nun gewonnen hat und wer nicht. Die besten Momente in einer Partie sind in den Diskussionsrunden. Und hier ist jeder gleichermaßen Sieger und Verlierer. Aber auch das ist etwas, was nicht auf Dauer geht. Zumal das Spiel ein klein wenig zu lang geraten ist, so dass es, wenn jeder auf seine eigenen Interessen pocht, grundsätzlich dadurch endet, dass die Welt vor die Hunde geht. Das fühlt sich auf der einen Seite richtig, aber auf der anderen schon vollkommen falsch an, da ja eigentlich allen am Wohl der Erde liegt. In die für das Spiel passende Rolle zu schlüpfen ist dabei gar nicht so einfach.
Kyoto ist eines der Spiele, auf das sich jeder freut, danach aber auch erst einmal gesättigt ist. Ein Titel, der im Schrank steht und nur darauf wartet, dass die nächste Gelegenheit zu einer lustigen Runde kommt, wobei ich mir vorstellen kann, dass irgendwann auch das letzte Argument gesagt und dadurch die Luft raus ist. Bis dahin hat man jedoch eine spaßige, wenn auch wenig zielführende Zeit.
Kyoto von Johannes Krenner, Sabine Harrer
Ein stark kommunikatives Spiel, das seinen Reiz auch genau daraus zieht. Nichts für Leute, die unbedingt gewinnen wollen und nicht den Weg als Ziel ansehen.
Christian:
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