SPIELSTIL Artikel

Interview: Carsten Reuter – Schwerkraft Verlag

Lesezeit: 8 Minuten

Trotz intensiver Essen-Vorbereitungen und diversen Problemen bei der Verteilung von „Mare Nostrum“ für die deutschen Kickstarter-Backer hat Carsten Reuter, der Inhaber des Schwerkraft Verlags, dennoch die Zeit gefunden uns ein paar Fragen zu beantworten. Dabei bleibt er nicht nur mit „Terraforming Mars“ bei der aktuellen Neuheit. Er erzählt weiterhin etwas über die „Mare Nostrum“ Krise, wie ihm Weihnachten 2013 versüßt wurde und seine „Einsame-Insel-Spiele“. Viel Spaß beim Lesen.

 

 


Wie bist du dazu gekommen einen Verlag zu gründen?

Bis 2013 habe ich einen Fachgeschäft mit Spielen und Comics betrieben. Da baut sich ein Netzwerk aus vielen Bekanntschaften auf. Unter anderem lernte ich Uwe Eickert (Academy Games) kennen, der mir seine „Birth of Nation-Reihe“ anbot. Und so nahm alles seinen Lauf.

 

Was würdest du persönlich sagen ist dein Hauptaugenmerk?

Ich mag insbesondere Spiele, deren Thema eng mit den Regeln verzahnt ist. Einfach irgendein Mittelalter-Thema über einen funktionierenden Euro-Mechanismus zu stülpen, ist mir zu beliebig.

 

Wie entscheidest du, ob ein Projekt interessant für dich ist?

Zuerst ist das eine sehr persönliche Sache. Das Spiel muss mich so begeistern, dass ich es selber auch kaufen und wiederholt spielen würde, wenn es bei einem anderen Verlag herauskäme. Und das ist ein wirklich wichtiges Kriterium, denn schließlich fließt wochenlange Arbeit in so ein Projekt. Ein Spiel zu machen, was mir selber gefällt, hält auch in den anstrengendsten Phasen die Motivation hoch. Im zweiten Schritt wird dann sehr nüchtern geschaut, ob es sich kaufmännisch rechnet. Leider fallen hier viele Kandidaten wieder raus. Hier gilt es aber stark zu bleiben und sich von der Begeisterung für das Spiel nicht verleiten zu lassen, es um jeden Preis durchzuziehen.

Interessanterweise sehe ich dann einige dieser Titel bei anderen Verlagen auf Deutsch veröffentlicht.

 

Was hat den Ausschlag für dich gegeben „Terraforming Mars“ zu veröffentlichen?

„Terraforming Mars“ ist genau so ein Spiel, wie ich es mir wünsche. Das Thema ist alles andere als beliebig. Jede der 208 Spielkarten stellt ein anderes konkretes wissenschaftliches Projekt dar. Die Spieleffekte dieser benannten Karten spiegeln auch wieder, was ich in der Realität an Veränderungen der Umwelt aufgrund solcher Projekte erwarten würde.

 

Welcher Aspekt gefällt dir am besten an „Terraforming Mars“?

Mir gefallen viele Dinge an „Terraforming Mars“. Aber besonders gelungen ist die gute Skalierbarkeit. Das Spiel funktioniert mit 1 – 5 Spielern gleichermaßen hervorragend. Sogar die Spieldauer ist mit allen möglichen Spielerzahlen in etwa gleich. Das ist doch eher selten bei Brettspielen.

 

Gab es Schwierigkeiten bei der Veröffentlichung?

Nein, „Terraforming Mars“ war ein Projekt, das eigentlich lehrbuchmäßig ablief. Einzig der Termindruck war hoch, da der US-Partner eine wichtige US-Messe mitnehmen wollte. Wir haben daher mit der Übersetzung an nicht-finalen Daten begonnen. Dadurch konnten wir aber kleine Korrekturen in die englische Version mit einbringen.

 

Wie nah musst du dich an der Anleitung halten, wenn du ein Spiel übersetzt?

Da gibt es nur eine Antwort: Sehr nah!

Schau, eigentlich könnte ein übersetzender Verlag beliebig Veränderungen vornehmen, wenn er zum Beispiel glaubt, etwas verbessern oder an nationalen Gegebenheiten anpassen zu können. Aber wenn das Spiel später eine offizielle Erweiterung erhält, können einem die Änderungen am Grundspiel gehörig um die Ohren fliegen.

 

Bei „Mare Nostrum“ ist ja einiges schief gegangen und ich habe gelesen, dass es für dich ein Draufzahlgeschäft ist. Wie schlimm ist es tatsächlich? Wie verhalten sich deine Auftraggeber?

Bei „Mare Nostrum“ ist fast alles schief gelaufen, was schief laufen kann. Angefangen von einer unglaublichen Verspätung des Druckbeginns (und da brauchen wir den Riesenspielplan noch gar nicht zurechnen). Bis zu unerklärlichen Unterlieferungen der Mengen, die alleine nur für die Kickstarter-Auslieferung gebraucht werden. Leider sind die raren Antworten von Seiten unseres Partners meist fatalistische Einzeiler. Erklärungsversuche, die ich gerne kommunizieren würde, blieben größtenteils aus.

 

Du hast ziemlich viel Lob für deine Krisenbewältigung bei „Mare Nostrum“ erhalten, ist das wenigstens ein kleiner Trost?

Ja, natürlich ist es ein kleiner Trost, wenn ich ein paar nette Zeilen der Aufmunterung erhalte. Aber ich bin hier auch ganz realistisch. Der Schaden durch „Mare Nostrum“ ist groß und meiner Meinung nach irreparabel. Bei zukünftigen Kickstarter-Projekten werden wohl mehr Backer glauben, sie fahren auf der sicheren Seite, wenn sie sich nicht für die deutsche Version entscheiden. Das wäre schade. Ich möchte das Vertrauen meiner Kunden gerne behalten.

 

Wenn du die Zeit seit der Gründung des Schwerkraft-Verlags siehst, gibt es Dinge, die du anders angehen würdest?

So eine Liste der vergangenen Fehler hat doch jeder Geschäftsmann. Aber ich trauere dem Geschehenen nicht lange nach. Vielmehr genügt es mir, aus den Fehlern zu lernen und sie nicht zu wiederholen. In der Summe habe ich aber das meiste richtig gemacht. Der Schwerkraft-Verlag ist gerade mal 3 Jahre alt und bereits weit gekommen. Der Markt ist doch ziemlich gut besetzt und jede Verlagsgründung ist nun hartes Brot. Da heißt es schon was, nicht direkt wieder untergegangen zu sein.

 

Was ist DER Moment seit Gründung des Schwerkraft-Verlags, auf den du immer wieder erfreut zurückblicken wirst?

DER einzelne Augenblick war die Berichterstattung auf  der Stern.de-Weihnachtsliste in 2013 über unser damals neues Spiel „Acht-Minuten Imperium“. Der Artikel war nicht gekauft und kam vollkommen überraschend. Der Autor hat das Spiel von sich aus entdeckt und ganz authentisch seinen Lesern empfohlen. Das hat dem Schwerkraft-Verlag einen initialen Anschub gegeben.

Des Weiteren habe ich mich sehr über das Quartal gefreut, in dem wir erstmalig break-even auf voller Kostenbasis erreicht haben. Da wusste ich, es klappt! Durch „Mare Nostrum“ sind wir leider kurz wieder drunter gepurzelt, aber ich schaue ja lieber nach vorne.

 

Ich habe vor kurzem das Zitat eines Game-Designers gelesen. In dem stand, dass er es bedauert in der Spielebranche zu arbeiten, weil dadurch ein persönliches Hobby von ihm zerstört wurde. Kannst du das bestätigen, bzw. spielst du privat überhaupt noch gerne?

Ach, das hat dieser Autor doch nur geklaut … von allen anderen.

Im Ernst, das kommt ganz drauf an, auf welcher Ebene ich in der Spielebranche arbeite. Als ich noch meinen Laden hatte, war ich ausschließlich von fertigen Spielen umgeben. Und das Klönen mit Ladenkunden zerstört auch nichts. Ich habe es immer sehr gemocht. Jetzt als Verleger ist das ein bisschen anders. Ich habe ausschließlich mit unfertigen Spielen zu tun und einen täglichen Kundenverkehr gibt es nicht. Kunden, die sich per Email melden, reklamieren in der Regel einen Holzstein und das war es.

Aber natürlich spiele ich privat auch noch sehr viel und sehr gerne, und nicht nur Schwerkraft-Spiele! Aber bitte privat keine Prototypen mehr. Das ist Arbeit.

 

Du strandest auf einer Insel mit genügend Spielpartnern, welche 5 Spiele hättest du gerne dabei und warum?

Das ist mal eine schöne Frage. Und ganz ehrlich, da habe ich noch nie drüber nachgedacht. Ich lebe in einer Überflussgesellschaft und so sehen auch meine Spielregale aus. Sich jetzt auf 5 Titel  beschränken zu müssen, verlangt ja geradezu eine analytische Vorgehensweise:

Die Spiele sollten alle sehr unterschiedlich sein. Und da Deine Vorgabe nichts bezüglich der Herkunft der Spielpartner sagt, würde ich zumindest ein sprachneutrales, abstraktes Spiel wählen, um alle kulturellen Hürden überwinden zu können. Eigentlich mag ich solche Spiele ja nicht, aber mit genügend Zeit wäre das vielleicht die Gelegenheit, in „Schach“ oder „Go“ zum Großmeister der Insel zu werden.

Dann bestimmt natürlich der Zeitpunkt der Frage auch meine Antwort. Und momentan bin ich süchtig nach „Terraforming Mars“. Das muss also unbedingt auch mit. Und vielleicht lernen alle Mitspieler beim Spielen, wie man die Insel bewohnbarer machen könnte.

Dann würde ich ein Spiel mitnehmen, dass ein Systemspiel ist. Ich spiele privat gerne historische Konfliktsimulationsspiele. Die meisten davon sind allerdings 1-Szenario-Spiele und haben einen geringen Wiederspielbarkeitswert. Ein Spiel wie „Advanced Squad Leader“ jedoch mit Hunderten von Szenarien lässt sich in einer Ewigkeit nicht durchspielen. Damit halte ich auf der Insel durch, bis Entsatz kommt.

Ein altmodisches Pen-and-Paper-Rollenspiel (meine Favoriten: „Pathfinder“ und „Dungeons & Dragons“) sollte auch mit dabei sein. Es passt sich jeder Spielerzahl an, lässt sich ernst oder lustig spielen, geht auch mal ohne Tisch, funktioniert mit Grünschnäbeln und Veteranen (auch gemischt) und da ich am liebsten Spielleiter bin, muss ich nur kreativ genug sein, um mir immer neue Abenteuer auszudenken. Vielleicht leite ich dann mit meiner Inselgruppe ein Abenteuer, bei dem die Helden zunächst auf einer Insel stranden und dort statt Waffen nur 5 Spiele vorfinden…

Das 5. Spiel wäre kein fertiges Spiel. Ich würde eine Kiste voller Spielkomponenten mitnehmen und endlich mal den langgehegten Wunsch umsetzen und ein eigenes Spiel erfinden. Mitspieler und Zeit zum Testen hätte ich dann ja genug. So kann ja nur was tolles dabei rauskommen!

 

Du landest in der Hölle und wirst gequält, indem du ein Spiel immer und immer wieder spielen musst. Mit welchem könnte man dich am meisten quälen und warum?

Mit jedem!

Ich kann kein Spiel allzu oft spielen. Ich habe einen hohen Durchlauf, was Spiele angeht. Ist das Spiel schlecht, würde mich bereits die 2. Partie quälen. Aber selbst das tollste Lieblingsspiel kommt irgendwann nicht mehr freiwillig auf den Tisch und die Quälerei würde beginnen. Aber so verhält es sich wohl auch mit Lieblingsfilmen und -büchern.

„Denn alle Spiele sind Qual und nichts ist ohne Qual. Allein die Dosis macht, dass ein Spiel keine Qual ist.“ – frei nach Paracelsus

 

Christian, ich danke Dir für die interessanten Fragen und hoffe, Du und Deine Leser finden meine Antworten ebenso interessant.

 


An dieser Stelle wollen wir uns natürlich auch bei Carsten bedanken. Wir wissen, dass er gerade einiges um die Ohren hat, da ist es umso erstaunlicher, dass er die Zeit gefunden hat. Wir wünschen ihm weiterhin viel Erfolg, so dass wir hoffentlich noch viel Spaß mit den Spielen des Schwerkraft-Verlags haben werden.

Wie gut das bei Terraforming Mars funktioniert hat könnt ihr im zugehörigen Spielbericht auf Spielstil.net lesen.

Portrait-Christian Renkel-quadratisch-2
Written by Christian Renkel
Christian liebt Brett- und Videospiele mehr, als ausreichenden Schlaf. Dabei ist ihm am wichtigsten, dass er in der jeweiligen Welt versinken kann. Egal, ob es die geschickte Mechanik oder die überkochende Emotion ist.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

You may use these HTML tags and attributes: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>

Danke für deine Meinung