SPIELSTIL Rezension
Lesezeit: 8 Minuten
Ein Spiel entwickelt von Xavier Georges
erschienen bei Pegasus Spiele, Quined Games
„Wie das stete Reiben eines Sandkorns, obgleich es für das menschliche Auge kaum zu erkennen sei, nach vielen Jahren eine herrliche Perle hervorbringen mag, so schafft es auch ein Mensch mit minimalsten Möglichkeiten, seinen Traum zu verwirklichen.“ Dies war er, der erste Satz, den ich für meine Biografie auserkoren hatte. Ich hatte ihn vor nunmehr einer Stunde auf das Papier gebracht und starrte ihn seitdem an. War er interessant genug, um Leser vom ersten Moment an zu fesseln? Und wie sollte ich ihn weiterführen? Womit beginnen?
So viel war geschehen. Das Alter und die Arbeit hatten ihre Spuren hinterlassen. Das zu fette Essen dazu geführt, dass die Gicht mich daran hinderte, die Feder so behände zu führen, wie ich es vor vielen Jahren noch gewohnt war. Und doch musste ich der Nachwelt hinterlassen, wie es überhaupt dazu gekommen war, dass ich einer der reichsten Menschen der Welt wurde, obwohl alle Zeichen gegen mich standen.
(Andrew Carnegie)
Ich hatte nicht viel, als ich begann, in den USA meine eigene Firma aufzubauen. Doch man muss Risiken eingehen und so beschloss ich, dass es an der Zeit war. Ich nahm einen Kredit bei der Bank auf und schon bald konnten meine Mitarbeiter und ich die ersten Büros beziehen. Doch wir mussten unbedingt tätig werden.
Und so schickte ich den Angestellten im Personalwesen die Anweisung, dass sie sich zuerst einmal um die Ausbildung kümmern sollten. Schließlich kann keine Firma ohne Fachpersonal bestehen. Und das Personalbüro ging sofort an die Arbeit. Sie sorgten dafür, dass die Arbeiter ihren Weg durch die Abteilungen fanden und am Ende des Tages jeweils an der richtigen Stelle eingesetzt waren, um bald mit ihrer vollen Kraft zur Verfügung zu stehen. Doch mein schmales Vermögen schwand immer weiter. Denn eine gute Ausbildung kostet doch ohne kommt man nicht weiter. Ich hoffte nur, dass wir rechtzeitig profitabel werden würden.
Währenddessen war die Verwaltung zum Glück nicht untätig. Erste Außendienstmitarbeiter wurden ausgesandt, um Kunden gewinnen zu können. Doch wann würden sie zurückkehren? Und wie viel würden sie dabei einnehmen? Alles stand in den Sternen. Ich musste den unternehmerischen Spürsinn aufbringen, zu erkennen, welches Gebiet als Nächstes für Goldgräberstimmung sorgen würde. Wie in einer Glaskugel in der Zukunft lesen. Gleichzeitig auch noch alles weitere auf eine Karte setzen und die Firma durch weitere Büros ausbauen, damit das Geschäft, welches ich erhoffte, auch neue Früchte tragen würde.
Aber was sollte ich verkaufen? Ich hatte nur wenig Möglichkeiten und meine Firma zu wenig Kenntnis darüber, was wir fertigen konnten. Somit musste ich natürlich auch meine Mitarbeiter für Forschung und Entwicklung richtig nutzen. Probleme erkennen und Lösungen finden lassen, die dann für die dringend benötigten Umsätze sorgen würden. Doch auf welchen Bereich sollten sie sich konzentrieren? Wohnen? Handel? Industrie? Öffentliche Infrastruktur? Alles hatte seinen Reiz und es lag erneut an mir zu entscheiden, wie wir verfahren würden. Über Wohnen und Handel lies sich das nötige Kleingeld machen. Die Industrie würde uns mit Waren versorgen. Die öffentliche Infrastruktur unser Ansehen festigen. Was war der richtige Weg? Hätte ich damals geahnt, was ich heute wusste, hätte ich vieles anders gemacht. Doch auch im Transportwesen, das sich von der Kutsche über die Postkutsche bis zur Eisenbahn entwickelte, mussten wir forschen, um nicht abgehängt zu werden. In welch wundersamen Zeiten wir doch lebten.
Was nützt die ganze Forschung, wenn wir die Pferde nicht auf die Straße bekämen? Aber genau dafür hatte ich weiteres Fachpersonal. Die Konstruktion musste die richtigen Leute davon überzeugen, dass wir Projekte in ihrer Stadt realisieren durften. Sie reisten also dorthin und unterzeichneten die richtigen Verträge. Verträge, die dafür sorgen sollten, dass wir endlich erste Erträge generieren konnten. Und so war ich stets voller kindlicher Vorfreude, wenn Außendienstmitarbeiter zurückkamen und mir die Kassen füllten. Aber es gab keine Zeit zur Rast, denn schließlich lag noch so viel mehr Geld in der Welt, welches von mir und meiner Firma geerntet werden wollte. Und mit der Zeit schaffte ich es immer besser dafür zu sorgen, dass alles rund wie ein Schweizer Uhrwerk lief.
Doch bei all dem Reichtum, den ich über die Jahre ansammeln konnte, vergaß ich nie meine Wurzeln. In welch Verhältnissen ich aufwuchs und wie sehr ich Hilfe hätte brauchen können. Und so spendete ich regelmäßig und immer höhere Summen, um der Gesellschaft zumindest einen Teil dessen zurückzugeben, was ich von ihr erhalten hatte.
Die komplette Spielregel zu Carnegie findet ihr hier. (externer Link)
(Andrew Carnegie)
Wer Carnegie als einfach großartiges Wirtschaftsspiel empfinden möchte, wird wohl etwas enttäuscht werden. Denn im Gegensatz zu Brass entfaltet sich hier auf der Karte kein Imperium, welches Stück für Stück wächst und gedeiht. Carnegie geht eher den abstrakten Weg. Projekte werden als Holzscheiben dargestellt, die, sobald sie platziert wurden, an ihrer thematischen Bedeutung verlieren. Aber das hat gleichzeitig einen entscheidenden Vorteil. Die Spielfläche ist übersichtlicher gestaltet. Hier muss ich nur Farben erfassen, um meinen Weg zu verfolgen. Dabei ist dieser jedoch nicht ganz so bösartig gestaltet, wie es auf den ersten Blick wirkt. Es gibt meistens einen Weg und das Abschneiden desselben sorgt auch beim „Aggressor“ dafür, dass er eventuell einen weniger sinnvollen Zug tätigt.
Viel besser funktioniert Carnegie dafür in der Aktionswahl. Hier kann ich meine Mitspielenden im besten Fall direkt ins Messer laufen lassen und ein Ressort aktivieren, das anderen überhaupt nichts nützt. Wer in Carnegie nicht gut genug geplant hat, wird früher oder später an den Punkt gelangen, an dem er durch nicht passend verteilte Mitarbeiter einen kompletten Zug verliert. Je nachdem, wie stark die der anderen ist, kann das auch mal den Sieg kosten. Aber das macht das Spiel dann auch spannend. Ich muss stets einschätzen, wie sich meine Mitspielenden wohl verhalten werden, welche Aktion sie wählen und welches Ereignis dabei ausgelöst wir. Denn nur wenn ich das Spiel richtig beherrsche, werde ich entsprechend vorwärtskommen.
Dabei ist nur eines schade. Dass die Wege in Carnegie im Kern eigentlich immer relativ gleich sind. Ja, ich kann mich entscheiden, welche Spenden ich verteile, wo ich mich auf der Karte ansiedle und welche Forschungen ich unternehme. Aber im Endeffekt läuft es dennoch immer auf denselben Kreislauf hinaus. Eben dass ich Spenden verteilen, Städte verbinden und dafür breit forschen muss. So richtig andere Wege und Spielweisen, die ganz krass vom Schema F abweichen, haben wir (noch) nicht entdeckt. Aber wer weiß, vielleicht kommt es ja noch.
Und ja, Carnegie ist trocken. Das muss man mögen. Gleichzeitig gibt es neben dem Wegschnappen von Spenden, Abteilungen und Orten wie auch dem Auslösen der Aktionen, die für alle gelten, keinerlei Interaktion unter den Spielenden. Bezeichnend dafür ist, dass das Spiel für mich persönlich sogar gut Solo funktioniert und dabei in vielen Teilen dasselbe Spielgefühl transportierte. Auch hätte ich mir ein wenig mehr vom thematischen Spenden erwartet. Nicht nur ein festlegen, für was man Siegpunkte erhalten möchte. Aber hier stolpert Carnegie natürlich über die Erwartungen, die ich bei der Vorstellung hatte. Natürlich ist in Carnegie das Spenden zur richtigen Zeit ein schöner Mechanismus, der einen in einen Kreislauf der ständigen Entscheidung, wie viel Geld man tatsächlich erübrigen kann, zwingt. Zusätzlich möchte man natürlich nicht abgehängt werden. Das baut ordentlich Druck auf. Was mich dann doch wieder denken lässt, dass die Spenden sich thematisch der Mechanik unterordnen und damit recht haben.
Die sich veränderte Ausgangslage in Carnegie ist eine interessante Idee, wobei auch sie es nicht schafft zu ändern, welches Vorhaben ich im Spiel verfolgen möchte, sondern nur wie ich mich am besten Verhalte, um dasselbe zu erreichen wie immer. Dabei ist die erste Partie immer noch die am weitesten interessanteste. Danach ist es zwar spannend herauszufinden, wie man gut spielt, aber ist das Puzzle erst einmal geknackt, sind weitere Partien eher more of the same, als dass man Neues entdecken würde. Und dennoch ist Carnegie ein spannendes Spiel, das viel weniger mit einer durchdachten Wirtschaftssimulation zu tun hat als mit Menschenkenntnis, Psychologie und einem Wettlauf, bei dem das Timing alles entscheidet.
Carnegie von Xavier Georges
Weniger eine Wirtschaftssimulation, als ein trockenes Euro-Puzzle, bei dem Timing alles entscheidet. Zum Glück gehört hier zusätzlich das Einschätzen und unterschwellige Manipulieren der Mitspielenden mit dazu. Denn sonst wäre das abstrakte Spiel weit weniger interessant.
Christian:
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