SPIELSTIL Rezension
Lesezeit: 1 Minute
Ein Spiel entwickelt von Jakub Wisniewski, Michal Oracz
erschienen bei Asmodee
Krieg ist wohl das abscheulichste, was Menschen zustande bringen können. Dennoch gibt es eine schier unübersehbare Anzahl an Brettspielumsetzungen dazu. Das Grauen scheint faszinierend genug zu sein, dass manch einer seine Freizeit damit verbringen möchte. Doch „This War of Mine“ ist kein Standard-Kriegsspiel. Es verschiebt den Blickwinkel. Zeigt, was mit den Menschen passiert, die nicht am Kampf beteiligt sind. Die nur, weil sie am vermeintlich falschen Ort leben, die kompletten Konsequenzen erfahren müssen. Doch, wie fühlt sich das dann an? Das erfahrt ihr weiter unten.
(Iwan Sergejewitsch Turgenjew)
„This War of Mine“ wird kooperativ gespielt. Alle versuchen die Gräuel des Krieges zu überleben. Dabei muss der eigene Unterschlupf richtig ausgebaut, alle Überlebenden versorgt und in Trümmern nach den passenden Materialien gesucht werden. Zwischendurch verteidigen wir unser Haus, Kämpfen, wenn es sich nicht verhindern lässt und entscheiden so allerhand unangenehmes. Schafft es mindestens einer der Start-Charaktere bis ans Ende der Geschichte, haben wir gewonnen.
(Paul Ernst)
Viele Lorbeeren hat „This War of Mine“ erhalten. Ganze Lobeshymnen wurden geschrieben und alles in allem wurde das Spiel sehr positiv aufgenommen. Ich selber habe es versucht. Fünf endlose Partien lang suchte ich nach dem Juwel, das mir angepriesen wurde. Doch, so viel sei verraten, ich habe es bis heute nicht gefunden. Weder solo, noch kooperativ. Immer wieder war ich eher enttäuscht, als gefordert.
Die neue Art Geschichten mit Brettspielen zu verknüpfen sollte „This War of Mine“ sein. Doch ganz so viel Neues erkenne ich leider nicht. Viel mehr, dass man ein an sich einfaches Spiel, welches am Computer vollkommen unkompliziert abläuft, durch ein Regelgerüst schief aufgestellt hat, nur um ein zentrales Script als neue Hoffnung darzustellen. Das Script selbst erinnert dabei sehr stark an die Fighting Fantasy Bücher, die so ziemlich jeder Rollenspieler in seiner frühen Jugend konsumiert haben dürfte. Ihr kennt sie sicherlich. Sie trugen so markante Namen, wie „Labyrinth des Todes“ und stellten uns immer wieder vor die Wahl: „Was wollt ihr tun? Greift ihr an (389), versucht ihr zu verhandeln (417), rennt ihr davon (32) oder habt ihr einen Silberpfeil bei euch (333)?“ Die Bücher, bei denen hinter jeder noch so kleinen Entscheidung der Tod und damit das Ende der Geschichte lauerte.
An diese Zeit fühlte ich mich bei „This War of Mine“ zurückversetzt. Kam das Script mal zu tragen, waren die Entscheidungen – welche im Normalfall ein zentraler Bestandteil eines Brettspiels sind – eher so aufgebaut, dass man das Ergebnis nicht großartig abschätzen kann. Ich weiß, das gehört zum Flair des Spiels dazu, aber als Brettspiel fühlt es sich einfach für mich irgendwie falsch an, was wirklich schade ist, denn einige der Geschichten sind wirklich gut. Gut im Sinne von, sie gehen unter die Haut. Kratzen mit Fingernägeln über die Tafel, um einen wach zu rütteln. Geschichten, die einen noch Wochen später verfolgen und nicht loslassen. Doch reicht das, um ein gutes Spiel auszumachen?
Ich sage nein. Denn das Drumherum muss für mich auch stimmen. Und so haben wir uns dank eines repetitiven Ablaufs während des Spiels weniger mit dem wirklich positiven Teil beschäftigen können. Immer wieder kleine Plättchen aus einem Wimmelbildkasten suchen, immer wieder dieselben Aktionen durchführen, immer wieder einen Charakter leiden lassen. Erschrocken war ich, wie kalt es mich teilweise lies, wenn eine Figur dann aus dem Spiel ausgeschieden ist. Ob es daran lag, dass im Grunde genommen keiner „seinen“ eigenen Protagonisten hatte, sondern jeder alle steuert, oder der Gewissheit, dass früher oder später sowieso jeder von ihnen sterben wird, ich kann es nicht sagen. Bei mir hat sich dadurch kein Gefühl der Hoffnungslosigkeit breitgemacht. Ich fühlte mich ausgeliefert, genervt, gelangweilt.
Für mich persönlich ist das Experiment „This War of Mine“ in die Hose gegangen. Will ich spielerisch mit anderen Geschichten erleben, dann bin ich mit Rollenspielen besser bedient. Möchte ich komplexe Lebenssimulationen spielen, wende ich mich dem Computer zu. Habe ich das Bedürfnis eine gute Geschichte zu konsumieren, lese ich ein Buch oder sehe mir einen passenden Film an. Doch von Brettspielen erwarte ich dann doch etwas Anderes. Hier suche ich andere Herausforderungen und Zerstreuungen. Mal komplex, aber beeinflussbar, mal vollkommen belanglos und unkontrollierbar, aber voller Spaß mit Freunden. Das kann „This War of Mine“ für mich nicht erfüllen. So dass der fünfte auch mein letzter Anlauf war.
Meine liebsten Spiele haben fast immer auch ein starkes Thema. „This War of Mine“ hätte also Potential dafür, mir sehr gut zu gefallen. Leider hat es das nicht. Woran liegt es?
Spiele, die für mich ein Thema toll umsetzen, lassen das Thema auch in der eigenen Spielmechanik aufleben. Bei richtig tollen Spielen finde ich die Spielmechanik an sich schon spannend und die dazu passende thematische Umsetzung ist die grandiose Verschmelzung zweier Welten. Bei „This War of Mine“ liegt leider der Fall vor, dass ich die Mechanik dahinter langweilig finde. Von der Mechanik her hat man zwar viele Optionen, aber Informationen, welche der Optionen sinnvoller als eine andere sein könnte,hat man nur wenig. So sind die Züge dann entweder recht offensichtlich (man befriedigt die Bedürfnisse seiner Charaktere oder baut etwas, um künftig diese Bedürfnisse oder das Kapitelziel besser erfüllen zu können oder etwa man steht vor Entscheidungen deren Auswirkungen überhaupt nicht abschätzbar sind. Meist ist es eine Kombination aus beiden, es bieten sich dann zwei bis drei Züge an, aber häufig liegen keine Informationen vor, welcher Reihenfolge bei der Wahl günstiger sein könnte. Diese Unwägbarkeit mag vielleicht thematisch passend sein, aber einen Spielreiz kann ich hier für mich nicht entdecken. Typische spannende Entscheidungen bei kooperativen Spielen sind für mich, Situationen, wo die Gruppe zusammen einen Plan entwickelt und sich abstimmt. „Wenn wir zuerst x machen, können wir anschließend y machen, bekommen dann z und können dadurch dann…“ fehlt hier fast völlig oder ist trivial. Dadurch wurde in unseren Partien auch wenig diskutiert und das Geschehene wurde dadurch eher beiläufig.
Häufig habe ich über „This War of Mine“ gelesen, es sei sehr schwer. Das sehe ich aus den genannten Gründen nur teilweise so. Bei „This War of Mine“ ist lediglich die Wahrscheinlichkeit zu gewinnen niedrig. Schwierige spielerische Herausforderungen werden leider nicht gestellt. Für mich bleibt daher letztlich nur ein Spiel, dass mir zwar Teile von bedrückenden Geschichten erzählt, dabei aber keinen Mehrwert zu einer anderen Erzählform liefert. Übrig bleiben daher für mich nur Schnipsel von Geschichten, die mit einem hohen Verwaltungsaufwand erkauft werden müssen.
This War of Mine – Asmodee – 2018 von Jakub Wisniewski, Michal Oracz
Christian:
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