SPIELSTIL Rezension
Lesezeit: 8 Minuten
Ein Spiel entwickelt von Ivan Escalante
erschienen bei Taverna Ludica Games
Wingsten Chickenchill räusperte sich, strich sich den roten Kamm zurück und schob seine Zigarre von der linken auf die rechte Schnabelseite. Dann sprach der Gockel in das Mikrofon:
„Wir werden bis zum Ende flattern. Wir werden mit wachsender Zuversicht und wachsender Stärke um das Land kämpfen. Wir werden – go-GAACK – unsere Insel verteidigen, was immer es kosten mag. Wir werden an den Stränden kämpfen, wir werden an den Vulkanhängen kämpfen, wir werden auf den Feldern und auf den Wegen kämpfen, wir werden in den Hügeln kämpfen. Wir werden uns niemals er-GAACK-geben!“
Die kleine Gruppe Hühner vor ihm wurde ganz aufgeregt und gackerte laut Beifall. Einige hatten sich Töpfe oder Kokosnüsse als Helme aufgesetzt und sie hielten ein Sammelsurium an Waffen in den Flügelspitzen. Aufgestachelt von der Rede hüpften sie flatternd auf und ab und blickten sich wild um. Wingsten hob den Flügel und deutete mit einer Schwungfeder auf die andere Seite der Insel, wo man eine andere Hühnerschar ausmachen konnte. „AN-gaGAACK-GRIFF!!!“, rief er, und die Hühnerschar stürmte los.
Zwei Hühner rannten in die falsche Richtung und stürzten über die Klippen in das Meer; ein Huhn sprang vor Schreck hinter einen Busch. Zwei weitere Hühner verhedderten ihre Speere miteinander und wälzten sich nun wild aufeinander einschlagend auf dem Boden und das letzte Kampfhuhn rannte enthusiastisch auf den Feind zu – leider hatte Norbert aber seine Waffen und Rüstung liegen gelassen, weil sie ihm zu schwer war… Wingsten seufzte schwer und schüttelte den Kopf…
(Sprichwort)
Bei War for Chicken Island versuchen wir mit einem Clan von Kriegs-Hühnern die Kontrolle über eine kleine Insel zu erringen. Hierfür stehen uns eine Handvoll dummer Feld-Hühner zur Verfügung – und ein glorreicher Anhühner Anführer. Im Laufe des Spiels können wir dann noch stärkere Einheiten konstruieren, welche von unseren Feld-Hühnern gesteuert werden.
Doch vorher erschaffen die Spielenden gemeinsam die Insel. Reihum platzieren wir Gebiete rund um einen Vulkan herum und schließlich eine Basis als Startfeld. Wenn alle Spielenden die Insel auf diese Weise erweitert haben, erfolgt in umgekehrter Reihenfolge die Wahl der eigenen Basis. Auf diese Weise kann man schon hier überlegen, welche Basis man denn wohl haben möchte und wie die Strategie im Spiel aussehen soll und der Vorteil, eine Basis als erster Spieler zu platzieren geht verloren.
Das Spiel selbst erfolgt dann über mehrere Runden hinweg, in denen unser Ziel nicht etwa die Auslöschung unserer Gegner ist, sondern ihre Demütigung. Besiegen wir nämlich einen anderen Anführer im Kampf, wird dieser nicht etwa aus dem Spiel entfernt, sondern bekommt einen Demütigungs-Marker unserer Farbe. Gewonnen hat das Huhn, welches als erstes zwei andere Anführer gedemütigt hat.
Dabei werden unsere Aktionen durch Würfel bestimmt, die wir zu Beginn unserer Runde werfen. Diese erlauben uns dann entweder verschiedene Aktionen, wie Truppen bewegen und diese angreifen lassen oder geben uns Verstärkungen beim Angriff (die man meistens auch dringend braucht, denn die Verteidigung ist oft höher als die Angriffswerte). Außerdem gibt es noch die Möglichkeit, über die Würfel neue Ressourcen zu nehmen: Holz, Metall, Stein oder aber gefallene Feld-Hühner.
Und wozu benötigen wir diese Ressourcen? Wie eingangs erwähnt, können wir stärkere Truppen konstruieren. Dies sind quasi Mechs oder Panzer, auch Katapulte und Türme – und unsere Feld-Hühner dienen hier als Piloten. Bauen darf man nur, was als Bauplan zur Verfügung steht, und diese Auslage wechselt im Laufe des Spiels durch – man sollte also tunlichst vor den Mitspielenden das gewünschte Konstrukt errichten – sofern man die notwendigen Ressourcen in Form von Holz, Metall und Stein aufbringen kann.
Wem das immer noch nicht genug ist, der kann sich über Spielkarten mit Sonderaktionen und Ereignissen freuen, die das Spiel weiter durcheinanderwirbeln. Diese haben teilweise Sofort-Effekte, teilweise sind sie Blaupausen und damit Schlachtpläne, die im Spiel bleiben und einem einen permanenten Bonus verleihen. Damit haben wir aber auch die letzte Komponente von War for Chicken Island besprochen, jetzt ist es aber auch mal gut!
Die komplette Spielregel zu War for Chicken Island findet ihr hier. (externer Link)
(Robert Halver)
Fangen wir doch mal mit dem Positiven an. Da wären als Erstes die Miniaturen der Hühner-Anführer und der Kriegsmaschinen. Ich habe ja schon so einige Minis in Händen gehalten, aber diese hier gehören definitiv zur Oberklasse; zumindest was das Material angeht. Der Kunststoff ist relativ fest und damit nicht wabbelig-weich, gleichzeitig sind die Miniaturen nicht verbogen, was man sonst ja gerne bei Kickstarter-Produktionen hat. Ja, die Figuren sind nicht sehr detailliert, aber dennoch exakt modelliert: Sie fangen damit sehr gut den eher Comic-artigen Stil des Spiels ein.
Sind wir ehrlich: Ich habe War for Chicken Island vor Allem deshalb auf dem Radar gehabt, weil die Optik mit den durchgeknallten Hühner-Miniaturen meine Aufmerksamkeit erregt hat! Die sind wirklich aller-erste Sahne!
Auch das übrige Spielmaterial: Sehr schick, sehr solide produziert! Wertige (Spezial)-Würfel, die gut in der Hand liegen! Die Spielkarten und die Papptoken optisch sehr ansprechend – alle Karten sind wirklich hübsch illustriert; die Baupläne mit einem passenden Bild der Einheit, die man auch als Miniatur wiedererkennt.
Jedoch…
Seufz…
Ihr merkt schon – ich rede um das blinde Huhn herum. Das Spiel selbst. Da muss ich nun leider sagen, dass ich finde, War for Chicken Island weiß nicht wirklich, was es sein will. Es bezeichnet sich selbst als „einsteigerfreundliches Gefechtsspiel“. Ich sage, es ist ein Bier & Pretzel-Spiel, das sich in Sonderregeln verhaspelt und herum gackert, ohne am Ziel anzukommen.
Wieso ein Bier & Pretzel-Spiel? Nun, alleine das Thema ist ja mal die Bombe! Ein Last-Chicken-Standing-Spiel mit Hühner-Anführern, die Figuren der Pop-Culture hochnehmen. Grandios! Dazu haben wir Würfel, die bestimmen, wie stark wir angreifen können und es geht letzten Ende einfach darum, den anderen Hühnern auf den Schnabel zu hauen. Ernst nehmen kann man das sowieso nicht mehr, also kann man wunderbar drauf los kloppen mit dem Geronimo-Gefieder! Eine Partie spielt sich auch entsprechend schnell herunter, sodass eine Revanche sofort gespielt werden kann!
Und Gefechtsspiel? Jupp! Es ist auch eine Cosim. Sehr klassisch haben die Hühner Angriff, Verteidigung und Bewegung. Die „Feld-Hühner“, also die normalen Truppen, sind einfach Counter mit entsprechenden Werten. Und auch die Anführer und die Spezial-Truppen, die man bauen kann, verfügen über diese Attribute. Dabei gibt es etwas stärkere Einheiten, die immer noch stapelbar sind, die sog. „Soldaten“ – und dann die wirklich großen Kriegsmaschinen und Katapulte, welche für sich alleine stehen. Sieht man also von der Optik, beziehungsweise der Thematik rund um das Federvieh ab, so ist es ein eher klassisches Cosim – wenn auch mit sehr vereinfachten Regeln.
Und dann… ja, und dann kommen da noch ein paar Fremdkörper mit ins Spiel. Zum Einen Ressourcen. Um bessere Truppen zu bauen, benötigt man Ressourcen. Da reicht aber nicht eine Ressource, nein, es sind direkt 3 Sorten notwendig. Das würde ja durchaus Sinn ergeben, wenn ich nun Holz aus dem Wald, Metall aus dem Gebirge und Steine aus… äh, den Geröllfeldern…?… gewinnen würde. Aber nein, die Ressourcen „gewinne“ ich durch entsprechende Würfelwürfe. Also Symbole auf den Aktionswürfeln. Eine direkte Logik steckt da nicht hinter.
Dann gibt es die Ereignis-Karten die „Schriftrollen“. Hier kommen neben den ohnehin schon sehr zufälligen Würfeln noch zufälligere und extremere Karten ins Spiel, die an der Balance herum pfuschen. Aufsummiert bedeutet es, dass ich quasi überhaupt keine Kontrolle über das Spiel haben kann – es hängt sehr viel von meinen Würfeln und den gezogenen Karten ab. Ist das schlimm? Nun; eigentlich ja nicht – wenn eben nicht ein total verkopftes Ressourcen-Crafting-System oben drauf sitzen würde UND auch noch vollkommen unnötige Details zum Spiel gehören würden, wie die Tatsache, dass JEDES Standard-Huhn eigene, einzigartige Werte im Angriff und Verteidigung hat. Das ist ein Umstand, welcher das Spiel unnötig verkompliziert, zumal die Counter in einem verdeckten Stapel liegen.
Als Fazit würde ich sagen, dass wir hier ein echt richtig gut produziertes Spiel mit tollen Miniaturen haben, welches ein geniales, schnelles Bier&Pretzel-Spiel sein könnte. Mit launigen, schnellen Schlagabtauschen. Doch leider wurde es mit Sonderregeln und unnötig komplizierten Details vollkommen überladen, sodass diese spaßige Leichtigkeit verloren geht, und War for Chicken Island bei dem Versuch, auf zwei Stühlen zu sitzen, zwischen diesen auf den Boden fällt und zerbricht wie ein rohes Ei…
War for Chicken Island von Ivan Escalante
War for Chicken Island ist ein Spiel mit tollem, frischem Thema; jedoch ist die Anhäufung von verschiedensten Mechanismen ein Problem: Das Spiel ist zu komplex für ein schnelles, einfaches Duell – und zu chaotisch für ein ernsthaftes Strategiespiel. Es fällt zwischen zwei Stühlen hart auf den Hintern. Schade.
Thomas:
Hinweis:
Wir haben das Rezensionsexemplar ohne Auflagen gratis vom Verlag bekommen.
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Philip
Ich bin überrascht, dass die grauenvolle Anleitung nicht zum Thema gemacht wurde.
Ehrlich gesagt bin ich erst gar nicht zum Spielen gekommen, weil -und da bin ich mit dir einer Meinung- man nicht genau weiß was das Spiel eigentlich sein möchte.
Thomas Büttner
Hallo Philip,
ich muss ehrlich gestehen – ich habe das Spiel mittlerweile aus meinen Erinnerungen verdrängt.
Da war die Therapie mit Marvel Champions sehr wirkungsvoll…
Viele Grüße,
Tom