SPIELSTIL Rezension
Lesezeit: 9 Minuten
Ein Spiel entwickelt von Adam Kwapinski
erschienen bei Frosted Games, Glass Canon Games, Pegasus Spiele
Der gemeinsame Weg mit Frostpunk ist ein kurzer und doch ziemlich langer. Das Computerspiel zog mich damals für eine intensive Zeit sehr in seinen Bann. Die Entscheidungen, die Konsequenzen, die Darstellung und das Aufbauen einer Siedlung, bei der immer was schief geht. Siedler (nicht des Neuen!) in dystopisch, Banished in der Postapokalypse. Computerspieler wissen, was ich meine. Als das Brettspiel angekündigt wurde, war ich durchaus interessiert. Ich bin immer auf der Suche nach Coop-Titeln, die spannende Geschichten erzählen. Dafür oder dabei darf es durchaus ums Optimieren gehen, so lange ich auch etwas erlebe – emotional gesehen.
(Admiral Richard E. Byrd, amerikanischer Polarforscher 1938)
Die komplette Spielregel zu Frostpunk – Das Brettspiel findet ihr hier. (externer Link)
Frostpunk versprach dies. Und Frostpunk versprach so viel mehr. Nämlich das Gefühl von Konsequenzen und schweren Entscheidungen. Eine Partie, die zu einer Geschichte wird, die man, ob gewonnen oder verloren, noch gerne erzählt. Eben wie das Computerspiel. Dort erinnere ich mich durchaus an Entscheidungen, wie das Einführen der Kinderarbeit und die tragische Konsequenz die sich daraus ergab. Aber das hier ist Frostpunk: Das Brettspiel. Leider.
Lasst mich mit der Tür ins Haus fallen. Ab hier wird’s eisig. Der Generator meiner Zuneigung für das Spiel scheint eine Überlastung und damit eine Fehlfunktion erlitten zu haben. Versprochen wurde im Kickstarter eine Spielzeit von 60 Minuten aufwärts. Auf der Schachtel stehen 90 Minuten aufwärts. Beides halte ich für reines Marketing. Selbst von guten Solo-Spielern (Grüße an Fck_Boardgames ;)) höre ich 120 Minuten aufwärts. 120 Minuten – das würde mir gefallen. 120 Minuten verwalten, optimieren, bangen, freuen und am Ende meist scheitern? Das klingt nach einem guten Deal. Doch Frostpunk erreicht bei uns keine 120 Minuten. Auch keine 180 Minuten. Wir sprechen eher von 300 Minuten aufwärts. Und da hab ich den Aufbau nicht mit eingerechnet, der – dem katastrophalen „Insert“ geschuldet – ewig dauert und einfach nur nervt.
Warum ich das alles so vorweg schicke, fragst du dich? Warum ich mich über die Spielzeit ärgere, bevor ich ein Wort zum konkreten Spiel geschrieben habe? Weil Frostpunk eigentlich ein gutes Spiel ist. Aber in der Flut an Spielen, welche die meisten von uns besitzen, da reicht „eigentlich gut“ einfach nicht mehr. Ein Spiel muss ein Gesamtpaket liefern, das es schafft, mich an den Tisch zu fesseln. Insofern ist mein Bewertungssystem für Spiele mittlerweile binär: Kann bleiben oder kann weg.
Frostpunk bekommt hier leider ein deutliches kann weg. Zwar mit einer Träne, doch eine Träne reicht eben nicht für einen Platz in meinem Regal.
Frostpunk lässt uns eine Siedlung rund um einen Heizreaktor aufbauen. Der Kern des Spiels ist Mangel- und Katastrophenmanagement. Ständig passieren Dinge, die wir in unseren Plan einbauen müssen. Es geht darum, das Schlimmste abzuwenden und dabei das Beste rauszuholen. Druck, Druck, Druck. Runde für Runde wird es schwerer, selten einfacher. Ein Glücksmoment durch eine positive Karte gibt einem kurze Zeit zum Durchschnaufen – mehr aber auch nicht.
Frostpunk ist kooperativ. Wir planen also zusammen. Mit 100% offenen Informationen – das sorgt zwangsläufig für das Alpha-Leader Problem, auch wenn die Regel sagt „jeder macht eine Aktion“. In Real hab ich das noch nie erlebt. Man plant gemeinsam, diskutiert, führt aus. Während einer Aktionsphase kann nichts Überraschendes passieren, dass die Aktionsphase durcheinander wirft. Es ist 100% durchplanen, durchrechnen, durchoptimieren. Ja, man kann neue Gebiete aufdecken und dabei kann es passieren, dass nicht das kommt, was man gerade braucht. Das war es aber auch schon.
Überraschungen während einer Aktion? Fehlanzeige. Emotionen während einer Aktion? Fehlanzeige. Wer den Würfelwurf bei Robinson Crusoe zu emotional fand, wird hier vielleicht fündig. Frostpunk hat mir gezeigt, dass die Würfel bei Robinson Crusoe emotional das Salz in der Suppe sind, denn sie machen eine durch optimierte Aktionsphase spannend. Hier bin ich eigentlich froh, wenn die Rechnerei für diese Runde vorbei ist und man wieder den Karten ausgeliefert ist.
Frostpunk versucht während einer Partie eine Geschichte zu erzählen. Wir können Gesetze erlassen und es gibt zu Beginn jeder Runde ein Ereignis und zum Ende jeder Runde eine Konsequenz. Die Konsequenzen fragen Spielsituationen ab und richten sich danach. Haben wir unserer Bevölkerung bei einem Ereignis viel essen versprochen und können das dann, als zu einem zufälligen Zeitpunkt die Konsequenz daraus überprüft wird nicht erfüllen, so ist die Konsequenz negativ, andernfalls durchaus positiv. Das sorgt für einen Glücksfaktor, der zwar Emotionen wecken kann, aber wiederum nicht so recht so der durchoptimierten Aktionsphase passen will. Natürlich verlangt das Spiel, dass man hier Risikomanagement betreibt und das mit einplant. Was den Spielspaß angeht, hält mich das aber nicht lange bei der Stange. Ebenso wenig wie die Flufftexte. Hier werden Situationen und Konsequenzen in kurzen Geschichten dargestellt.
Wir kennen das aus This War of Mine, Oben und Unten und ähnlichen Spielen, die Ressourcen mit Story-Konsequenzen zu verbinden versuchen. Am Ende ist und bleibt mir die Story egal. Ein Brettspiel ist einfach nicht immersiv genug, um über das Jonglieren von Zahlen hinweg zu täuschen. Tatsächlich hätte ich mir hier gewünscht, dass die gesamte Verwaltung der Karten in eine App ausgelagert würde. Das hätte zur Folge, dass der Text stimmig vertont vorgelesen werden könnte, dass ich die Konsequenzen vor dem Treffen einer Entscheidung nicht schon sehen kann und dass ich nicht ständig 3 oder 4 Karten in einem Stapel mischen muss. Ehrlich, wer auf die Idee kommt, es sei ein guter Mechanismus, einen Stapel von 3 oder 4 Karten bis zu 2 Mal pro Runde zu mischen, der sollte das bitte für den Rest seines Lebens machen müssen – als Strafe.
In Frostpunk spielen wir Szenarien. Jedes Szenario besteht aus unterschiedlichen Szenariokarten, die uns Etappenziele vorgeben. Das Endziel ist nicht bekannt. Zumindest beim ersten Mal spielen. Und so ist es fast schon vorgegeben, dass man beim ersten Versuch ein Szenario zu beenden scheitert. Beim zweiten Versuch weiß man aber von Anfang an, auf was es hinausläuft. Die erste Partie kann somit frustrieren, hat aber spannende und überraschende Momente. Ab der zweiten Partie fallen Emotionen weg und es wird sich noch mehr auf das Durchoptimieren konzentriert.
Dieses Problem haben alle Szenario-Spiele die ich kenne – oder fast alle, Denn App-gesteuerte Spiele wie Villen des Wahnsinns 2 können hier durchaus variieren (Ups, plädiere ich schon wieder für eine App? Es gibt eine, die macht nur nicht das was ich mir wünsche – vielleicht sollte ich einfach beim Computerspiel bleiben …)
Eine Lösung könnte sein, dass man von Anfang an das Endziel kennt und der Weg dahin variabel ist. Das könnte eine generelle Richtung vorgeben und trotzdem immer wieder überraschen. Der Materialaufwand und besonders das Playtesting wären hier aber ungleich höher, aber es wäre meiner Meinung nach ein besseres Spiel und ich will bessere Spiele …
Spoiler Ahead:
Nehmen wir das Einstiegsszenario. Als Anfängergruppe baut man vielleicht Zelte, bis man weiß, dass der erste Sturm alle Zelte zerstört. In der zweiten Partie baut man Baracken und erreicht den zweiten Sturm, bevor alles den Bach runter geht. Der zweite Sturm zerstört alle Baracken. Tja und die dritte Partie? Da baut man also weder Zelte und Baracken, weil das meistens verschwendete Ressourcen sind. So tastet man sich ran, an das Optimum der durchoptimierten Spielweise. So gibt ein Alpha-Leader, der das Szenario schon kennt, dem Rest der (unerfahrenen Gruppe) genau vor, was gemacht werden soll. Was? Er soll sich zurücknehmen, sagst du? Warum? Damit die Partie im Frust endet? Solch Informationsungleichgewicht ist immer Mist.
Ey Alex, hast du nicht geschrieben, dass Frostpunk „eigentlich“ ein gutes Spiel ist?
Ja, eigentlich. Denn der Kern von Frostpunk funktioniert echt gut. Und die eigentlichen Punkte sind für sich genommen keine Gamebreaker. In Summe aber – kann das Spiel eben weg. Die Mechanik mit der Bevölkerung, die die Anzahl meiner Arbeiter in 3 Kategorien (Kinder (nutzlos), Arbeiter und Ingenieure (wichtig)) bestimmt, die ernährt werden müssen, die einen Schlafplatz brauchen, weil sie sonst krank werden. Der Heizreaktor und das Management, wie stark ich diesen heize – all das sind coole Konzepte und Mechaniken. Aber all das führt zu den geschilderten Problemen.
Und es bringt noch etwas mit sich: Verwaltung.
Dadurch dass Frostpunk versucht die Mechaniken des Computerspiels abzubilden und das sogar ziemlich gut hinbekommt, haben wir eine gigantische Menge an Material und eine – für mein Empfinden – absurde Menge an Upkeep.
Ich zeig dir das einfach Mal anhand einer Runde. Erstmal teilen wir Rollen auf die Spieler auf. Es gibt 4 Rollen und jede Rolle verwaltet quasi einen Aspekt des Spiels. Die Heizung, die Gesundheit der Bevölkerung, die Events – du verstehst schon. Jede dieser Rollen bekommt eine DIN A-4 Seite mit ihren Aufgaben. Diese ist aufgeteilt in die Phasen des Spiels und so laufen die ersten Partien so ab:
Natürlich gibt sich das mit steigender Erfahrung im Spiel und es lief bei uns schon ziemlich flüssig. Ändert aber nichts daran, dass man weder etwas vergessen darf, noch dass es eben eine ganze Menge Zeug ist. Wenn eine Runde 30 Minuten dauert, dann sind 10 Minuten davon Verwaltung irgendwelcher Leisten. Auch hier kann ein Superbrain als Alpha-Leader natürlich alle Aufgaben übernehmen – denn Entscheidungen, außer bei den Ereigniskarten am Morgen und dem Heizen des Reaktors, stehen in den Verwaltungsphasen eher nicht an. Aber dann sind wir eben an dem Punkt, dass man Frostpunk eben alleine spielen kann oder vielleicht sollte.
Und wenn ich etwas alleine spielen soll, dann spiel ichs lieber gleich am PC.
Schade Frostpunk. Wärst du im Schnitt 2 Stunden lang (bei 2 Spielern) – ich würde dich mögen. Ich würde dich hin und wieder spielen und mich in die kalte, gnadenlose Welt des Durchoptimierens entführen lassen. So ziehe ich das Bauen eines Klosters in Ora et Labora oder das Verlegen von Schienen in Ultimate Railroads als Optimieraufgabe deutlich vor. Quasi vom vermeintlichen Story-Optimierer zur staubtrockenen Punkte Eskalation. So kanns gehen – genau wie du, Frostpunk. Tschüss.
Frostpunk – Das Brettspiel von Adam Kwapinski
Gute Umsetzung des Computerspiels. Leider zu Kosten einer enormen Spielzeit, viel Material und viel Verwaltung – die sonst ein Computer übernehmen würde. Somit fällt es in eine Kategorie (4h+ Spiele) in der ich mir 3x überlege ein Spiel zu behalten. Frostpunk behalte ich leider nicht.
Alexander:
Hinweis:
Wir haben das Rezensionsexemplar ohne Auflagen gratis vom Verlag bekommen.
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Denny Crane
Harter Test. Und sehr gut zu lesen auch wenn da viel enttäuschte Erwartungen mitschwingen. Trotzdem ist der Test kein billiger Verriss.
Ich habe Frostpunk selbst nicht gespielt, dein Eindruck glaubte ich auch in diversen Videos zu erkennen. Gerade dieses extrem Micromanagment hat man wohl wirklich zu heftig 1:1 von der Computervorlage übernommen. Da hätte man sich auf weniger Ressourcenmanagment beschränken sollen…Wer wirklich alle Kleinst-Details beachten will, ist dann vlt doch mit dem Medium Computer besser unterwegs. Das hat mM Northgard besser auf das Westentliche reduziert.
Auch der Punkt des Durchoptimierens klingt einfach sehr nüchtern. Sowas macht man letztendlich auch bei Paleo, aber durch den unbekannten Faktor der in dieser runden blind ausgewählten Karten, kommt da immer wieder Spannung auf. Zumindest bei uns..weil man auch mal „erfolgreiche“ Runden erspielen kann und sich belohnt fühlt. Das scheint hier bei dem Spiel ja kaum vorgesehen zu sein.
Alex
Danke für deinen Kommentar und das Lob. Es freut mich, dass die Message meiner Rezension so beim Leser ankommt, wie von mir intendiert 🙂
Lino
Ich schließe mich dem ersten Absatz von Denny Crane an, aber ich habe sonst bis aufs Inlay (das hat die Bezeichnung echt nicht verdient; mit nem guten Inlay ist der Aufbau in unter 10 Minuten durch, mit dem Original eher in 45 Minuten) fast nur mit den Kopf geschüttelt beim Lesen. Das was dir leider nicht gefällt ist genau das, was Frostpunk für mich persönlich zu einem der besten Brettspiele der letzten Jahre macht. Ich möchte das hier mal erläutern:
Das Spiel ist hart, aber dabei immer fair (du verlierst nicht plötzlich wegen einem einzigen Würfelwurf, aber gut, da hast du dann halt Emotion… negative Emotionen vermutlich). Ich treffe Entscheidungen… sind diese jetzt negativ, kann ich in Zukunft profitieren. Profitiere ich jetzt, muss ich zukünftig vermutlich mit negativen Konsequenzen leben. Das gilt für alle Aspekte des Spiels. Kommt der Sturm früher, muss ich rote und orangene Gebäude weniger heizen, spare also Kohle, hab dafür mehr Kranke, die ich aber heilen kann, weil ich weniger Kohle sammeln muss, usw… Muss ich mehr Heizen, weil der Sturm später kommt, halten meine Zelte länger und ich geh dann direkt auf Häuser und lasse Baracken aus, da ich dann vielleicht auch schon besser an Holz komme.
Es gibt aus meiner Erfahrung nicht DIE Strategie, mit der man gewinnt (naja, wobei… vermeide Krankheit und Hunger und damit Tote und du gewinnst) und wie man das „durchrechnen“ soll, weiß ich auch nicht. Ich spiele das mehr aus dem Bauch raus, wie ich im echten Leben auch Entscheidungen treffen würde.
Abhängig von deiner Bevölkerung und den Technologien musst du dir halt ne grobe Strategie zurechtlegen und dann flexibel auf die Ereignisse reagieren. Ich habe insbesondere das Startszenario jetzt schon mehrfach gespielt. Wenn ich verloren habe, wusste ich warum. Das waren meist Entscheidungen 3-4 Runden zuvor und das hat mich eher angespornt für zukünftige Runden. Ich habe mich nicht ein einziges Mal über eine Niederlage geärgert. Bei meinen Siegen habe ich jeweils vollkommen unterschiedlich gespielt (bis auf Zelt in Runde 1 und Signalstation in Runde 3).
Spielzeit liegt bei mir bei so 210-240 Minuten, also etwa 20 Minuten pro Runde, wobei ich für die Phasen 7 bis 5 (der Verwaltungsaufwand) ca. 6-8 Minuten benötige, was für mich voll OK ist, und den Rest für Phase 6.
Wer sich da jetzt unsicher ist, ob das Spiel was für ihn ist oder nicht (ihr seht ja, die Auffassungen können weit auseinander gehen) sollte vielleicht erstmal ne Runde irgendwo mitspielen, bevor man das Geld dafür ausgibt (es kommt ja noch Geld für ein richtiges Inlay dazu). Ich empfehle aber eine Gruppe die Spaß am Spiel hat. 😉
Ben
Ich bin da 100% bei dir Lino. Ich hatte mich mit Alex darüber schon am Telefon unterhalten – denn das was du sagst, ist exakt mein Argument gewesen, warum ich es ebenfalls für großartig halte und der Grund warum ich es, nachdem ich ja Robinson auch gefeiert habe, für einen Schritt nach vorn halte. Ja das Insert ist daneben. Aber das war’s doch auch schon. Das Spiel ist meiner Meinung nach alles andere als Emotionslos – nur weil man die Ressourcen eben nicht zufällig erhält, wie in jedem anderen Worker Placement Spiel. Sondern eben die Ereignisse die nötige Varianz bringen.
Derweilen hat man „eigentlich“ ein klares Ziel vor Augen. Wenn da halt nicht zwischendurch das Leben passieren würde …