SPIELSTIL Rezension
Lesezeit: 10 Minuten
Ein Spiel entwickelt von Dávid Turczi, Richard Amann, Viktor Peter
erschienen bei Mindclash Games, Skellig Games
Anachrony: Wer ist noch nie auf die Idee gekommen, etwas von eurem zukünftigen Ich auszuleihen? Klingt etwas irre? Ist es auch. Oder sagen wir fast immer, Anachrony macht da eine Ausnahme. Ob das insgesamt eine gute Idee ist, klären wir hier in unserer Rezension zu Anachrony.
Anachrony ist ein Workerplacer von David Turczi mit Viktor Peter und Richard Amann. Es erschien ursprünglich bei Mindclash Games und kommt jetzt auf Deutsch bei Skellig Games.
(Doc Brown in Zurück in die Zukunft)
Anachrony ist ein komplexer Workerplacer, der in einer dystopischen Zukunft spielt. In dieser Zeit ist die Erde durch eine furchtbare Katastrophe unbewohnbar geworden. Man betritt sie nur noch mit speziellen Anzügen, den Exosuits. Die Menschen leben in einer von vier Refugien. Im Spiel übernimmt man das Schicksal einer dieser vier. Jede Fraktion in Anachrony hat eine Spezialisierung, die einem eine gewisse Richtung vorgibt in die man spielen kann.
Eine Partie geht über eine variabel Anzahl an Runden, mindestens jedoch fünf. Davon vier vor dem Einschlag des Meteoriten (der Katastrophe) und mindestens eine danach.
Jede Runde in Anachrony besteht aus sechs Phasen, davon sind die wichtigsten:
Nach der vierten Runden, schlägt der Meteor ein, der eine weltweite Katastrophe auslöst, danach bricht alles zusammen und das Spielende nähert sich.
Die Partie gewinnt der Spielende mit den meisten Siegpunkten.
(Doc Brown in Zurück in die Zukunft)
Anachrony ist im Herzen ganz offensichtlich ein Workerplacer für Experten, inklusive Zeitreisen Twist. Wer also nach der Regelerklärung etwas ratlos und einen Tacken überfordert dasteht, braucht sich nicht wundern. Den meisten, mit denen wir gespielt haben, erging das so. Wie so oft sind es weniger die Regeln. Die sind in weiten Teilen Hausmannskost und für alle, die diese Art Spiele kennen kein Problem, gut zu verstehen. Doch wie so oft kommt der Overload von der Vielfalt der Optionen und der Fragen die sich vor einem auftürmen. Wie fängt man an? In welcher Reihenfolge ist das gut? Was ist eine gute Strategie? Denn man bekommt für gefühlt alles irgendwie Siegpunkte. Eine Orientierung kann dabei auf jeden Fall der ausgewählte Führer und das Fraktionstableau geben. Der Führer hat spezielle Vorteile, die man auf jeden Fall ausnützen sollte. Die Fraktionstableaus haben eine A und B Seite, Seite A ist bei allen gleich, die andere bringt zum Beispiel unterschiedliche Kosten für Gebäude ins Spiel.
Ohne Gebäude läuft wenig in Anachrony. Es kommt darauf an sich die richtigen aufs Tableau zu holen. Das gelingt nicht immer, denn meistens will jemand anderes ebenfalls genau dieses Gebäude. Insgesamt hatte ich aber das Gefühl, dass Anachrony von mir keinen vollständigen Masterplan über viele Runden erwartet. Erst gegen Ende einer Runde denkt man in Richtung der nächsten. Alle Züge vorher zu planen, ist kaum möglich, es gibt die anderen am Tisch, die einen durch ihre Aktionen zwingen neu zu denken. Hat man die Lernkurve hinter sich gebracht, verliefen unsere Partien ziemlich gleichförmig. Es gab keine Ausreisser nach oben (das lief richtig super) oder unten (das lief richtig mies). Wer ein paar Partien Anachrony gespielt hat, wird seine weiteren ohne große Überraschungen erleben.
Anachrony konfrontiert Spielende mit den typischen Zwängen, die man von einem Spiel dieses Genres erwartet. Man hat nicht genug Zeit oder es fehlt an der einen oder anderen Ressource, um seine Plänen umzusetzen. But wait! Wir spielen ja schließlich Anachrony, da kann man ja einfach einen Kredit bei seinem zukünftigen Ich holen. In der Warp Phase hole ich bis zu zwei davon. Klingt komisch? Ist auch so. Wer zu gierig ist holt sich neben den Ressourcen auch ziemlich sicher Ärger ins Haus. Der kommt in Form von Paradoxien und später Anomalien. Diese sind ärgerlich, weil sie das eigene Tableau verschlacken, in dem sie einen Bauplatz verbrauchen und am Ende drei Siegpunkte kosten. Man bekommt eine Anomalie auch wieder los, das kostet aber wichtige Ressourcen und dauerhaft einen Arbeiter. Eigentlich ist die Zeitreisethematik nichts anderes als ein aufgemotzter Kreditmechanismus. Trotzdem, er ist interessant umgesetzt. Mir gefällt das taktische Element, dass jeder für sich die “ausgeliehenen” Ressourcen geheim auswählt. Denn nur derjenige mit den meisten Tokens auf dem Zeitstrahlteil muss würfeln. Dieser Umstand ist auch wichtig beim Zurückzahlen der Schuld, so kann man dem Wurf mit dem Paradoxon Würfel aus dem Weg gehen.
Wer seine “Zeitschulden” zurückbezahlen will muss bauen. Denn erst mit dem richtigen Gebäude bekommt die jeweilige Fraktion die wichtige Zeitreisefähigkeit. Außerdem erweitert man mit Gebäuden die Einsatzmöglichkeiten für seine Arbeiter. Man macht sich damit ein Stück weit unabhängig vom Hauptspielplan und spart wertvolle Exosuits. Mir gefällt die Idee, dass ich mir mein eigenes Aktionstableau bauen kann. So entspannt sich etwas die Situation auf dem Hauptspielplan, obwohl es mir da nie besonders eng vorkam. Mit den beiden Ausweichplätzen kommt man insgesamt gut über die Runden. Zusätzlich wird man mit dem teureren der beiden Startspieler, das ist ziemlich fair. Andererseits wird das solitäre Spiel dadurch noch einzelgängerischer. Anachrony ist bereits sehr anfällig für lange Downtime. Im Extremfall schauen dann aber die anderen zu, wie man eine Aktion nach der anderen auf dem Tableau durchzieht. Das mag schön fürs Ego sein, für die gemeinsame Spielerfahrung ist es eher ein Downlight.
Wo wir gerade bei Downlights sind. Wenn der böse Meteor einschlägt und unsere Welt ins Chaos stürzt, dann kommt das Endes des Spiels und wir sollten die Dinge zum Ende bringen und unsere Leute evakuieren. Nach dem Einschlag gibt es eine weitere Aktion, die Evakuierung. Was so wichtig, so thematisch klingt, ist nichts anderes wie eine weitere Siegpunktquelle. Man kann es machen oder auch nicht. Es gibt keine weiteren Konsequenzen. Das mag eine Kleinigkeit sein, ich empfinde es als vergeudete Chance, um dem ganzen einen thematischen Boost zu geben.
Vieles was Anachrony mitbringt und macht ist bekannt und nur neu zusammengefügt. Was macht Anachrony also so besonders? Warum der Hype, zumindest in meiner Bubble? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Ich spiele Anachrony ganz gerne und finde es ganz gut, aber so richtig mitreissen mag es mich nicht. Der Spielfluss ist prinzipiell ok, es sein denn jemand treibt die Downtime nach oben. Anachrony spielt sich eher belohnend als bestrafend, ich habe nie erlebt, dass sich jemand aus dem Spiel durch ungeschickte Entscheidungen katapultiert hat. Andererseits gab es bei mir leider nie das typische Hoch, wenn mal ein komplizierter Plan den man sich erdacht hat erfolgreich aufgeht.
Anachrony ist eines meiner Lieblingspiele. Ich liebe Workerplacer und es ist für mich einer der besten, die ich bisher gespielt habe. Ich kann Roberts Einschätzung nicht ganz teilen, verstehe jedoch seine Punkte. Für mich sind Thematik und Mechanik in diesem Spiel hervorragend kombiniert. Anachrony erfindet das Rad nicht neu, aber die Verbindung mit dem Zeitreisethema und dessen Umsetzung schaffen ein rundes Spielerlebnis.
Die Zweiteilung des Spiels durch den Meteoriteneinschlag läutet das Ende ein. Nach dem Einschlag geht das Spiel zügig zu Ende, meistens noch zwei Runden. Die zweiphasige Struktur ist angenehm, denn man arbeitet nicht auf ein weit entferntes Spielende hin, sondern hat erst mal ein näher gelegenes Ziel, dass durch die gewählte Fraktion bestimmt wird.
Ich mag es, den eigenen Spielplan aufzubauen. Der Hauptspielplan bleibt aber immer ein zentrales Element. Man kann seinen Fraktionsbord nicht so gestalten, dass man völlig autark vom Hauptspielplan ist. Das Spiel wird dadurch etwas solitärer, aber auch nur bedingt. Andere Spieler stehen auf dem Hauptspielplan nach wie vor oft im Weg, besonders nach dem Meteoriteneinschlag, denn ab da sind dann bestimmte Aktionen begrenzt.
Die Startspieler-Position ist relevant, besonders wenn man ein bestimmtes Feld auf dem Hauptspielplan in der nächsten Runde nutzen möchte. Sich den Startspieler zu sichern, kann sinnvoll sein, sonst könnte das gewünschte Spielfeld bereits besetzt sein und man kann es gar nicht oder nur mit höheren Kosten nutzen.
Der Cooldown-Effekt der Arbeiter, bei dem sie nach ihrer Nutzung erschöpft sind und erst wieder aufgeweckt werden müssen, gefällt mir sehr gut. Ein Worker sollte da sein, um die anderen wieder zu wecken. Dafür gibt es Spezialisten, die dabei nicht erschöpft werden. Die unterschiedlichen Spezialisten und deren Einsatzmöglichkeiten sind ein taktisches Element, das ich sehr schätze. Man muss entscheiden, welchen Arbeiter man für welche Aufgabe einsetzt und ob die gewählte Strategie die richtigen Arbeiter beinhaltet.
Anfangs habe ich den Zeitreise-Effekt eher vorsichtig eingesetzt, um keine „Schulden“ zu machen. Im Laufe der Partien stellte ich jedoch fest, dass es ein zentrales Element des Spiels ist, denn man generiert nicht unwesentlich Siegpunkte damit. Vor allem gefällt mir der Umstand, dass nur der für den negativen Effekt würfeln muss, der zu gierig war und am meisten geliehen hat. Es ist spannend verdeckt die Ressourcen zu leihen, denn es ist durchaus hilfreich, die Mitspieler einzuschätzen, um nicht der/die Gierigste zu sein.
Robert hat recht, dass das Spiel in bestimmten Situationen solitär sein kann und Downtime-Potenzial hat. Bis auf eine Runde hatte ich jedoch sehr gute Erfahrungen damit. Es gab zwar Downtime, aber nicht übermäßig strapazierend. Durch Mechanismen wie den verdeckten Leih-Mechanismus, die begrenzten Felder auf dem Hauptspielplan und die Gebäude, die man sich gegenseitig wegkaufen kann, hebt sich das solitäre Gefühl für mich wieder auf.
Mein Fazit: Ich liebe dieses Spiel und spiele es seit Jahren immer wieder gern. Es ist anspruchsvoll, aber kein Hirnzwirbler und mit Spielern, die es kennen, ist es chillig runtergespielt. Ich freue mich, dass es nun bei Skellig auf Deutsch erscheint.
Anachrony von Dávid Turczi, Richard Amann, Viktor Peter
Ein komplexer Workerplacer mit Kreditvergabe aus der eigenen zukünftigen Tasche.
Robert:
Sandra:
Hinweis:
Wir haben das Rezensionsexemplar ohne Auflagen gratis vom Verlag bekommen.
Mehr Informationen zu Affiliate Links und Rezensionsexemplaren findet ihr in unserer Übersicht zur Transparenz und in den Bestimmungen zum Datenschutz.