SPIELSTIL Rezension
Lesezeit: 10 Minuten
Ein Spiel entwickelt von Caleb Grace, Michael Boggs, Nate French
erschienen bei Asmodee, Fantasy Flight Games
Wer kennt die ewige Diskussion und die verbitterten Feindschaften zwischen Star Trek und Star Wars Fans nicht? Da wird teilweise bis aufs Blut gestritten und gezankt. Da wird Star Wars als Märchen, als Fantasy beschimpft, während Star Trek die ‚Epik‘ abgesprochen und auf glatzköpfige Franzosen oder übergewichtige Amerikaner reduziert wird… na gut, ganz so extrem ist es in der Regel nicht. Aber ein bisschen.
Und ganz ähnlich empfinde ich immer die Auseinandersetzung zwischen Marvel und DC. Marvel sei zu bunt, zu knallig, zu abgehoben – während DC-Helden die Glaubwürdigkeit abgesprochen wird. Nun ist es so, dass ich beide Universen mag (Und es gibt ja auch tolle DC-Spiele; DC Superhelden zum Beispiel) – aber ich bin ganz klar mit Marvel aufgewachsen. Die Comics habe ich als Kind und Jugendlicher verschlungen und all mein Taschengeld dafür ausgegeben. Am Samstag stand ich am Kiosk und habe nach neuen Marvel-Taschenbüchern gefragt und sie IMMER gekauft; in der Buchbörse die Comics verkauft und neue (gebrauchte) mitgenommen…
Kein Wunder also, dass ich gleich einen doppelten Luftsprung machte, als Marvel Champions angekündigt wurde. Der erste direkt, als es hieß, dass aus der Feder der Herr der Ringe und Arkham Horror LCG Autoren ein kooperatives Marvel-Kartenspiel kommt; der zweite Luftsprung, als klar wurde, dass das Spiel nicht auf den Filmen des MCU basiert, sondern die Comics als Quelle hat!
Weihnachten, Ostern und mein Geburtstag an einem Tag!
(Stan Lee)
Bei Marvel Champions verrät der Name eigentlich schon Alles – die Champions (der Guten) treten gegen die Champions (der Bösen) an. Und ja, die Welt bei Marvel ist meistens so Schwarz-Weiß: Es gibt die Helden, und die Helden kämpfen gegen die Schurken.
Die Helden haben jeweils ein eigenes Deck, welches die Ausrüstung, besondere Aktionen und Manöver und auch Verbündete enthält, mit denen sie antreten. Pro Runde stehen immer nur eine gewisse Anzahl an Karten zur Verfügung, und der Kniff zum Ausspielen ist folgender: Als Kosten, um eine Karte zu spielen, muss man andere Karten abwerfen! Dies stellt die Spieler vor das Dilemma, welche Karte gespielt wird – und welche abgeworfen? Denn klar ist Eines: Alle Karten sind toll! Keine möchte man abwerfen! Aber so muss man Runde um Runde kniffelige Entscheidungen treffen, und oft gute Karten abwerfen um sehr gute Karten zu spielen.
Der Schurke hat dagegen ein Begegnungsdeck, von dem Runde um Runde Karten gezogen werden, welche in der Regel negative Auswirkungen für die Helden haben. Entweder sind es Schergen, welche die Helden attackieren; oder es sind Nebenpläne, welche die Schwierigkeit weiter anziehen und die Helden behindern. Und natürlich gibt es auch eine Reihe von Ereignissen, die auf den Schurken abgestimmt sind – so gibt es bei Rhino Rammangriffe, während Klaw eher mit seiner Schallkanone schießt.
Dabei ist das Ziel des Schurken, seinen Hauptplan zu vollenden (meist auch in mehreren Stufen); während die Helden versuchen, vorher die Lebenspunkte des Schurken auf 0 zu reduzieren, um ihn so zu besiegen und aufzuhalten. Ob der Schurke nun die Helden angreift, oder seinen Plan vorantreibt, hängt von folgendem Kniff ab: Jede Heldenkarte hat zwei Seiten: Den Held selbst, also zum Beispiel Iron Man – und sein Alter Ego, in diesem Falle dann Tony Stark. Einmal pro Runde kann die Karte gewendet werden – und je nach aufgedeckter Seite treibt dann der Schurke seinen Plan weiter voran (Alter Ego) oder attackiert den Störenfried aka Helden. So kann man also durchaus steuern, wie der Schurke agieren wird; man muss es sogar, um erfolgreich zu spielen!
Abwechslung gibt es, da die Heldendecks nicht nur die spezifischen Karten eines der fünf Helden (Iron Man, Spider-Man, She-Hulk, Black Panther und Captain Marvel) beinhalten, sondern sich jeder Held auch immer für einen von vier Aspekten entscheidet, quasi wie die Farbe bei Magic: „Schutz“ mit vielen Karten, die Angriffe Blockieren, Heilen oder die Verteidigung erhöhen; „Gerechtigkeit“, um die Pläne des Schurken zu vereiteln; „Führung“ mit vielen Verbündeten und dem Stärken derselben – und schließlich „Aggression“, welcher sich quasi von selbst Erklärt – Schaden, Schaden und noch mehr Schaden.
Auf der Gegnerseite gibt es 3 Szenarien, also Schurken (Rhino, Klaw und Ultron), welche mit 5 verschiedenen Begegnungssets kombiniert werden können – außerdem kann jeder Schurke in zwei verschiedenen Schwierigkeiten gespielt werden.
Die komplette Spielregel zu Marvel Champions findet ihr hier. (externer Link)
(David Lloyd George)
Fangen wir doch mal mit dem Offensichtlichen an: MARVEL! Jaja, Ihr werdet jetzt wahrscheinlich sagen, ich sei ein Fanboy – stimmt! – aber dennoch muss man dem Spiel einfach zugestehen, dass es auf eine sehr große und lange lebende IP zugreift. Vor Allem, weil die Vorlage die Comics sind, und nicht die Filme des MCU. Damit muss man sich also keine Sorgen machen, dass in nächster Zeit das Material für Helden oder Schurken ausgehen könnte…
Falls ihr euch übrigens nicht sicher seid, welche Erweiterungen ihr kaufen sollt, empfehlen wir euch den Marvel Champions Ratgeber: Helden und den Marvel Champions Ratgeber: Szenarien. Dort geben wir euch einen groben Überblick, welche Helden sich lohnen – und wieso!
Was uns also direkt zu den Helden bringt; das Spiel punktet ganz klar mit den verschiedenen Helden, die sich komplett unterschiedlich spielen und auch sehr unterschiedliche Karten in ihrem Deck haben – dazu kombiniert man sie auch noch jeweils mit einem der vier Aspekte, so dass wir in der Grundbox alleine 20 verschiedene Decks haben. Ein Spider-Man mit Aggressions-Aspekt spiel sich deutlich anders als ein Spider-Man mit Schutz-Aspekt; aber auch ein Iron Man mit Schutz-Aspekt spielt sich anders. Und hat man später auch noch einen größeren Kartenpool, kann man noch unterschiedlichere Decks bauen, so dass sich zwei Spider-Man Decks mit Aggressions-Aspekt auch sehr unterschiedlich spielen können.
Auf der anderen Seite gibt es dann die Schurken mit ihren Plänen (also dem Szenario). Auch hier kann man durch die Wahl der Schwierigkeit und durch die Wahl des modularen Begegnungssets Varianz ins Spiel bringen; ob Rhino nun eine Bombendrohung als Ablenkung benutzt; oder von den Legionen von Hydra unterstützt wird – eine ganz andere Nummer! Dennoch nicht so sehr variabel wie die unterschiedlichen Aspekte der Helden, muss man ganz klar sagen. Trotzdem merkt man die Auswirkungen eines anderen Begegnungssets mitunter stark; so hat die klassische Begegnung mit Rhino keine 3er Boostsymbole. Damit kann man natürlich „rechnen“. Wenn ich nun ein starkes Begegnungsset mit vielen 3ern hinzufüge, kann ein Vorantreiben des Plans durch den Schurken schon ein echtes Problem werden mit einem 3er Boost!
Und leider sind die drei Szenarien nicht wirklich als Kampagne verbunden – zwar ist es eine fortlaufende Geschichte; aber es fehlt einfach eine Auswirkung auf das zweite Szenario, je nachdem, wie gut (oder schlecht) ich das erste Szenario gelöst habe. Da wäre doch so Einiges möglich gewesen, wie uns Arkham Horror: Das Kartenspiel schon demonstriert hat! Bei Marvel Champions steht im Text der Szenarien tatsächlich eine zusammenhängende Geschichte; Rhino unternimmt einen Raub und will Adamantium stehlen – dieses sollte er wohl an Klaw liefern, den wir im Gespräch mit einer mysteriösen Gestalt in rotem Umhang überraschen. Nachdem wir Klaw und seine Schergen überwältigt haben, stellt sich die Gestalt mit der roten Kapuze als niemand geringerer als ULTRON heraus! Das ist ja eine super Geschichte; eines Comics würdig – nur wieso wird das nicht im Spiel auch aufgegriffen? Die Schergen, die wir bei Rhino nicht besiegen, starten bei Klaw im Spiel – und je länger wir brauchen, um Klaw zu besiegen, um so weiter ist der Plan von Ultron voran geschritten. Zack, Paff, Fertig! Das ist nicht sonderlich kompliziert, hätte aber viel zum Comic-Feeling beigetragen… Sehr schade…
Übrigens muss man nicht zwingend Deckbau (bei den Helden) betreiben. Das empfinde ich als einen ziemlich großen Vorteil: Man kann die empfohlenen Decks zusammenbauen und einfach so „out of the Box“ spielen – leider ist genau ein Deck zu wenig verfügbar; es sind 5 Helden, aber nur 4 Decks lassen sich bauen. Dennoch; auch mit den Helden-Erweiterungen wird dieses Prinzip weiter verfolgt. Jede Heldenerweiterung enthält ein komplett spielbares Deck. Sollte ich also tatsächlich kein Interesse an Deckbau haben, so kann ich auf diese Weise einfach die Heldendecks der Erweiterungen – und die vorgeschlagenen Decks des Grundspiels – nehmen, und damit spielen. Falls ich aber gerne selber Decks bauen möchte, stehen mir dafür natürlich früher oder später endlose Kombinationen zur Verfügung. Dabei hat Marvel Champions es ganz elegant gelöst, dass der Held nicht nur durch seine eigene Karte die Richtung des Spiels bestimmt (wie die LCGs Arkham Horror oder Herr der Ringe dies tun), sondern auch immer einen festen Satz von 15 Spielkarten hat, welche Grundbestandteil des Heldendecks sind. Diese ergänzt man dann mit 25 bis 35 Spielkarten eines Aspekts bzw mit neutralen Basiskarten, um ein vollständiges Deck zu erhalten. Aber so sind eben bestimmte definierende Elemente eines Helden auch in diesen Karten enthalten, wie zum Beispiel die Ausrüstung von Iron Man oder Aktionen rund um die Netze von Spider-Man.
Die Spielerzahl ist mit 1-4 angegeben; als voll kooperatives Spiel skaliertes es relativ gut bei allen Spielerzahlen, aber man muss auch festhalten, dass es insgesamt wenig Interaktion zwischen den Spielern gibt. So ist die Downtime doch relativ hoch in Partien zu dritt oder viert, da man vor Allem den Mitspielern zusieht, was sie machen. Das ist ein wenig Schade; gefühlt spricht man sich bei Arkham Horror: Das Kartenspiel deutlich mehr ab, was vielleicht auch daran liegt, dass die Basisaktionen dort mehr im Mittelpunkt stehen und sich die Spielenden auf einem gemeinsamen Plan bewegen. Auf der anderen Seite ist Marvel Champions ein grandioses Solo-Spiel – sowohl mit nur einem Helden, aber auch mit zwei Helden (also „zweihändig“) lässt es sich toll spielen und eröffnet natürlich viel mehr Möglichkeiten, als nur mit einem Deck.
Zum Abschluss muss ich noch etwas profanes ansprechen: Die Kartenqualität. Leider sind die Spielkarten nicht sonderlich gut produziert. Meiner Meinung nach ist Sleeven ein Muss bei diesem Spiel, und da ich just vor ein paar Tagen wieder Magic: The Gathering in den Händen hielt, fiel mir um so mehr auf, wie sehr sich die Qualität unterscheidet. Da verstehe ich Fantasy Flight Games wirklich nicht, wenn sie bei einem Kartenspiel ausgerechnet an der Namensgebenden Komponente so sehr sparen! Das ist wirklich sehr schade…
Bleibt abschließend zu sagen: Marvel Champions ist ein tolles Kartenspiel; zum Einen, wenn man Deckbau mag, aber auch mit den vorgefertigten/vorgeschlagenen Decks ist es super! In größerer Runde kann es ein wenig zäh werden, aber dafür glänzt es Solo um so mehr. Wer Marvel Comics mag, der wird hier natürlich extra belohnt, denn die Helden und Schurken kommen nicht nur aus dem Einheitsbrei MCU, sondern werden auch aus älteren Comics rekrutiert!
Marvel Champions von Caleb Grace, Michael Boggs, Nate French
Ein schnelles, abwechslungsreiches Superhelden-Kartenspiel, sowohl zum Deckbau, als auch zum „einfach losspielen“. Zu viert wird es ein wenig langatmig, dafür super solo.
Thomas:
Hinweis:
Wir haben das Rezensionsexemplar ohne Auflagen gratis vom Verlag bekommen.
Mehr Informationen zu Affiliate Links und Rezensionsexemplaren findet ihr in unserer Übersicht zur Transparenz und in den Bestimmungen zum Datenschutz.
Pingback: Einkaufsführer Marvel Champions Helden Erweiterungen
Pingback: Marvel Champions Ratgeber - Szenario-Packs
Pingback: #BG2GETHER Juli 2022 - Wie geeky bist Du? – Spielstil