SPIELSTIL Rezension
Lesezeit: 12 Minuten
Ein Spiel entwickelt von Petter Schanke Olsen
erschienen bei Giant Roc
Hegra 1940. Wer von euch kann etwas mit dem Namen und der Jahreszahl anfangen? Ich bin ehrlich und gestehe: Ich nicht! Klar, 1940: der 2. Weltkrieg. Aber Hegra? Nie gehört! Aber ich habe mich natürlich belesen: Es ist der Name einer Festung beziehungsweise eines norwegischen Ortes in der Nähe dieser Festung, in der zu Beginn des 2. Weltkriegs erbittert Widerstand geleistet wurde – bis zur Kapitulation Norwegens. Aber nur durch diese politische Entscheidung wurde die Festung aufgegeben; gefallen ist sie nicht. Noch heute ist sie ein Symbol für den norwegischen Widerstand.
Wenn es um Spiele mit historischem Kontext geht, ist der 2. Weltkrieg oft ein schwieriges Thema. Insbesondere, wenn es um Konflikte geht, an denen Deutschland beteiligt war. Denn wer möchte schon in die Rolle der Wehrmacht schlüpfen, um eine (zwar historische) Schlacht nachzuspielen? Daher war der angekündigte Titel von Giant Roc durchaus eine angenehme Überraschung für mich: Zum einen wurde mit Hegra 1940 ein reines Solo-Kriegsspiel angekündigt; zum anderen wurde hier die Rolle der Norweger übernommen, die sich einer deutschen Übermacht gegenübersahen und die namensgebende Festung in der Nähe von Trondheim verteidigen mussten. Die Rolle der Deutschen übernimmt hier das Spiel.
(William Shakespeare (1564 – 1616))
Eine Partie Hegra 1940 verläuft über 3 Phasen. Diese stellen die sich permanent weiter verschärfende Situation der norwegischen Soldaten in der Festung dar, während die deutschen Truppen die Belagerung immer weiter verstärken und intensivieren. Hierfür verändert sich von Phase zu Phase der Spielplan und es kommen unterschiedliche Ereigniskarten zum Einsatz. Ebenso fallen Spielelemente weg, während andere Elemente hinzukommen. Grob lässt es sich so beschreiben: Zu Beginn hat man noch viele Möglichkeiten und Freiheiten, Vorbereitungen zu treffen. Dann wird die Belagerung mit voller Kraft durch die deutschen Truppen begonnen, und es gibt kaum noch Verstärkungen. Zum Ende der Partie hin ist es nur noch das Durchhalten bis zum Spielende und damit zum Sieg der Partie.
Im Detail haben wir 11 Runden durchzuhalten. Hierfür setzen wir unsere Arbeiter – also Zivilisten des Widerstands und Soldaten, die in verschiedenen Spezialisierungen wie Jäger oder Sanitäter daher kommen – auf einem Plan der Festung ein. Sie können dann zum Beispiel Schnee schaufeln, um neue Aktionsplätze, also Aktionen „frei“ zu legen, die Artillerie-Geschütze bedienen oder auch in der Krankenstation die Verwundeten versorgen. Dabei gibt es meist keine Obergrenze für den Einsatz der Arbeiter; allerdings gibt es für die meisten Aktionen Einschränkungen bei der Spezialisierung – oder aber einen Bonus für bestimmte Typen. So können (logischerweise) Sanitäter besonders gut Verwundete in der Krankenstation versorgen; Offiziere sind geübt darin, die Moral zu verbessern und die (ortskundigen) Widerstandskämpfer der Zivilbevölkerung kennen sich besonders gut mit der Festungsanlage aus – stand sie doch viele Jahre leer und gehörte zur Umgebung.
Und woher kommen nun all dieser Arbeiter, Verzeihung: Kämpfer? Wir ziehen sie in den frühen Runden mit einem Push-Your-Luck-Mechanismus aus einem Beutel mit allen verfügbaren Arbeitern. Maximal vier dürfen wir ziehen – doch Achtung! Ziehen wir einen Verzweiflungsmarker, dürfen wir nur einen der Freiwilligen behalten; der Rest wird aus dem Spiel entfernt – mit Ausnahme des Verzweiflungs-Markers; der geht natürlich zurück in den Beutel. Und ganz thematisch werden es von Runde zu Runde auch immer mehr Verzweiflungsmarker… Uff!
Außerdem haben wir einen Umgebungsplan; eine Karte, auf der wir unsere Soldaten ausschicken können, um zum einen Vorräte aus Depots in der Nähe zu sichern; zum anderen um die gegnerischen Patrouillen und Artilleriestellungen zu bekämpfen. Natürlich beeinflusst das vorherrschende Wetter das Vorankommen unserer Truppen – bei gutem Wetter sind sie deutlich schneller als bei einem Schneesturm. Dennoch sind diese Vorräte unverzichtbar – wir brauchen sie eher früher als später, da alle unsere Arbeiter auch versorgt, sprich: Gefüttert werden wollen!
Und natürlich gibt es dann – später im Spiel – auch den Angriff der Deutschen, gegen den wir uns mit Soldaten (und Würfeln) verteidigen, um die Wellen der deutschen Soldaten abzuwehren! Dies geschieht mit einem relativ abstrakten System, welches die vorrückenden Truppen darstellt, die wir entweder für eine Runde ausschalten oder besser noch: dauerhaft entfernen! Und dann gibt es noch viele, viele weitere Details, die Hegra 1940 komplexer machen, als ich es hier grob umreiße – Aktionskarten, Moral, Hoffnung und Verzweiflung, Beschuss durch die gegnerische Artillerie, Flugzeugangriffe, und, und, und…
Die komplette Spielregel zu Hegra 1940 findet ihr hier. (externer Link)
(Schwedisches Sprichwort)
Hegra 1940 ist eine große, komplexe Angelegenheit. Ich muss das Spiel tatsächlich ein wenig sezieren, um hier zu einer Meinung zu kommen. Es gibt in meinen Augen ganz großartige Aspekte – und fürchterliche.
Fangen wir mit dem Thema und dem Material an: Hammer! Ich habe selten ein so unglaublich schönes und gut redaktionell bearbeitetes Spiel in den Händen gehalten. Ich glaube nur 1944: Race to the Rhine kommt (in diesem Themenbereich) da ran. Der Spielplan ist quasi der Planungstisch der Festungsverteidigung. Man schaut auf Landkarten, Pläne, Organisationsdiagramme, Einsatzprotokolle. Es liegen Patronen und eine Pistole auf dem „Tisch“; das rauhe Holz der Tischplatte lugt dazwischen hervor. Die Spielfiguren sind bedruckte Holzscheiben mit Symbolen für die Arbeitertypen; Gegner sind kleine Holzsoldaten und Artilleriegeschütze. Die Ereigniskarten für die Runden haben Illustrationen im Stile des Spielcovers. Ja, die Ressourcen sind „nur“ kleine, gelbe Holzwürfel – aber in Anbetracht der Tatsache, dass wir hier ja quasi den Planungstisch vor uns haben, ist das durchaus passend.
Die Anleitung ist sehr strukturiert aufgebaut und führt uns gut durch die Regeln des Spiels. Da es sehr viele verschiedene Mechanismen gibt, die quasi alle ihre eigenen Minispiele mit Miniregeln sind, ist das ziemlich viel Stoff, den wir vor der ersten Partie lernen müssen. Dabei wird zuerst der Rundenablauf in der Vorbereitung erläutert und durchgegangen, danach kommen dann die neuen Regeln und Abschnitte in den späteren Phasen des Spiels. Das ist etwas gewöhnungsbedürftig, denn wir müssen die Regeln an der Stelle nachschlagen, als sie das erste Mal verwendet wurden. Ich finde es dennoch gut so, weil eine mehrfache Wiederholung der Regeln hätte das Buch unnötig aufgeblasen und wir hätten immer wieder nach den kleinen (aber wichtigen!) Unterschieden suchen müssen.
Und das Spielgefühl? Das ist ganz hervorragend passend! Während wir am Anfang mehr und mehr Möglichkeiten durch neue Arbeiter, Ressourcen und durchaus auch positive Ereignisse bekommen, geht es im weiteren Verlauf einer Partie Hegra 1940 stetig bergab. Welle um Welle der angreifenden deutschen Soldaten müssen wir mehr schlecht als recht abwehren; die feindlichen Flugzeuge und Artilleriebeschuss zerstören unsere mühsam in Stand gesetzte Festung und dann gehen uns auch noch die Lebensmittel aus und wir müssen hart kalkulieren, welche Arbeiter und Soldaten wir in den letzten Runden wieder aktivieren – und welche nicht mehr eingesetzt werden können. Mit Ach und Krach schaffen wir es dann vielleicht noch in die letzte Runde, aber dann kommt noch der finale Angriff (einer von drei möglichen) – und nur, wenn wir diesen auch noch überstehen, können wir aufatmen und haben die Belagerung überlebt und das Spiel mit mehr Glück als Verstand gewonnen!
Moment mal!, werdet Ihr jetzt sagen, Wieso Glück? – Nun, weil es in diesem Spiel, welches sich sehr strategisch anhört, auch jede Menge Glück gibt. Und damit auch Pech. Versteht mich nicht falsch – Zufall ist das Salz in der Suppe von Solo-Spielen; sind diese durchrechenbar, hat man sie irgendwann gelöst und die Spiele machen keinen Spaß mehr. Aber Glück und Pech ist gewichteter Zufall: Ein zufälliges Ereignis, welches entweder eindeutig (sehr) positiv oder negativ ist.
Beispielsweise Mensch-Ärgere-Dich-Nicht: In der Regel geht es darum, möglichst hoch und in bestimmten Situationen eine passende Zahl zu würfeln (beim Schlagen eines fremden Spielsteins oder um auf das Zielfeld zu kommen). Prinzipiell wäre das Glück/Pech, aber durch die schiere Menge an Würfelwürfen in einer Partie gleicht es sich eher aus. Ähnlich bei Catan oder Can’t Stop. Wenn man allerdings nur wenige Würfe hat – dann ist es nicht mehr ausgeglichen, sondern reines Glück – oder Pech – um das richtige Ergebnis zu erhalten.
Bei Hegra 1940 verhält es sich nun so, dass hier viele einzelne Komponenten zusammenkommen, die Glück/Pech statt Zufall sind:
Neben diesen Glücksmechaniken gibt es noch einige andere kleine Stellschrauben – jedoch wirkt sich keine so stark auf die Partie aus wie diese drei. Vor allem Wetter und das Glück beim Ziehen der Arbeiter in Runde 1 und 2 sind extrem ausschlaggebend für das Ergebnis der Partie. Das muss man mögen – und ich bin ehrlich: Ich mag es nicht. Denn wenn man hier zu Beginn der Partie Pech hat, dann verliert man nicht sofort – aber man spielt ohne echte Gewinnchancen eine Stunde lange gegen das Spiel, um dann in Runde 10 oder 11 schließlich besiegt zu werden. Man sieht quasi in Zeitlupe dem Absturz der Partie zu, was einfach keinen Spaß macht.
Abgesehen hiervon möchte ich dann noch erwähnen, dass man die Schwierigkeit des Spiels sehr geschickt anpassen kann: Um eine Partie leichter zu gestalten, können mit kleinen Overlays auf dem Spielplan die Übergänge von Vorbereitung zu Angriff und von Angriff zu Belagerung um je eine Runde weiter nach hinten verschoben werden, um so mehr Zeit zu haben, ehe das Spiel die Schwierigkeit anhebt. Für alle Veteranen bietet Hegra 1940 dann zur Erhöhung der Schwierigkeit zum einen sog. fortgeschrittene Ereigniskarten mit deutlich härteren Ereignissen; zum anderen Auftragskarten mit zusätzliche Aufgaben, die einen belohnen, wenn man diese erfüllt – aber auch bestrafen, wenn man dies nicht rechtzeitig schafft.
So bleibe ich zerrissen zurück: Auf der einen Seite ist dies ein großartiges Spiel mit wirklich tollem Material, welches ein (zugegeben sehr spezielles) Szenario im 2. Weltkrieg ausgezeichnet in Szene setzt; jedoch mit so absurden Glückselementen agiert, dass es mir das Spielen verdirbt. Sagen wir so: Wenn ich in Runde 1 keine 4 Arbeiter ziehen kann, breche ich die Partie direkt ab und starte neu. Diesen unglaublich starken Glücksfaktor muss man wirklich mögen, er lässt sich nicht einfach ignorieren und wird auch nicht vom Rest des Spiels aufgewogen; es ist ein harter No-Go-Punkt in meinen Augen. Mag man jedoch solche Glückselemente, wie sie zum Beispiel auch bei Nemo’s War zentral sind, dann ist Hegra 1940 eines der besten Solo-Spiele, die ich kenne.
Hegra 1940 von Petter Schanke Olsen
Ausgezeichnetes Solo-Kriegsspiel im 2. Weltkrieg über die Belagerung einer norwegischen Festung. Allerdings ein ausgeprägter Glücksmechanismus, den man wirklich mögen muss, um das Spiel zu lieben.
Thomas:
Hinweis:
Wir haben das Rezensionsexemplar ohne Auflagen gratis vom Verlag bekommen.
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Thomas
Damn…ich hätte es fast gekauft. Ich meine natürlich Danke für Deinen guten Artikel zum Spiel :-).
Thomas Büttner
Ach, was soll ich sagen?
Ich würde das Spiel ja so gerne mögen, weil das Thema toll ist und die Optik erst recht!
Aber mechanisch hat es für mich ernste Probleme, leider… 😑