SPIELSTIL Rezension
Lesezeit: 10 Minuten
Ein Spiel entwickelt von Tory Brown
erschienen bei Fort Circle Games
Bei einem eher unbekannten, kleinen Verlag ist das Brettspiel Votes for Women erschienen. Fort Circle Games hatte zuvor nur ein einziges Brettspiel veröffentlicht – The Shores of Tripoli. Letzteres ist ein asymmetrisches, kartengesteuertes Kriegsspiel, also war die Ankündigung für ein historisches Spiel zum Kampf für das Frauenwahlrecht in den Vereinigten Staaten eher überraschend. Passenderweise erfolgte diese zum 100. Jubiläum des 19. Zusatzartikels (um den es im Spiel geht). Es ist das Erstlingswerk der Autorin Tory Brown, welche selbst als Aktivistin für Frauenrechte engagiert ist.
Ich war tatsächlich sehr neugierig auf das Spiel und gleichzeitig ziemlich blank, was Wissen zu diesem Thema angeht. Die Einführung des Frauenwahlrechts in den USA hatten wir in der Schule nicht durchgenommen (oder ich erinnere mich nicht daran) und auch später habe ich mich mit diesem Thema nie näher befasst. Aber Aufmachung, Beschreibung und tatsächlich eben auch das Thema des Spiels fand ich so spannend, dass ich es ausprobieren wollte.
(Olympe de Gouges, französische Revolutionärin, Frauenrechtlerin, Schriftstellerin und Dramatikerin, 1748 – 1793)
Der Ablauf des Spiel ist relativ simpel: über 6 Runden spielen zwei Fraktionen gegeneinander darum, das Frauenwahlrecht in den Vereinigten Staaten von Amerika gesetzlich zu verankern. Auf der einen Seite die Suffragetten, also die Befürworterinnen des Frauenwahlrechts, und auf der anderen Seite die Opposition – welche übrigens nicht nur Männer waren. Um als Befürworterin zu gewinnen, müssen nacheinander zwei Bedingungen erfüllt sein: Zuerst muss der Artikel dem Kongress erfolgreich vorgelegt werden. Ist dies geschafft, geht es darum, die einzelnen Staaten zu einer Entscheidung zu bewegen. 36 der 48 Staaten müssen dem Gesetzesvorschlag zustimmen. Gelingt es also der Opposition 13 Staaten zum „Nein“ zu bewegen, hat sie (die Opposition) gewonnen.
Mechanisch sieht es so aus, dass man im Wechsel pro Zug 6 Karten von der Hand spielt. Dabei haben beide Fraktionen ihre eigenen Decks, welche in vier Abschnitte eingeteilt sind, so dass die Ereignisse der Karten grob zeitlich einsortiert sind. Das Spielen einer Karte ist verpflichtend, und es gibt vier Möglichkeiten, diese einzusetzen:
1. für das Ereignis auf der Karte,
2. um Einfluss in den Bundesstaaten zu platzieren,
3. um den Kongress zur Abstimmung zu bewegen (oder dies zu verhindern) und schließlich
4. für, äh, Buttons…also, im Grunde Bonusmarken, die man als Joker für viele Dinge einsetzen kann (dazu später mehr).
Wie man nach dieser Beschreibung schon erahnen kann, wird auf einer Karte der (damaligen) Vereinigten Staaten gespielt. Auf dieser bewegt man die sog. „Campaigners“ (also Aktivistinnen) von Region zu Region, denn nur dann kann man auch aktiv Einfluss in den der Region zugeordneten Staaten platzieren. Dies geschieht ganz simpel über vierseitige Würfel (nicht ganz richtig: 12seiteige Würfel mit gleichmäßig verteilten Zahlen von 1-4). Es ist also durchaus ein wenig glücksabhängig. Genauso verhält es sich beim Kongress: Man würfelt sechsseitige Würfel und für jede gewürfelte 6 wird ein weiterer (von 6) Kongressmarker platziert – oder entfernt, je nachdem, welche Seite man spielt. Hier kommen auch die Bonus-Punkte ins Spiel: Mit so einem „Button“ kann man Würfelwürfe wiederholen – allerdings nur komplett, nicht einzelne Würfel. Es ist also mitunter auch mit dem Risiko verbunden, noch schlechter zu würfeln.
Sind schließlich alle 6 Kongressmarker platziert (das muss übrigens nicht passieren; wenn die Opposition bis zum Ende des Spiels den Kongress blockieren kann, gewinnt sie sofort), wechselt das Spiel in einen „Abstimmungsmodus“. Ab jetzt reicht es, wenn man eine Mehrheit von 4 Einfluss in einem Staat hat, um diesen final zu einer Entscheidung „Dafür“ oder „Dagegen“ zu bewegen. Um das Spiel jetzt zu gewinnen gilt es, 36 zustimmende Staaten, bzw. 13 Staaten, die widersprechen, zu sammeln!
Die komplette Spielregel zu Votes for Women findet ihr hier. (externer Link)
(Virginia Woolf, britische Schriftstellerin und Verlegerin, 1882 – 1941)
Schon bei der Aufmachung und Beschreibung des Spiels musste ich unweigerlich an eines meiner Lieblingsspiele, Twilight Struggle, denken. Wir haben eine große Karte mit (Bundes-)Staaten vor uns; wir spielen Karten für ihre Ereignisse oder Aktionspunkte. Wir sammeln Mehrheiten in den Staaten und versuchen, diese auf unsere Seite zu bringen, um am Ende das Spiel zu gewinnen. Dazu kommt ein sehr unverbrauchtes und gleichzeitig auch extrem wichtiges Thema: Frauenwahlrecht, oder ganz allgemein: Frauenrechte und Gleichberechtigung.
Nun ist es aber leider so, dass ich dieses Spiel nicht im historischen Kontext betrachte – sondern als Brettspiel. Und da stoßen mir leider ein paar Dinge auf, die für mich das Erlebnis schmälern. Meine größte Hürde bei den Partien war tatsächlich der Tatsache geschuldet, dass ich nicht (wie wahrscheinlich alle Kinder in den USA) die Abkürzungen der Bundesstaaten den echten Namen zuordnen kann. Insbesondere bei den Staaten, die mit dem Buchstaben „M“ beginnen, bin ich hoffnungslos verloren: Michigan, Mississippi, Minnesota, Montana, Missouri – MO, MA, MS? Tut mir leid, so weit reicht mein Allgemeinwissen leider nicht. Und da in diesem Spiel auf dem Spielplan lediglich die Abkürzungen aufgeführt sind; auf den Spielkarten allerdings die ausgeschriebenen Namen der Bundesstaaten (natürlich ohne Abkürzung!), artet das Spiel schnell in ein Suchspiel aus. Beispiel eines Kartentexts, im Auszug übersetzt: „Füge je einen Einfluss in Virginia, North Carolina, South Carolina, Georgia, Florida, Alabama, Mississippi, Alabama, Arkansas, … hinzu“. Ich denke, ihr versteht, was ich meine?
Auch hätte ich mir eine größere Bedeutung der Bundesstaaten in Relation zueinander gewünscht. Es ist quasi vollkommen egal, in welcher Nachbarschaft sich die Staaten befinden; Campaigner bewegen sich vollkommen frei – teleportieren sozusagen – auf der Karte; Einfluss oder Zustimmung/Ablehnung zum Gesetz der Nachbarstaaten hat keinen Einfluss auf die Aktionen innerhalb der Staaten. Nun mag es historisch so gewesen sein, dass die Bundesstaaten sich selbst vollkommen autark betrachtet haben – das kann ich mir aber kaum vorstellen. Spielerisch wäre es spannend gewesen, wenn man versucht hätte, eine „Front“ der Zustimmung oder Ablehnung zu schaffen, die über das Land „rollt“. Genauso stehen übrigens viel zu wenige Ereigniskarten in Abhängigkeit zueinander. Es gibt nur eine Handvoll von Ereignissen, die spielbar – oder unspielbar – werden, wenn bestimmte andere Ereignisse ins Spiel gekommen sind – oder noch nicht ins Spiel gekommen sind. Auch hier wäre mehr taktische Tiefe und Verknüpfung schön gewesen.
Im Balancing schließlich möchte ich noch kritisieren, dass es extrem entscheidend ist, wann die zusätzlichen Aktivistinnen ins Spiel kommen: Die Suffragetten starten mit 2 Meeples, die Opposition mit einem. Zum Ende können die Seiten auf 4, respektive 2 Meeples kommen, was verständlicherweise extrem stark ist und ein Schlüssel zum Gewinnen des Spiels. Da aber die zusätzlichen Figuren durch Ereigniskarten ins Spiel kommen, die entweder weit oben oder weit unten im Stapel liegen können – und durch bestimmte Ereigniskarten auch weiter nach oben kommen können – gibt es Partien, in denen die Opposition sehr lange auf ihre 2. Figur warten muss – oder umgekehrt die 4. Figur der Suffragetten nie ins Spiel kommt. Am Schlimmsten ist es tatsächlich, wenn dann eine Ereigniskarte der Gegenseite einen dazu zwingt, (zufällige) Karten von der Hand abzuwerfen – und es ist ausgerechnet die Karte, die den Suffragetten eine weitere Aktivistin gebracht hätte!
Dabei sind wir übrigens auf die absurde Situation gestoßen, dass es eigentlich sogar im Sinne der Opposition ist, frühzeitig den Kongress zur Zustimmung zu bewegen, weil dann im Grunde in jedem Spielzug der Opposition ein Bundesstaat zur Gegenstimme bewegt werden kann – was die 13 Staaten schnell „voll“ macht. Schneller mitunter, als die Suffragetten ihre 36 Staaten erreichen können. Interessant ist hierbei, dass bei der Aktion um den Kongress zu beeinflussen, beide Seiten auch in beide Richtungen beeinflussen können! Somit kann also tatsächlich auch die Opposition den Kongress zur Abstimmung bewegen – oder simpel darauf verzichten, dies zu verhindern und sich lieber darauf konzentrieren, möglichst schon 13 Staaten mit genug Einfluss zu haben, um im Moment der Entscheidung des Kongresses dem Sieg sehr nahe zu sein. Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn man die Opposition nicht thematisch spielt, wird es sehr viel einfacher, dieses Spiel zu gewinnen…
Natürlich gibt es nicht nur negative Kritik an diesem Spiel. Zum Einen möchte ich explizit den geschichtlichen Aspekt hervorheben. Das gesamte Spielmaterial – vor Allem die Ereigniskarten – und nicht zuletzt das Begleitheft transportieren auf sehr anschauliche und (be)greifbare Weise das Thema – welches ich für sehr wichtig erachte. Da ich außerdem ja ein Fan von ungewöhnlichen oder seltenen Themen bin, ist so ein Spiel natürlich ein Fest für mich! Viele der Karten haben mich angeregt, mich weiter mit bestimmten Aspekten der Thematik zu beschäftigen – so wusste ich zum Beispiel nicht, dass insbesondere in den Südstaaten der USA auch große und einflussreiche Frauenbewegungen gegen die Einführung des Frauenwahlrechts gearbeitet haben. Oder dass erst die öffentliche Unterstützung der Kriegsbemühungen in Europa durch die Frauenbewegungen den entscheidenden Ausschlag gab, das Frauenwahlrecht umzusetzen. Insgesamt also viele interessante Details; zu viele, um sie an dieser Stelle ausführlich wiederzugeben.
Da dieses Projekt aus einer Crowdfunding-Kampagne heraus entstanden ist, liegt außerdem ein ganzer Stapel an Repliken zeitgenössischer Dokumente bei: Zeitungen, Flugblätter, Gerichtsurteile, Briefe, Einladungen zu Versammlungen und vieles mehr. Dieses Material unterstützt natürlich das Thema, ist aber in dem Sinne für das Spiel nicht wirklich relevant. Dennoch finde ich es erwähnenswert.
Und dann das Spielmaterial – ich hebe mir das Beste bis zum Schluss auf, ich weiß! Was auch immer man über dieses Spiel sagen kann: Das Spielmaterial ist erstklassig und wirklich eine Augenweide. Die Campaigner, also die Meeples der Spielerinnen, sind sehr schöne, detaillierte Holzfiguren – entweder von Damen oder von Herren in angedeutet zeitgenössischer Mode. Die „Buttons“, also die Joker-Marken, sind inspiriert von den historischen Ansteckern des Wahlkampfes. Auch die Ereigniskarten haben ausnahmslos Fotografien oder Illustrationen jener Zeit. Kurz: das Spiel ist wirklich sehr schön produziert worden! Außerdem liegt für den Solomodus ein komplett eigenes Kartenset bei; der sog. Oppobot, der die Opposition übernimmt.
Eines möchte ich zum Ende allerdings doch noch ansprechen: Über den 3- und 4-Spielerinnenmodus wollen wir lieber nicht sprechen: Ich finde es absurd, wenn ein Spiel, welches eigentlich ein Duell ist, auf eine höhere Mitspielerinnenzahl aufgeblasen wird, indem man eine (oder beide) Fraktion(en) von mehr als einem Menschen spielen lässt. Ich sage ja auch nicht, Skat kann man zu sechst spielen, wenn jeweils zwei Personen ein Blatt spielen. Sorry, das funktioniert so nicht und ich möchte hier auch klar eine „Warnung“ aussprechen, dieses Spiel für mehr als 2 Menschen zu kaufen – es ist und bleibt ein Duell und sollte am Besten auch zu zweit gespielt werden.
Dieses Spiel fällt in eine Kategorie bei mir, in der schon Spiele wie Nemo’s War oder D-Day Dice gehören: Ich möchte das Spiel wirklich mögen – aber leider ist es an zu vielen Stellen einfach nicht gut genug.
Votes for Women von Tory Brown
Ein spannendes Duell mit einem unverbrauchtem Thema, welches dazu animiert, mehr darüber zu lernen. Trotz wunderschönem Spielmaterial bricht die Balance des Spiels allerdings ein; vor Allem bei unthematischem Spiel der Opposition.
Thomas:
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