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Interview Peter Rustemeyer

Lesezeit: 9 Minuten

Gestern noch haben wir euch unsere Meinung zu Paleo präsentiert. Da passt es doch, dass wir uns auch mit Peter Rustemeyer unterhalten. Wir haben ihn also mit Fragen gelöchert. Erfahrt hier, wie Paleo überhaupt bei Hans im Glück landete, warum man ihn mit Schach besonders gut quälen kann und warum ihm Knochen immense Kopfzerbrechen bereiten.


Man könnte sagen, dass Paleo recht positiv von der Presse aufgenommen wurde und es auf uns auch so wirkt, als ob die Verkäufe recht gut laufen. Wie fühlt es sich an Autor eines erfolgreichen Titels zu sein?
Vermutlich wenig überraschend: Das fühlt sich gut an. Das ist schon toll, vor allem, was da international an Rückmeldungen kommt.
Und der Erfolg… Es heißt immer, man soll nicht Spiele erfinden, um damit Geld zu verdienen, aber es schadet halt auch nicht, wenn es doch mal klappt.
Paleo ist ja nicht dein erstes Spiel. Und auch du wirst einige Klinken geputzt haben, um als Autor bei einem Verlag unterzukommen. Spürst du schon positive Auswirkungen, die Paleo so mit sich bringt? Sind Verlage nun interessierter an dir und deinen Spielen?
Dieser Schritt war eigentlich mit meinem ersten Spiel Barbaria schon erledigt. Die Redakteure bei den Verlagen kriegen so absurd viel Unsinn angeboten, da reicht es schon, wenn du irgendwie den Eindruck machst, du könntest vielleicht tatsächlich ein Spiel erfinden, um auf offene Ohren zu stoßen. Du musst dich eigentlich nur minimal von den „Mensch Ärgere Dich mit anderen Farben“ Leuten abheben.
Ich denke aber schon, dass es mir beim nächsten Spiel noch einmal etwas leichter fallen wird, zumindest die ersten Hürden zu nehmen. Die Kontakte sind da, die Ohren jetzt vielleicht noch ein bisschen offener. Aber letztendlich muss natürlich immer noch das Spiel überzeugen, das gilt auch für die ganz großen Autoren – zu denen ich mich sicher nicht zähle.
Wenn man zurückblickt auf die Entwicklung. War dir irgendwann bewusst, dass es ein sehr gutes Spiel sein würde oder ist das eher eine Einstellung, die ein Autor bei jedem seiner Werke hat und die breite Masse das nur nicht versteht?
Ich arbeite eigentlich nur an Spielen, wenn ich das Gefühl habe, in der Idee steckt etwas sehr Besonderes drin. Sonst fällt es mir schwer, mich dafür zu begeistern, tagelang am PC zu sitzen und das Material zusammenzuklicken. Diesen Funken am Leben zu halten, ist nicht immer leicht, aber ich brauche ihn, sonst landet eine Spielidee sehr schnell in einer dunklen Schublade.
Bei Paleo war mir das sehr schnell klar, da passierten einfach viel zu interessante Dinge auf dem Tisch und in den Gesichtern der Leute drumrum.
Wie kam es denn zur Idee von Paleo?
Ich habe mich von This War of Mine inspirieren lassen, da muss man auch Aktionen mit Karten bezahlen, die man dann nicht ankucken darf. Ich wollte das aber einfacher und zugänglicher haben, ein Spiel, das wirklich nur daraus besteht. Dann bin ich irgendwie beim Steinzeitthema gelandet, und der Rest schrieb sich fast von alleine.
Normalerweise möchten Spieler ja wissen, was ihre Entscheidung in etwa mit sich bringt. Was hat dich dazu bewogen, ein Spiel mit fehlenden Informationen zu basteln? Und gab es auch Momente, in denen du das ganze Konstrukt angezweifelt hast?
Du probierst ja als Autor bei einem Prototyp erst einmal aus, was da überhaupt passiert. Finden die Spieler das interessant? Langweilen die sich? Haben sie nur Fragezeichen in den Augen? Reden sie oder sind sie still? Was reden sie da?
Und es war gerade diese Reise ins Unbekannte, die meine Testspieler so begeistert hat. Also habe ich erst mal keinen Grund gesehen, etwas daran zu ändern. Zweifel gab es später, aber dazu kommen wir noch.
Wie verlief denn der Weg von der ursprünglichen Idee bis zu dem für dich fertigen Prototypen, den man Verlagen vorstellen kann? Gab es gravierende Änderungen?
Das ging eigentlich relativ schnell, ein paar Wochen oder Monate. Ich habe nach den ersten Prototypen vor allem versucht, diverse Holprigkeiten auszubügeln, aber ich wollte ohnehin den Rest des Weges mit einem Verlag gehen, für eine Demo-Version war es gut genug.
War Hans im Glück der erste Verlag an den du dich gewandt hast? Waren sie schnell von Paleo überzeugt?
Ich hatte HiG gar nicht auf meiner Liste, weil ihre Spiele sonst gefühlt in eine völlig andere Richtung gehen. Eigentlich hat Johannes (Redakteur bei HiG) das Spiel nur gesehen, weil er mein Zimmergenosse auf dem Cliquenabend-Event auf Mallorca war, und als solcher musste er es natürlich auch mal spielen. Aber ich hatte gefühlt schon alle Verlage überzeugt, die mich interessierten, und habe mir dann überhaupt keine Gedanken mehr darüber gemacht oder mich bemüht, ihn dafür zu begeistern. Er hat sich dann ein paar Wochen später bei mir gemeldet, dass er es gerne seinem Chef zeigen würde. Und dann ging alles sehr schnell.
Welche Änderungen hat Hans im Glück dann noch am Spiel angestrebt?
Ich bekam relativ fix zwei große Aufgaben: Paleo musste eine gute Ecke steuerbarer werden, man sollte weniger planlos und dem Schicksal ausgeliefert vor sich hin spielen. Und eine Kampagne solle her, in der man eine fortlaufende Entwicklung erlebt und gewisse Erfolge in die nächste Partie mitnehmen könne.
Das mit der Kampagne haben wir nach ungefähr einem Jahr Entwicklungsarbeit mit allen möglichen Ansätzen aufgegeben. Es ist in diesem Spielsystem einfach schwierig zu garantieren, dass alle Spielgruppen dieselben Fortschritte erzielen. Und dann rennt die eine Gruppe von Mammut zu Mammut und schlägt sich den Bauch voll, und die andere Gruppe hat nach fünf Spielen immer noch nicht den Speer erfunden und ist frustriert.
Genauso lästig war es, eine Handlung konsistent erlebbar zu machen. Das war dann auch der Punkt, wo ich ernsthaft an dem Spiel gezweifelt habe (siehe oben). Aber die Lösung war natürlich, das nicht krampfhaft umsetzen zu wollen, sondern sich auf das zu konzentrieren, was das Spiel konnte: Nicht Geschichten erzählen, sondern Geschichten erleben.
Und die Zeit war nicht verschwendet, am Wegesrand sind wir auf ein paar sehr schöne Ideen gestoßen, unter anderem eine Lösung für die erste Aufgabe: Die markierten Kartenrückseiten, die den Spielern eine gewisse Kontrolle über das Geschehen geben, aber immer noch genug Abenteuer übrig lassen. Und die letztendlich heute das Spielgefühl ausmachen.

Ein paar Paleo Plättchen aus dem Prototypen.

Als Autor weiß man, dass man nie an dem Punkt angelangt, an dem man zu 100 % mit seinem Werk zufrieden ist. Wenn du jetzt die Möglichkeit dazu hättest. Welchen Teil von Paleo würdest du anders gestalten?
Einen Haufen Kleinigkeiten, aber es ist recht schwer einzuschätzen, ob das Spiel dadurch dann auch wirklich besser würde. Eine größere Kleinigkeit, die mich ein bisschen ärgert, ist der Knochen.
Wir hatten lange Zeit 4 Rohstoffe: Nahrung, Holz, Stein und eben Knochen. Aber im Laufe der Entwicklung wurden alle unsere Knochenwerkzeuge spielmechanisch obsolet oder anderweitig unnötig, und wir haben ihn gestrichen.
Mein Problem mit dieser Entscheidung ist, dass es eigentlich total thematisch ist, die Knochen von Viechern zu verwerten. Und vor allem, dass ich, selbst wenn mir jetzt übermorgen eine total geniale Idee für den Knochen einfällt, ihn wahrscheinlich nicht mehr nachträglich in eine Erweiterung einbauen kann. Dann fragen die Spieler nämlich, warum an den alten Mammuts keine Knochen dranhängen, an den neuen aber schon. Wir müssten den halben Kartensatz ersetzen.
Es war schon früh erkennbar, dass die Spieler Paleo recht interessiert wahrgenommen haben. Baute das Druck auf dich aus? Wie waren deine Gefühle bis zu dem Zeitpunkt, an dem klar war, dass das Spiel auch in Privathaushalten gut ankam?
Ab einem gewissen Zeitpunkt kannst du eh nichts mehr ändern. Klar war ich die letzten Wochen vor der Spiel.digital sehr gespannt, aber jetzt auch nicht völlig mit den Nerven am Boden.
Du hast mal erwähnt, dass du Paleo als modulbasiertes Spiel entwickelt hast, es von den Spielern jedoch als Kampagnenspiel angenommen wurde. Ärgert dich das ein wenig?
Das ist schon ok so.
Ich würde nur an ein Kampagnenspiel andere Ansprüche stellen, vor allem mehr thematische Einordnung und eine fortlaufende Geschichte, nicht nur „heute gibt es Mammuts und Wölfe, kommt damit klar“. Was ich bei einem modularen Spiel wiederum völlig ausreichend finde.
Aber im Prinzip habe ich schon gewonnen, wenn das Spiel ein paar Mal auf dem Tisch lag und Freude bereitet hat. Und dafür reicht unsere kleine Pseudo-Kampagne völlig aus, da braucht es nicht unbedingt alle Kombinationsmöglichkeiten eines modularen Systems oder wilde Storylines voller überraschender Wendungen.
Aktuell gibt es ja einen Zwischenfall mit Daniele Tascini, was Hans im Glück dazu bewogen hat, die Zusammenarbeit mit auf Eis zu legen. Diese Entscheidung kam nicht überall gut an und manche Stimme schießt nun auch deswegen auf Paleo (als Beispiel: „Jetzt bin ich froh, das Spiel nicht gekauft zu haben“). Wie fühlt es sich denn als eigentlich unbeteiligter Autor an, solche Aussagen zu lesen?
Ich finde es stark, dass mein Verlag sich so eindeutig positioniert hat.
Und ich glaube nicht, dass die Folgen eines solchen „Boykotts“ für mich oder HiG auch nur ansatzweise spürbar sein werden.

In deinem Blog ist es ja recht ruhig geworden. Kommst du aktuell einfach nicht dazu oder beschäftigst du dich lieber mit anderen Dingen?
Ich spiele momentan viel zu wenig (gefühlt gar nicht), um Artikel über Brettspiele schreiben zu können. Kann einer mal diese Pandemie wegtun?
Gibt es denn neue Spiele, an denen du arbeitest? Und was sind das für Titel?
Ich habe mehrere Konzepte auf dem Tisch, wie sich Kommunikation, Diplomatie und Zusammenarbeit unter Gegnern regeltechnisch angehen lassen, die ich sehr interessant und neuartig finde. Aber da steckt noch eine Menge Arbeit drin, und ich kann diese Spiele gerade dummerweise nicht wirklich testen, weil ich schlecht gegen mich selbst verhandeln kann. Das muss noch eine Weile warten. Auch hier: Corona, du bist echt nicht erwünscht.

Ein paar der Karten aus dem Paleo-Prototyp.

Nun noch ein paar persönliche Fragen. Da muss jeder hier durch. Was tust du, wenn du nicht spielst oder an neuen Spielen arbeitest? Hast du überhaupt Zeit für andere Hobbys?
Ich klettere sehr gerne, ansonsten verschwende ich momentan sehr gerne viel zu viel Zeit mit „Internet“.
Welches Buch hat dich zuletzt fasziniert und was macht es besonders?
Erdzauber von Patricia A. McKillip. Eine (leider sehr kurze) Trilogie in einer Welt voller Rätsel und Magie. Ich fand es besonders spannend, wie die Autorin das ganze sonst so präsente Hauen und Stechen in den Hintergrund stellt – also das findet hier schon auch statt, aber es ist einfach nicht wichtig.
Erzähl uns von deinem absoluten Lieblingsfilm und warum wir ihn gesehen haben sollten.
Pan’s Labyrinth, dieser Film hat einfach alles. Fantasy und Historienfilm zugleich, eine wundervolle, aber sehr traurige Geschichte auf beiden Ebenen, voller Hoffnung und Verzweiflung, tolle Kostüme, Kreaturen und Effekte, ein interessantes Rätselspiel, was real ist und was nicht, und vielleicht den schrecklichsten Filmbösewicht aller Zeiten.
Du strandest auf einer einsamen Insel mit der genau richtigen Anzahl an Mitspielern. Welche 5 Spiele willst du bei dir haben und vor allem, warum?
Gib mir fünf x-beliebige Kickstarter-Ungetüme mit riesigen Boxen und zig Erweiterungen. Aus der ganzen Pappe kann ich uns dann direkt eine Hütte craften, und geeignet spitze Plastikfiguren zu Harpunenspitzen umfunktionieren, damit wir nicht verhungern müssen. Außerdem bräuchte es ein Containerschiff, um die alle auf die Insel zu kriegen, und das könnte uns dann auf dem Rückweg direkt wieder mitnehmen.
Du kommst in die Hölle. Welches Spiel musst du als Strafe immer und immer wieder spielen und warum quält es dich so?
Schach. Ich bin total fasziniert von dem Spiel, kucke sogar regelmäßig kommentierte Großmeisterpartien und freue mich, wenn ich den korrekten nächsten Zug sehe, aber wenn ich selber spielen soll, ist es grauenvoll. Ich bin ein miserabler Schachspieler. Wobei… Vielleicht würde ich es ja lernen, wenn ich es immer und immer wieder spielen müsste… Dann Phase 10. Phase 10 geht immer gar nicht.
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Written by Christian Renkel
Christian liebt Brett- und Videospiele mehr, als ausreichenden Schlaf. Dabei ist ihm am wichtigsten, dass er in der jeweiligen Welt versinken kann. Egal, ob es die geschickte Mechanik oder die überkochende Emotion ist.
2 Comments
  1. Tolles Interview, fand ich spannend!

    Viele Grüße!

    Reply

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