Bahn Frei - Cover

SPIELSTIL Rezension

Bahn Frei!

Lesezeit: 7 Minuten

Ein Spiel entwickelt von Hartmut Haas
erschienen bei Eigenverlag

- 5.Feb.2021

Sei der Held im eigenen Zug! So lautet der Untertitel dieses 2020 im Eigenverlag erschienenen kleinen Titels. Gute Frage: Wer ist denn der Held im Zug? Der Brezen-Verkäufer, der ab Ingolstadt wieder durch die Waggons läuft? Der Servicetechniker, der die Klimaanlage nun doch reparieren konnte? Steven Seagal, der Koch im Bordbistro, der die Terroristen aufhält?

Nein, Quatsch – Alles falsch! Die Lokomotivführer sind die wahren Helden! Denn die entscheiden, welche Strecke die Bahn fährt, wer abgeholt wird, und auch, wann man denn endlich in München ankommt (mit Umweg über Hannover, Frankfurt, kurz nochmal Leipzig, aber dann ganz sicher München). Zumindest in Bahn Frei! ist das so, und das macht auch richtig Spaß – auch wenn man dabei mal ins Schwitzen kommt.

Die Eisenbahn ist für mich ein Symbol des Lebens: Man sitzt ruhig und bewegt sich doch schnell vorwärts.

(Wolfgang Korruhn, dt. Journalist)

Wir sind dafür verantwortlich, dass im gesamten Schienennetz der Deutschen Bahn auf dem Spielbrett (welches tatsächlich dem echten Schienennetz nachgebildet ist) alle Fahrgäste rechtzeitig von ihrer Startstadt zu ihrem gewünschten Ziel transportiert werden. Dazu erwürfeln wir zu Beginn jeder der 15 Runden die Anzahl der neuen Fahrgastkarten, welche wir dann ziehen und bei ihrer Startstadt platzieren.

Das beginnt nicht gut – schon drei Beschwerden und Fulda ist gesperrt!

Dann beginnen wir die gemeinsame Planung: Wer fährt auf welcher Strecke, um möglichst alle Passagiere einzusammeln – und in welcher Reihenfolge: denn Fahrgäste können auch zwischen den Zügen umsteigen. Dabei wollen wir alle Mitfahrer möglichst schnell an ihr Ziel befördern, müssen jedoch beachten, dass die Züge nur eine bestimmte Reichweite haben, und uns außerdem Knüppel zwischen die Beine geworfen werden: Ab der 3. Runde (wenn wir uns quasi „warmgespielt“ haben) ziehen wir jede Runde eine Ereigniskarte, welche uns das Leben schwer macht: Mal sind bestimmte Strecken gesperrt, mal muss einer unserer Züge langsamer fahren – im Zweifel wird es nicht besser!

Sind wir uns schließlich einig, wie unsere wir fahren wollen, drehen wir die Sanduhr um und die Hektik beginnt: In nur 30 Sekunden (oder innerhalb der Zeit, in der der Sand durch die Uhr läuft und wir dies auch bemerken…) führen wir möglichst genau so, wie wir es vorher geplant haben, unsere Züge (haha) aus. Lokomotiven werden bewegt, Fahrgäste aufgenommen und abgeliefert, oder auch umgestiegen (die haben ja nicht viel Wahl, wenn wir sie in die nächste Bahn schieben – das kennt man ja sehr gut, wenn einem der Zugbegleiter einen neuen Fahrplan ausdruckt…). Viel Zeit für Nachfragen bei den Mitspielern bleibt nicht – ist die Zeit abgelaufen, muss Alles so stehen gelassen werden und wir müssen mit den Konsequenzen leben.

Die sehen wir bei der Auswertung des Tages: Alle Fahrgäste, die entweder nicht abgeholt wurden und immer noch am Bahnsteig warten – oder aber nicht in ihrer gewünschten Fahrzeit ans Ziel befördert wurden – beschweren sich nun (und werden entfernt – wahrscheinlich nehmen sie sich jetzt einen Mietwagen). Das ist bitter, denn die 8. Beschwerde sorgt dafür, dass wir das Spiel verlieren! Was können wir dagegen tun? Nun, wir können sie immerhin vertrösten, indem wir ihnen einen Gutschein für das BordBistro in die Hand drücken – wer kennt das nicht? Ich komme einen Tag später an? Egal, ich bekomme einen lauwarmen, dünnen Kaffee und ein trockenes Croissant vom Vortag, das macht mich wieder glücklich! Aufstocken können wir den Vorrat an Gutscheinen nur, indem wir Fahrgäste schneller ans Ziel bringen, als es erwünscht war – und das ist in der Tat kein so einfaches Unterfangen!

Gewonnen – aber immer noch 5 Beschwerden! Das geht besser…

Schaffen wir es also, 15 Runden lang die Wünsche unserer Kunden zu erfüllen, gewinnen wir die Partie – sammeln wir eine 8. Beschwerde, ist es aus für uns und wir werden mit einer fürstlichen Manager-Abfindung entlassen.

Unpünktlichkeit ist keine Frage der Zeit.

(Ernst Ferstl, österr. Lehrer, Dichter und Aphoristiker)



Thomas meint:

Als ich von dem Spiel gelesen habe, dachte ich mir: Oh, cool! Ein selbstproduziertes Spiel? Vom Autor in Eigenregie? Und auch noch vollkooperativ (und damit also wahrscheinlich auch Solo-tauglich)? Erzählt mir mehr!!

In der Tat macht Bahn Frei! Spaß. Echtzeit-Spiele sind immer so eine Sache. Aber hier ist eine sehr gute Lösung gefunden worden: Da wir, die Spieler, erst alle Informationen erhalten, also die neuen Fahrgäste aufgedeckt werden und auch das Ereignis, welches uns diese Runde beeinflussen wird, bekannt ist, können wir in aller Ruhe planen und Ideen diskutieren. Haben wir schließlich einen Plan gefasst, heißt es: Go! und wir versuchen in der vorgegebenen (knappen!) Zeit, diese Ziele umzusetzen. Und ich kann schon jetzt sagen: Das wird nicht klappen!

Denn schon durch die Größe des Netzes und die absurden Reisepläne der Fahrgäste, beginnen wir eher früher als später, Schadensbegrenzung zu betreiben. Das ist tatsächlich noch spannender, als nur die Planung der Routen (denn die sind meist offensichtlich). Aber manchmal ist es besser, einen Hamburger Fahrgast verärgert mit einer Beschwerde von dannen ziehen zu lassen, als ihn mit einem Gutschein zu beruhigen, dann aber mit einer Runde weniger Zeit zu versuchen, ihn nach Wuppertal zu wuppen (schaffen wir das nämlich nicht, haben wir plötzlich einen Fahrgast, der Runde um Runde mit Beschwerde droht und dennoch befördert werden muss!).

Alle Fahrgäste sind einzigartig (und Unterstützer der Kampagne auf Kickstarter)

Sicherlich, hier kann es in manchen Runden natürlich dazu kommen, dass ein Mitspieler die Kontrolle an sich reißt, und allen anderen vorschreiben möchte, wie nun zu spielen ist. Aber da sollte man sich eher fragen, ob man ein kooperatives Spiel mit so einem sog. „Alpha-Spieler“ spielen möchte – oder ob da nicht ein anderes Spiel besser wäre. Auf alle Fälle kann man dies nicht dem Spiel ankreiden.

Zur Abwechslung gibt es dann noch spezielle Züge – die vier Züge, respektive Spielertableaus, haben eine normale Seite und eine Expertenseite mit Sonderfähigkeiten. So gibt es eine Lokomotive, in welcher die Fahrgäste gerne verweilen und nicht so schnell die Geduld verlieren, oder eine andere, welche auf den Express-Strecken schneller unterwegs ist. Damit ändern sich wiederum die Planungen der Spieler und man – je nach mitspielenden Zügen – ein anderes Spielerlebnis. Aber eigentlich hätte es die Sonderfähigkeiten nicht mal gebraucht, um für genug Abwechslung zu sorgen – das tun die unterschiedlichen Fahrgäste schon.

Wem es zu leicht ist, der hat die Experten-Züge!

Kommen wir zu dem Spielmaterial. Das ist wirklich von außerordentlich guter Qualität! Ein stabiler, ordentlich aufgezogener Spielplan, vernünftige Spielkarten und hübsche Meeple, Würfel und Spielsteine aus Holz. Die Stanzteile aus Pappe sind schön stabil und gut zu Händeln und all das in einer vernünftigen Box. Die Illustrationen sind stimmig und ich finde es sehr schön, dass alle Fahrgäste ein eigenes, individuelles Gesicht haben.

Natürlich ist nicht Alles rosig. Die Sanduhr bleibt leider manchmal stehen, aber vor Allem achtet mitunter auch mal kein Mitspieler auf den rieselnden Sand, weil es gerade so spannend und hektisch auf dem Plan zugeht. Da würde ich dringend empfehlen, eine Eieruhr aus der Küche zu verwenden, oder kurzerhand einen Timer auf einem Mobiltelefon. Toll wäre hier eine kleine App gewesen, mit Geräuschen eines Bahnhofs mit der bekannten Abfahrts-Pfeife, um den Spielern das Ablaufen ihrer Zeit mitzuteilen.

Auch sind einige der Ereigniskarten eher für ein Partyspiel geeignet, als für ein solches planerisches Spiel. Aufgaben wie das Vorzeigen einer Fahrkarte oder das Trinken eines Glases Wasser habe ich einfach aussortiert, da sie ja in dem Sinne Nichts mit dem strategischen und taktischen Vorgehen im Spiel zu tun haben. Auf mich wirkten die Karten leider eher wie Fremdkörper in einem ansonsten sehr runden und stimmigen Spiel. Aber wie gesagt: Es sind nur eine Handvoll Ereignisse, die man schnell aussortieren kann. Sie machen nicht den Großteil der Karten aus.

Bleibt abschließend zu sagen, dass Bahn Frei! ein wirklich gutes und gelungenes Spiel ist, welches ich gerne spiele und auch solitär finde ich es sehr herausfordernd, die Züge zu koordinieren und dann den Fahrplan auszuführen. Bleibt abzuwarten, ob wir in Zukunft weitere Spiele vom Autor zu sehen bekommen. Ich würde es mir wünschen.

Falls ihr auch gerne der Held im eigenen Zug sein möchtet, könnt ihr direkt auf der Seite des Autors sein Spiel erwerben: https://www.bahn-frei.de/shop/

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Bahn Frei! von Hartmut Haas

Bahn Frei - Cover

Gutes kooperatives Spiel mit frischem Thema, starkem Planer-Charakter und mildem Chaos/Hektik-Aspekt.

Spielstil – Wertung

Thomas:

7/10
Das gefiel uns
  • Klare Aufteilung zwischen Planung und Echtzeit-Hektik.
  • Frisches Thema.
  • Klare Optik und schönes Material.
Das nicht so
  • Sanduhr bleibt mitunter stehen.
  • „Partyspiel“ Ereignisse.
Hier bekommt ihr „Bahn Frei!“

Seite des Autors

Hinweis:
Wir haben das Rezensionsexemplar ohne Auflagen gratis vom Verlag bekommen.

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Thomas Büttner

Tom schätzt neben komplexen Euros auch thematisch satte Solitär-Meisterwerke - und natürlich feine App-Umsetzungen. Dabei wird er schon mal ungehalten, wenn die Steuerung umständlich ist oder das User Interface unintuitiv.

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